Hans Michael Maitzen
Institut für Astronomie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Hans Michael Maitzen :  Umwelt und Klima .  Kosmos 
 
"Neokatastrophismus": Astronomie und Ökologie (II)  
  "Neokatastrophismus" - dieses Wort wurde erst vor rund zwei Jahrzehnten geprägt und bezeichnet wissenschaftliche Aktivitäten, die sich mit der Frage befassen, welche Auswirkungen nicht nur in paläontologischer, sondern auch in geschichtlicher Zeit Kollisionen von planetaren Körpern unterschiedlicher Masse mit der Oberfläche unserer Erde haben konnten.  
Dazu gibt es zwei herausragende Beispielsfälle:

1. Der Tunguska-Meteorit, der 1908 in ca. acht Kilometern Höhe über der sibirischen Taiga explodierte und dabei wegen der Zivilisationsleere in diesem Gebiet hauptsächlich Schäden an Fauna und Flora ("Telegrafenbaumstämme") verursachte.

2. Indirekt: der Absturz der Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter im Juli 1994. Ein Ereignis, an dem die ganze Welt nach den entsprechend präzisen Vorhersagen der Astronomen teilnehmen konnte und das in atemraubender Weise ein Szenario ähnlich jenem von "Jurassic Park" illustrierte.
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Der erste Teil des Textes von Hans Michael Maitzen ist am 5. Mai 2004 in science.ORF.at erschienen - in der Reihe "University meets Public". Der betreffende Vortrag fand am 5. Mai 2004 in Wien statt.
->   Mensch - Umwelt - Kosmos: Astronomie und Ökologie (Teil I)
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Die zwei Wege der Forschung
Die Forschung geht zweierlei Wege: Einerseits um zu erkennen, wie extraterrestrische Impakte menschheitlich und kulturell wahrgenommen werden, andererseits um lokale ökologische Besonderheiten dadurch zu erklären (z.B. Entwaldungen wie im Norden Schottlands).
Empfehlenswertes "News Bulletin" zum Thema
Schon seit der Mitte der 90er Jahre gibt es ein "News Bulletin" im Internet - Cambridge-Conference (CCNet), das unter cambridge-conference@livjm.ac.uk sowie über seinen Verwalter Dr. Benny Josef Peiser (B.J.Peiser@livjm.ac.uk)
zu erreichen ist, worin sich Berichte der unterschiedlichsten Art (wissenschaftlich, Zeitungsartikel) über Beobachtungen und Aktivitäten im Zusammenhang mit extraterrestrischen Nahereignissen finden.

Die Frequenz des Erscheinens dieses Bulletins ist bemerkenswert hoch: Alle zwei bis drei Tage befindet sich eine neue Ausgabe im elektronischen Briefkasten. Für Interessierte ist die Anmeldung in diese News Group sehr zu empfehlen.
Einflüsse von außerhalb des Sonnensystems
Auch das gesamte Sonnensystem lebt nicht unter einem kosmischen Glassturz. Der russische Astronom Shklovskij hat bereits 1968 argumentiert, dass die Erde sich innerhalb einer Supernova-Explosionszone befinde.

Die Wirkung einer nahen Supernova-Explosion ist eine zweifache: Zunächst trifft die harte elektromagnetische Strahlung auf das Sonnensystem und damit auf die Erde, wodurch die ökologischen Bedingungen (Atmosphäre usw.) dramatisch ausgelöscht werden - und dann, nach rund 1.000 Jahren trifft der Teilchenfluss der Explosionshülle ein, der wiederum die Erdoberfläche in katastrophaler Weise leer fegt.
Befinden wir uns in einer Supernova-Hülle?
Tatsächlich beobachten wir in der Umgebung der Sonne ein merkbar verdünntes interstellares Medium, was manche zum Schluss führte, dass wir uns innerhalb einer Supernova-Hülle befänden.
Gammastrahlenblitze und Biosphäre
In den letzten Jahren wird auch zunehmend die Rolle der Gammastrahlenblitze im Hinblick auf den Bestand der Biosphäre diskutiert. Die Natur dieser extrem energiereichen Explosionen ist noch keineswegs erschöpfend erklärt und die fantastischen Energieausbrüche würden unserem irdischen Ökosystem keine Chance lassen.
Molekülwolken und Sonneneinstrahlung
Schlussendlich sei noch auf ein eher länger wirkendes Szenario hingewiesen, das die Sonneneinstrahlung auf der Erde nachhaltig beeinflussen könnte: Als augenfälliges Beispiel kann hier der Sternhaufen der Plejaden genannt werden.

Schon seit mehr als einem Dutzend Jahren ist es klar, dass die faserigen Gebilde um die hellsten Mitglieder des Siebengestirns nicht die Überreste der Sternentstehungsphase darstellen, sondern von einer dichten interstellaren Wolke (Molekülwolke) herrühren, die der Sternhaufen gerade durchquert.

Eine solche Passage dichter interstellarer Materie könnte die Standardeinstrahlung der Sonne auf der Erde zwar nicht unmittelbar katastrophal, aber wegen der langen Durchflugszeit (Größenordnung 100.000 Jahre) durchaus bedeutsam reduzieren.
Benachbarte Himmelsköper: NEOs als Bedrohung
Auf Grund der geologischen und paläontologischen Befunde ist es aber naheliegender, als primäre ökologische Bedrohung der irdischen Biosphäre Himmelskörper aus der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft, also aus dem Sonnensystem anzusehen.

Es ist daher verständlich, dass als Grundlage für mögliche Abwehrstrategien - im Film "Armageddon" bereits vorgezeichnet - die vollständige Erfassung der Near Earth Objects (NEOs) angestrebt wird.

Die Registrierung erreicht immer schwächere und damit auch kleinere NEOs, nicht nur im Rahmen von offiziellen Sternwartenprogrammen, sondern auch durch den signifikant wachsenden Beitrag der Privatastronomen, die von der enormen Leistungssteigerung ihrer Beobachtungsgeräte durch die CCD-Technologie profitieren.
Ein Szenario zum Vergleich
Dies ist auch notwendig, wenn man bedenkt, dass ein mit 20 km/sek einschlagendes Objekt mit einem Durchmesser von 20 Metern und der Dichte 2.5 Gramm pro Kubikzentimeter einen Krater mit 600 Metern Durchmesser erzeugt.

Bei solch relativ kleinen Durchmessern und Dichten ist allerdings Vorsicht geboten, denn wir bewegen uns dabei in der Größenordnung des Tunguska-Meteoriten, der den Erdboden gar nicht erreichte, mit seiner vorzeitigen Explosion aber dennoch die lokale Umweltsituation nachhaltig beeinflusste.
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