Christian Gastgeber
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1945: Aufrüstung von Ost und West in Österreich  
  Eine aktuelle Sammelstudie gibt Einblick in den Aufbau eines (vor den Russen geheim gehaltenen) nationalen Verteidigungs- und Geheimdienstsystems mit Unterstützung der Westalliierten in Zeiten des Kalten Krieges. Es sollte im "Worst Case" eines sowjetischen Übergriffes auf Westeuropa aktiviert werden.  
Geheime Waffenbunker: Die Entdeckung 1996

B-Gendarmerie
(mit amerikanischen Uniformen)
Ins öffentliche Bewusstsein kamen die geheimen Vorbereitungen der Westalliierten gegen einen möglichen russischen Vormarsch in den Westen (wieder) 1996, als zunächst in der Zeitung "The Boston Globe" am 20. Januar 1997 ein Bericht über noch existierende amerikanische Waffendepots der Besatzungszeit veröffentlicht wurde.

In der Folge wurden der österreichischen Regierung von amerikanischer Seite die Pläne von 85 US-Waffenlagern übergeben - ohne Hinweis auf den Zweck der Errichtung.
Zweck der Anlagen: Unterstützung von Partisanengruppen
Eine Analyse der Lager und Bestände ließ auf verschiedene zeitlichen Phasen der Einrichtung schließen. Bemerkenswert waren die jeweils geringen Einheiten, die mit diesen Lagern versorgt werden sollten. Immer wieder auffällig waren die großen Sprengstoffmengen.

Die Analyse legt nahe, hier die Lager von einheimischen Partisanengruppen zu sehen, die sich von den feindlichen russischen Truppen überrollen lassen und dann hinter "feindlicher Linie" aktiv werden sollten.
Die britischen Waffenlager in Kärnten
In der medialen Aufregung 1996 vergaß man den Parallelfall der rund 20 britischen Waffenlager, die man rund 30/35 Jahre zuvor entdeckt hat und bei denen es in einem Fall auch einen einheimischen "Wartungsbeauftragten" gab.

Die ersten britischen Lager galten offensichtlich als Vorsorge gegen ein befürchtetes Übergreifen jugoslawischer Partisanen auf Kärnten. Eine andere Überlegung geht in die Richtung der amerikanischen Waffenlager: Ausrüstung für Spezialtruppen zur Sabotage hinter der Linie, daher auch hier wieder viel Sprengstoff und Kleinfeuerwaffen.
Bunker wurden durch Plünderungen entdeckt
Entdeckt wurden die Bunker, als einige davon 1959 von Einheimischen geplündert wurden und die Plünderer in den gelagerten Uniformstücken auftraten.

Nach der Entdeckung der ersten Lager gab der britische Militärattaché die Existenz weiterer Depots zu, man übermittelte die Pläne und bat um unauffällige Räumung und wenig Aufsehen in der Presse. Die nächsten britischen Waffenlager wurden 1965 durch vertrauliche Hinweise von Büchsenmachern entdeckt.
Das Bedrohungsszenario durch Partisanen
Erst langsam und - aufgrund der prekären Archivlage - noch immer unbefriedigend kommt zutage, welche Partisanen- und oft auch Terroristengruppen auf österreichischem Boden nach 1945 tätig waren und ein zusätzliches Bedrohungsszenario boten: nationalukrainische antikommunistische Verbände ("Bendergruppen"; gegen die russischen Truppen gerichtet), Jüdische Untergrundkämpfer für einen eigenen Staat in Palästina (gegen die britischen Truppen gerichtet; erstes Attentat in Österreich: 4.8.1947, Hotel Sacher), jugoslawische antikommunistische Gruppen, sowohl Kroaten und Slowenen (Kreuzzügler, Weißgardisten, Ustascha) als auch Serben (Tschetniks). Hinzu kamen gegen Österreich gerichtete jugoslawische kommunistische (Tito)Partisanen sowie antikommunistische und kommunistische tschechoslowakische Partisanen.
Antikommunistische Partisanen in Ostösterreich
Die neueste Forschung zu den ukrainischen antikommunistischen Verbänden gibt ein klares Bild, dass kleinere Einheiten 1947/48 immer wieder über österreichisches Staatsgebiet in die amerikanische Besatzungszone zu gelangen suchten, um mit deren Unterstützung den Partisanenkampf gegen die Kommunisten fortzusetzen.

