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Ortsnamen mit "-ing" bezeichnen Bewohner  
  Viele Ortsnamen im deutschen Sprachraum enden mit dem Suffix "-ing". Dabei handelt es sich um ein germanisch-slawisches Spracherbe, das vor allem die Zugehörigkeit der Bewohner zu einem Ort oder einer Sache ausdrückt. Man spricht in diesem Zusammenhang von "Insassennamen".  
Die größte Ballung an echten "-ing-Namen" weist das ober- und niederösterreichische Flachland entlang der Donau auf. In den südlichen, gebirgigen Teilen Österreichs sind sie hingegen nicht zu finden, wie zwei Sprachwissenschaftler der Universität Wien gegenüber science.ORF.at erläutern.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Herwig L..: "Ich würde gerne wissen, was die Endung "ing" bei Ortsnamen bedeutet. Meidling, Währing, Döbling etc. Heißt das vielleicht Ort oder Ansiedlung? Ich finde in Wörterbüchern leider keine Antwort."
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Urkundliche Belege sind Grundvoraussetzung
Die heutigen Ortsnamen auf "-ing" gehen oft auf Namen zurück, die in althochdeutscher Zeit von etwa 750 bis 1050 vergeben wurden. Um ihre Entstehungsgeschichte und Bedeutung wirklich seriös zu klären, müssen laut Peter Ernst vom Institut für Germanistik der Uni Wien die Siedlungsnamen zu allererst durch alte Urkundenbelege bestätigt werden.

Unter althochdeutschen Siedlungsnamentypen versteht man Grundwörter und Suffixe , wie etwa Siedlungsnamen auf "-ing", "-heim", "-wang", "-kirchen", "-stetten", "-hausen" und "-hofen". Diese Siedlungsnamentypen erlauben auf Grund ihres hohen Alters Rückschlüsse auf die Besiedlung, also auf historische Vorgänge", so Ernst gegenüber science.ORF.at.
Germanisches Erbe
Peter Ernst erklärt, dass das Suffix "-ing" ein germanisches Erbe darstellt und auch in England oder Skandinavien zu finden ist: "Die deutsche Sprache übernahm diese Bildungsmöglichkeit ab etwa 600 n. Chr., dementsprechend sind Siedlungsnamen auf '-ing' kennzeichnend für deutschsprachige Siedler."
Endung "-ing" drückt Zugehörigkeit aus
Die Bedeutung erläutert der Wiener Germanist folgendermaßen: "Ein '-ing- Name' bezeichnet die Einwohner eines Ortes und nicht die Anwohnung selbst - wie etwa die '-heim' oder '-hausen' Namen. Das '-ing' bezeichnet eine Zugehörigkeit von Personen zu Sachen oder anderen Personen. Ebenso die Zusammengehörigkeit von Sachen zu Sachen oder Personen. In diesem Sinn ist das '-ing' auch heute noch produktiv wie zum Beispiel beim Wort 'Zwilling'."

Auf reine Ortsnamen umgelegt drücken "-ing-Namen" demnach aus, dass die Einwohner der Siedlung zu einer Sache - Appellativum - oder einer Person - Eigenname - gehören. Sie seien daher immer Insassennamen, so Ernst
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Literaturhinweis
Aus der umfangreichen Literatur zu diesem Thema verweist Isolde Hausner vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika vor allem auf zwei Dissertationen:
I. Kouril, Die echten -ing-Namen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, 1950; P. Ernst, Die althochdeutschen Siedlungsnamentypen in Niederösterreich und Wien, 1989.
Weitere Literatur ist in der Bibliothek des Instituts erhältlich.
->   Zur Instituts-Website
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Personenbezogene und sachliche Wortbildung
Die häufigste Wortbildung sei die Ableitung von Personennamen, wie etwa "Schärding" vom althochdeutschen Personennamen "Scardo".

Auf diese Weise entstehen "Besitznamen", wobei heute angenommen wird, dass die Person der Grundherr oder Anführer der Siedler war. So bedeutet "Schärding" sinngemäß "bei den Leuten des Scardo", erläutert Ernst an einem Beispiel.

