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Studie: Österreich nutzt Potenzial der Migranten nicht  
  Österreich versteht sich nicht als Einwanderungsland, obwohl es eine lange Tradition an Einwanderung hat. Und: Österreich schafft es nicht, aus dem Potenzial der Migranten "vollen Nutzen" zu ziehen. Zu diesen Ergebnissen kommt die aktuelle Pilotstudie "Der Einfluss von Immigration auf die österreichische Gesellschaft", die von der Internationalen Organisation für Migration Wien (IOM) von Mai bis September 2004 durchgeführt wurde.  
Die IOM-Studie stelle einen ersten Versuch dar, an die tatsächlichen Auswirkungen von Immigration interdisziplinär heranzugehen und sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten", heißt es einleitend zu den Ergebnissen.
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Es handelt sich um den österreichischen Beitrag im Rahmen der Pilotstudie "The Impact of Immigration on Europe's Societies" im Auftrag der Europäischen Kommission. Das Projekt wird parallel in acht weiteren EU-Ländern durchgeführt. Die Ergebnisse sollen dann auf EU-Ebene zusammengeführt und im Rahmen einer Konferenz in Brüssel im Frühjahr 2005 präsentiert werden.

Das IOM Wien wurde 2002 zum Nationalen Knotenpunkt Österreichs im Europäischen Migrationsnetzwerk ernannt. Die Studie wird am Freitagabend (24. September 2004) in Wien präsentiert.
->   Die Pilotstudie in www.emn.at (pdf-Dokument)
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Österreich sieht sich nicht als Einwanderungsland
Dabei wird zunächst darauf hingewiesen, dass Österreich - betrachtet man die geografische Lage des Landes sowie seine lange Einwanderungsgeschichte - eine gewisse Tradition an Einwanderung hat.

Doch: "Bis heute ist dies weder von offizieller Seite anerkannt worden, noch ist es ins Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit vorgedrungen."

Trotz der hohen Zuwanderung während der letzten Jahrzehnte aufgrund von Kriegen, politischen Aufständen in den ehemaligen kommunistischen Ländern oder der Rekrutierung ausländischer "Gastarbeiter" aus wirtschaftlichen Gründen sehe sich Österreich nicht als Einwanderungsland.
Migration = Arbeitsmigration
Migration wird hierzulande laut Studie "im Allgemeinen mit Arbeitsmigration gleichgesetzt, die in den frühen 1960er Jahren begann, als zusätzliche Arbeitskräfte benötigt wurden." Dabei hätten die ausländischen Arbeitskräfte zunächst als Garantie für das Wirtschaftswachstum gegolten.
Vom "Gastarbeiter"-System zur Quotenregelung
Das so genannte "Gastarbeiter"-System wurde eingeführt: Junge, meist männliche Arbeiter - vor allem aus Ex-Jugoslawien und der Türkei kamen nach Österreich - und sollten das Land eigentlich nach einigen Jahren wieder verlassen. Viele jedoch bleiben und holten Familienangehörige nach.

Während der 1980er Jahre bis etwa 1992 stieg die Anzahl der ausländischen Wohnbevölkerung weiter - zum einen durch den Fall des Eisernen Vorhangs und den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, aber auch - "und das wird gerne vergessen", so die Studie - aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Notwendigkeit, ausländische Arbeitskräfte ins Land zu lassen.

Als Reaktion auf den Zuwachs wurde schließlich zu Beginn der 90er Jahre ein Quotensystem eingeführt, das jedes Jahr die Anzahl an "Niederlassungsbewilligungen" zu festlegt - "und somit als erste Konsequenz die Einwanderung nach Österreich reduzierte."
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Anteil an Migranten liegt bei rund zwölf Prozent
Der Anteil der Migranten (Anm. der nicht in Österreich Geborenen) an der Gesamtbevölkerung liege bei etwa zwölf Prozent. Von 1989 bis 1993 verdoppelte sich die Anzahl der Migranten von 387.000 auf 690.000. Statistik Austria spricht von einem "Einbürgerungsrekord" im Jahr 2003: über 40.000 Menschen wurde die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
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Gesehen als (finanzielle) Last
Immigration werde von der Bevölkerung eher als (finanzielle) Last und nicht als Bereicherung gesehen, heißt es weiter in der Studie. In den frühen 70er und 60er Jahren seien Fragen nach dem Nutzen und den Kosten der Zuwanderung von "Gastarbeitern" auf Grund des Arbeitskräftemangels zweitrangig gewesen.