Das Durchqueren des Gebietes wurde durch wohlwollendes Verhalten der Österreicher oft begünstigt (moderates Auftreten, russenfeindliche Haltung).
Geheimdienstaktivitäten mit amerikanischer Hilfe
Im zweiten Weltkrieg unterstützten die Amerikaner bereits Widerstandsgruppen; bekannt ist die Widerstandsgruppe um Fritz Molden, der ab 1944 zum Verbindungsmann des österreichischen Widerstandes (05) wurde.

Die Spionageabwehrtruppe der US-Armee (Counter Intelligence Corps = CIC) kümmerte sich zunächst um die Entnazifizierung, konzentrierte sich dann im Zuge des Kalten Krieges jedoch immer auf die Sowjetmacht.

Eine Enttarnung oder vermutete Mitarbeit im amerikanischen Geheimdienst seitens der Russen hatte die Exekution oder jahrelanges Strafflager (GULAG) zur Folge; dennoch lockten im Nachkriegsösterreich die finanziellen Zulagen, die man für Spionage in der russischen Zone im Auftrag der Amerikaner bekam.
Bei Personalmangel auch Nationalsozialisten
Der Mangel an geheimdienstlichem Personal unter den Amerikaner nach der Rückkehr vieler CIC-Mitarbeiter 1945 und 1946 in die Heimat führte zu einem Personalmangel. In der Folge griff man auf diejenigen Leute zurück und rehabilitierte jene, die sich im 2. Weltkrieg diesbezügliche Erfahrungen angeeignet hatten:

Ehemalige Mitarbeiter der deutschen militärischen Abwehr, des Sicherheitsdienstes der SS sowie der Gestapo wurden als Informanten und sogar als Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes angeheuert, denn "membership in the SS or participation in questionable war-time activities did not disqualify a person from use as a CIC informant".
Franzosen befestigten die Alpen

Die Franzosen waren diejenige westliche Besatzungsmacht, die von einem drohenden "Überfall" russischer Truppen in den Westen direkt betroffen wären; daher rüstete gerade die französische Besatzungsmacht in Tirol und Vorarlberg die Alpen zu Festungen für Abwehr und Belagerung, während man für das worst case-Szenario seitens der Amerikaner und Briten zunächst eine Räumung Österreichs und Freigabe an den Aggressor plante, um mit vereinten Kräften eine Rückeroberung zu starten.

Die Alpen wurden von den Franzosen zur Festung ausgebaut, zugleich aber wurden strategische Punkte wie Brücken und Tunnels von dem französischen Oberkommandierenden, General Béthouart, mit Minenlagern für einen möglichen Rückzug ausgestattet.
Französisches Österreicherkontingent
Ab 1943 haben sich u.a. in Nordafrika mehrere österreichische Emigrantenverbände gebildete, die mit Freiwilligen und Kriegsgefangenen ein Kontingent bildeten, das an der Rückeroberung Österreichs auf französischer Seite mitwirken wollte.

Bei der Befreiung Österreichs kam das Kontingent jedoch nicht zum Einsatz. Das Österreicher-Bataillon wurde am 26.9.1945 nach Österreich verlegt (Lager Reichenau, Innsbruck). Es endete mit dem Verbot jeglicher militärischer Betätigung in Österreich durch den alliierten Rat am 10.12.1945.
Die Heeresagenden nach 1945: Demobilisierung

B-Gendarmerie
(Panzerspähwagen ohne Kanone: 1954)
Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde am 1. Mai 1945 dessen Wehrverfassung außer Kraft gesetzt und ein Heeresamt in der Staatskanzlei zur anstehenden Demobilisierung von rund 1.000.000 Österreicher eingerichtet (Demobilisierungsgesetz: 12.6.1945).

Am 22.8.1945 folgte eine Kommission zur Entnazifizierung aller Militärs österreichischer Herkunft, gleichzeitig war ein österreichischer Sicherheitsapparat und ein kleines Heer seitens der Regierung Renner geplant. Es wurde diesbezüglich mit der Errichtung von Heeresamtsstellen in Österreich begonnen.