"Es gibt aber auch '-ing-Namen', die von Appellativa abgeleitet wurden, wie zum Beispiel 'Meidling', das zu althochdeutsch 'mûra' wäre. Somit entspricht dem neuhochdeutschen 'Mauer' die Beschreibung 'bei den Leuten, die zu einer Mauer gehören', wobei 'Mauer' nicht nur eine alte Römersiedlung, sondern auch eine Felswand oder felsiges Gelände bezeichnen kann", so der Wiener Germanist.
Slawischer Ursprung für "-ing-Namen"
"Weiters gibt es eine große Gruppe von Namen, die heute ein '-ing' aufweisen, das jedoch nicht ursprünglich ist und somit als unechte '-ing' Namen bezeichnet werden. Wegen der großen Häufigkeit der '-ing-Ortsnamen' wurden viele Namen, die ähnlich klingen, diesem Suffix angeglichen, wie zum Beispiel: Währing, Döbling, Piesting, Triesting", so Ernst.

Es handle sich dabei um Namen mit slawischen Suffixen wie "-nik", "-ika" oder anderen deutschen Suffixen.
Beschreibende Ortsnamen im Slawischen
Zu den Ortsnamen slawischer Herkunft erklärt der Georg Holzer vom Institut für Slawistik an der Uni Wien, dass sich die Endung "-ing" aus dem mittelhochdeutschen "-nich" entwickelt hat und im Slawischen noch "-nik" lautete.

Ihm zufolge wäre es besser von einem "Ausgang" bei den slawischen Namen zu sprechen, weil es ja keine Fallendung oder dergleichen sei.

Die Bedeutung des slawischen "-nik" lässt sich laut Holzer schwer mit einem Wort angeben, dieser Ausgang dient nämlich unter anderem dazu, aus Adjektiven Substantive zu machen.

So bedeuten etwa die drei Namen "Gaming", "Gösing" und "Reidling" - siehe Infobox unten - im Slawischen eigentlich etwa "der Steinerne", "der Ziegenhafte" und "der Erzhältige".
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Beispiele für slawische Namen mit "-ing"
"Das slawische Kamennik oder 'Steinbach' heißt mittelhochdeutsch 'Gämnich' - im 13. Jh. belegt - und wird im Neuhochdeutschen zu 'Gaming'. Genauso wird das slawische Koznik oder 'Ziegenbach' über das mittelhochdeutsche 'Göznich' zum neuhochdeutschen 'Gösing'", so Georg Holzer gegenüber science.ORF.at.
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Rückschlüsse auf die Besiedlungsgeschichte
"In Österreich liegen die Besiedlungsverhältnisse anders als etwa in Bayern oder Franken", hält Peter Ernst fest:

"Die Besiedlung ist durch deutsch sprechende Siedler relativ spät erfolgt. Abgesehen von einzelnen Siedlungsbewegungen erfolgte eine systematische Besiedlung erst nach den Awarenkriegen (791-803) unter Karl dem Großen, als das ober- und niederösterreichische Donautal besetzt und für die deutschsprachige Besiedlung geöffnet werden konnte."
Geographische Verbreitung
"Trägt man die echten '-ing-Namen' auf einer Karte ein, so zeigt sich, dass sich die Hauptmasse im ober- und niederösterreichischen Flachland entlang der Donau befindet, wobei ihre Anzahl von West nach Osten abnimmt. In geringerer Zahl finden sie sich im Mühl-, Wald- und Weinviertel sowie östlich von Wien im Marchfeld, dem Wiener Becken und außerdem in den leicht zugänglichen Teilen Salzburgs, dem Flachgau", so der Germanist.

"Einige wenige befinden sich noch im oberen Ennstal, was für dessen frühe Besieldung spricht", zieht der Germanistikprofessor seine Rückschlüsse. In den südlichen, gebirgigen Teilen Österreichs - Vorarlberg, Tirol, südliches Salzburg, Kärnten, Steiermark - sei hingegen keine große Zahl an alten "-ing-Namen" zu finden.

Christoph Urbanek, freier Wissenschaftsjournalist, 20.10.04
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