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Wehrmachtsverbrechen kontra Mythos "sauberer" Feldzug  
  Vor genau 65 Jahren, am 1. September 1939, begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Eine von deutschen und polnischen Historikern erarbeitete Ausstellung im Warschauer Königsschloss widmet sich nun den Wehrmachtsverbrechen in Polen, um mit dem Bild vom "sauberen Septemberfeldzug" aufzuräumen.  
Symbolträchtiger könnten Ort und Zeit für eine Ausstellung über Wehrmachtsverbrechen in Polen nicht sein.

Am 65. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 wurde am Mittwoch im Warschauer Königsschloss, das während des Krieges von den Deutschen zerstört wurde, eine von deutschen und polnischen Historikern erarbeitete Ausstellung eröffnet.
Aufräumen mit dem Bild vom "sauberen Feldzug"
 
Bild: EPA/DPA Files

Die Aufnahme, datiert vom 1. September 1939, zeigt deutsche Wehrmachtsoldaten, die an der deutsch-polnischen Grenze eine Absperrung zerstören.

Die Schau wird zunächst in Polen und im kommenden Jahr auch in mehreren deutschen Städten gezeigt. "Mit größter Brutalität..." lautet der Titel der Ausstellung, die mit dem Bild vom "sauberen Septemberfeldzug" aufräumt, mit dem 1939 der Zweite Weltkrieg begann.
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Kriegsverbrechen von Anfang an Teil der Kriegsführung
"Dieses Schlagwort hat sich leider als Mythos erwiesen", bilanzierte Klaus Ziemer, der Direktor des Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau, das Ergebnis vierjähriger Forschungsarbeit. Das Projekt des DHI-Historikers Jochen Böhler zu den ersten beiden Kriegsmonaten kam zu dem Ergebnis, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen an Zivilisten von Anfang an Teil der Kriegsführung war.
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Ähnliche Ergebnisse wie "Wehrmachtsausstellung"
Die Wissenschaftler kamen damit zu ähnlichen Erkenntnissen wie die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über Verbrechen der Wehrmacht in den Jahren 1941 bis 1945.

"Mit äußerster Brutalität...." ist daher auch als Ergänzung zu dieser in Deutschland heftig umstrittenen Ausstellung gedacht, konzentriert sich aber ganz auf die ersten beiden Kriegsmonate in Polen.
->   Mehr zur "Wehrmachtsausstellung" in science.ORF.at
Die Bombardierung der Stadt Wielun
Klaus Ziemer, Direktor des Deutschen Historischen Institut (DHI) in Warschau, erinnerte an die Bombardierung der Stadt Wielun, Stunden ehe die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs fielen.

Bei dem Angriff kamen 1.200 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. "Ein Kriegsverbrechen", betonte Ziemer. Die Wehrmachtsführung habe noch vor dem eigentlichen Kriegsbeginn "zumindest ahnen müssen, was erwartet wurde".
Massenerschießungen bereits im September
Angesichts von Massenerschießungen bereits im September habe es einzelne Proteste der mittleren Führungsebene gegeben, die "Massenverbrechen nicht mit der Würde des deutschen Soldaten vereinbar hielten".
Enge Zusammenarbeit von Historikern
 
Bild: dpa/Institut für Sozialforschung Hamburg

Das vom Hamburger Institut für Sozialforschung veröffentlichte Foto aus den Jahren 1941/1942 zeigt russische Kriegsgefangene während eines Transportes im Gebiet von Smolensk. Das Foto war in der Wehrmachtsausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944 zu sehen.

Der Vorschlag, das wissenschaftliche Projekt in einer Ausstellung einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, kam vom polnischen Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), das für die juristische und wissenschaftliche Aufarbeitung nationalsozialistischer und stalinistischer Verbrechen zuständig ist.

"So etwas wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen", sagte Ziemer zu der engen Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen. Auch IPN-Historiker Pawel Kosinski lobte die Kooperation: "Eine sehr enge, sehr gute Zusammenarbeit."
Tote Zivilisten, Internierungslager, Erschießungen ...
Die IPN-Juristen hatten zuvor andere Erfahrungen in Deutschland gemacht. Bis in die 80er Jahre hätten deutsche Staatsanwaltschaften die Mitteilungen der polnischen Justiz zu Kriegsverbrechern während des Septemberfeldzugs unter unterschiedlichen Begründungen abgewiesen. Es gab kein einziges Ermittlungsverfahren.

"Um so höher ist die Verantwortung der Historiker, die Einzelheiten aufzuklären und den Opfern Achtung zukommen zu lassen", betonte Ziemer. So zeigt die Plakatausstellung mit Fotografien und Dokumenten tote Zivilisten, Luftangriffe auf Flüchtlinge, in Schutt und Asche gelegte polnische Städte, die keine militärischen Ziele waren.

Internierungslager werden auf den Bildern aus deutschen und polnischen Beständen ebenso dokumentiert wie die Angriffe auf Juden und die Erschießung von Geiseln.

Eva Krafczyk, dpa
->   Deutsches Historisches Institut (DHI)Warschau
->   Institut des Nationalen Gedenkens (IPN)
 
 
 
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01.01.2010