Mit der offiziellen Anerkennung der Regierung Renner am 20.9.1945 wurde allerdings die Wiederaufstellung eines Heeres untersagt; die Demobilisierung war vorrangig. In der Folge wurden die Heeresamtstellen unter strenge Kontrolle der Alliierten gestellt, bis sie am 30.11.1945 aufgelöst und am 10.12.1945 jegliche militärische Tätigkeit untersagt wurde.
B-Gendarmerie wurde zum Vorläufer des Bundesheeres

B-Gendarmen beim Marsch
Die Einstellung der Westalliierten zu einer bewaffneten Heerestruppe sollte sich 1947/48 im Zuge des Kalten Krieges ändern, nicht zuletzt durch Vorfälle wie die kommunistische Machübernahme 1947 in Budapest und 1948 in Prag (die Unterstützung der Gewerkschaftsorganisation um Franz Olah waren u.a. Folgen dieses Umdenkens).

Auch die von österreichischer Seite geforderte Bewaffnung gegen mögliche Übergriffe seitens der Kommunisten wurde von den Westalliierten aufgegriffen - durch Aufstockung der Gendarmerie mit Alarmbataillons (mit amerikanischer Bewaffnung und Ausrüstung). Daraus entstand unter Heranziehung von ehemaligem (nicht nationalsozialistisch belastetem) Heerespersonal mit 1.8.1952 die B-Gendarmerie, der Vorläufer des Bundesheeres (nach 1955).

Diese Formation und auch die Ausbildung musste vor den Russen streng geheim gehalten werden, die offensichtlich davon erfuhren und in der Wiener Verbindungsstelle intensivere Inspektionen durchführten: "Meldete sich sowjetischer Besuch im Büro des Leiters Emil Liebitzky an, haben dessen Mitarbeiter die Büros auf der Dominikanerbastei zugesperrt und sind spazieren gegangen", wie ein Zeitzeuge berichtet.
Plan gegen einen russischen Übergriff blieb ohne Folgen

B-Gendarmerie
(Panzerspähwagen mit Kanone: 1956)
Gleichzeitig mit dem Aufbau militärischer Truppen für den Fall der Fälle wurde 1952 an der Erfassung eines Wehraufgebots aus den demobilisierten Soldaten gearbeitet - streng geheim in Zusammenarbeit mit den Westalliierten und auch ohne Wissen der Einzuberufenden.

Der ursprüngliche Plan im Fall eines "Worst Case" sah vor, Österreich freizugeben und sich mit diesen Heerestruppen zurückzuziehen und dann von Italien oder Nordafrika aus Österreich zurück zu erobern (während die Franzosen für eine Verteidigung der Alpen - nicht uneigennützig - eintraten). 1952 wurde ein Wehrpotenzial von 115.610-125.613 Mann errechnet, und man begann diese in Evidenzkarten (ohne Berücksichtigung der Invaliden und beruflich Unabkömmlichen) vorzumerken.

Letztlich verliefen die Planungen ohne Ergebnisse; Gründe waren nicht nur die unterschiedliche Auffassung des zu verteidigenden Gebietes (die österreichische Regierung konnte einem völligen Rückzug aus dem Land nichts abgewinnen), sondern auch die Frage der militärischen Führung im Falle eines Einsatzes (Österreich verlangte das geschlossene Auftreten einer [Exil]Armee, keine Eingliederung als Hilfstruppen) und nicht zuletzt die fehlende Ausrüstung.

[18.7.05]
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B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste
hrsg. v. Walter BLASI, Erwin A. SCHMIDL und Felix SCHNEIDER
Böhlau-Verlag: Wien 2005.
237 Seiten, 8 S. s/w-Abb.
ISBN 3-205-77267-9
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Die Vorgängerstudie
Erwin A. SCHMIDL (Hrsg.)
Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958
Böhlau-Verlag: Wien 2000.
24 x 17 cm, 275 S., 10 Faks., 4 schw.-w. Abb., 3 Karten.
ISBN 3-205-99216-4
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