Das habe sich mit dem vermehrten Familienzuzug und mit der steigenden Anzahl von Flüchtlingen geändert.
Migranten belasten Sozialbudgets nicht
Allerdings belegt die Studie, dass Migranten die Sozialbudgets insgesamt gesehen nicht belasten: Sie zahlen gleich viel ein, wie sie wieder herausnehmen. Der höhere Bezug von Kinderbeihilfen werde kompensiert durch die geringere Nutzung der Bildungseinrichtungen.
Diskriminierung durch unterschiedlichen Status
Eine Folge des unterschiedlichen rechtlichen Status ausländischer Arbeitskräfte gegenüber den inländischen: "eine für Österreich neue soziale und ökonomische Schichtung, die zu Diskriminierungen in vielen unterschiedlichen Aspekten führte."

Bis in die 1990er Jahre seien Immigranten nicht als soziale, politische und kulturelle Akteure wahrgenommen worden. Das Potenzial, das Immigration mit sich bringe, sei "die längste Zeit hindurch für die politischen Entscheidungsträger, die Forschung sowie die österreichische Gesellschaft" kaum von Interesse gewesen.

Erst in den letzten Jahren, berichten die Studienautoren, habe sich eine langsame Veränderung bemerkbar gemacht.
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Stichworte zum Inhalt der Pilotstudie
Die Studie bietet Informationen zu einer ganzen Reihe von Aspekten ("EinwanderInnen als KonsumentInnen", "Der Einfluss der Einwanderung auf Exporte und Importe", "Kulturelle Diversität und Wettbewerbsfähigkeit", "ImmigrantInnen und der kulturelle Kontext: Essen, Sport, Mode, Kunst und Medien, "Die Partizipation von ImmigrantInnen im politischen System", "Rechtliche Rahmenbedingungen", "Armut und soziale Ausgrenzung" etc.). Ebenso findet sich ein Überblick über die Einwanderungsgeschichte Österreichs - beginnend 1945 bis hin zu den jüngsten Entwicklungen und der aktuellen Situation.
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Der Begriff der "kulturellen Vielfalt"
Vor allem der Begriff der "kulturellen Vielfalt" spielt heute eine Rolle: Diese werde - im Gegensatz zu früheren Debatten in den 1970er und 1980er Jahren - heute nicht mehr als Bedrohung gesehen, sondern als Ressource für die Gesellschaft.
Positiv: Kultur und Folklore
Positiver wird Migration demnach in Zusammenhang mit Kultur und Folklore gesehen. Anfangs seien die Geschäfte und Restaurants zur Versorgung der eigenen ethnischen Gruppe entstanden - bis sie auch von der übrigen Bevölkerung angenommen und genutzt wurden.

Das Essen, der Einfluss auf Handwerk und Kunst führe zu Vielfalt und werde als bereichernd erlebt. Ein Detail aus der Landwirtschaft: Die Wiederbelebung der Schafzucht in Österreich hänge mit der vermehrten Nachfrage der türkischen Migranten zusammen.
Mangel in der Migrationsforschung
Dennoch: "Es fehlt in Österreich an institutionellen und finanziellen Grundlagen für Migrationsforschung. Es gibt weiters keinen eigenen Studienzweig. Das ist ein großes Manko", kritisierte die wissenschaftliche Koordinatorin der Studie, Sophie Hofbauer gegenüber der APA.
->   IOM Wien
->   Europäisches Migrationsnetzwerk (Nationaler Knotenpunkt Österreich)
->   Alles zum Stichwort Migration in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010