News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Das Drama von Eulau  
  Archäologen haben in Deutschland ein Grab aus der Jungsteinzeit gefunden. Analysen zeigen: Es handelt sich dabei nicht nur um den bislang ältesten Nachweis einer Familie, sondern auch um das Dokument eines grausamen Mordes.  
Pfeil- und Axtspuren
Gesicht zu Gesicht liegen sie in ihrem Grab - Vater, Mutter und ihre beiden Söhne. Der Blick in das Grab aus der späten Steinzeit ließe den Betrachter an Ruhe und Innigkeit denken. Wäre da nicht der Anlass, der zur Bestattung der Kleinfamilie geführt hat: Alle vier wurden ermordet. Am Fundort in Eulau, Sachsen-Anhalt, finden sich noch weitere Gräber.

Die meisten Skelette weisen Spuren eines gewaltsamen Todes auf: eine Pfeilspitze in der Wirbelsäule, Hiebmarken einer Axt auf dem Schädel, Verletzungen an den Unterarmknochen. Letzteres weist darauf hin, dass die Opfer sich zu schützen versuchten, bevor sie von Angreifern getötet wurden.
4.600 Jahre alt
 
National Academy of Sciences, PNAS (2008)

Im Jahr 2005 hat der deutsche Archäologe Robert Ganslmeier die neolithischen Gräber entdeckt, seitdem formierte sich ein Team von Fachleuten aus aller Welt, um diesen steinzeitlichen Kriminalfall aufzuklären.

Dabei kam neben klassischen archäologischen auch jede Menge naturwissenschaftliche Methoden zum Einsatz, genetische etwa: Wie die Forscher nun im Fachblatt "PNAS" (Bd. 105, S. 18226) berichten, handelt es sich bei den zwei Erwachsenen und den beiden Kindern tatsächlich um Eltern und ihre Kinder, das belegen Analysen des Erbmaterials. Und: Mit 4.600 Jahren dürfte es sich dabei um den bislang ältesten Nachweis einer "Kernfamilie" - Vater, Mutter, Kinder - handeln (siehe Bild oben).
Patchwork- oder Kernfamilie?
"Durch den Nachweis von genetischen Verbindungen zwischen den beiden Erwachsenen und Kindern haben wir die klassische Kernfamilie in den prähistorischen Kontext eingeführt", sagt der Erstautor der Studie, Wolfgang Haak. "Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Familienform ein universelles Modell für die ältesten menschlichen Kulturen ist."

Mit Extrapolationen müssen die Forscher - trotz der Klarheit ihrer Ergebnisse - noch vorsichtig sein. Inwieweit man von diesem Fund auf die Form des Zusammenlebens in der neolithischen Kultur schließen kann, ist nach wie vor strittig.

Bislang ging man nämlich davon aus, dass damals Beziehungen keineswegs für die gesamte Lebenszeit Bestand hatten und Partnerwechsel durchaus häufig stattfanden. Demnach wären eigentlich Patchworkfamilien als typisch für die späte Steinzeit anzusehen - und die Kernfamilie von Eulau eher als Ausnahme.
Bruch mit dem Ritus
 
National Academy of Sciences, PNAS (2008)

Auch was den Bestattungsritus betrifft, brachte der Fund in Sachsen-Anhalt Überraschungen. In der jungsteinzeitlichen Kultur dieser Region war es üblich, die Besttatteten mit Blick Richtung Süden auszurichten, die Männer mit dem Kopf nach Westen, die Frauen gen Osten. Bei den Gräbern von Eulau war es anders: Die Eltern sehen ihren Kindern ins Gesicht (siehe Rekonstruktion oben), die Familienbande dürften offenbar wichtiger gewesen sein als der Ritus.

Haak und seine Mitarbeiter analysierten auch die Zähne der Skelette und machten dabei einige interessante Entdeckungen. "Wir haben Strontium-Isotope in den Zähnen gemessen, weil uns das Hinweise darauf gibt, wo diese Menschen ihre Kindheit verbracht haben", sagt Hylke de Jong, der gerade seine Dissertation über die Gräber von Eulau schreibt und ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat.

"Strontium wird durch das Essen aufgenommen und in die Zähne inkorporiert, solange sie wachsen. Wir können die Verhältnisse von Striontium-Isotopen zu Regionen mit unterschiedlicher Geologie in Verbindung setzen und so herausfinden, wer wo aufgewachsen ist."
Weibliche Wanderungen
Die Analyse zeigt: Die Frauen verbrachten ihre Kindheit an einem anderen Ort als ihre Männer und Kinder, was wiederum Aufschluss über die Art der Familienbildung gibt. "Exogamie" und "Patrilokalität" nennt man das im Fachjargon. Ersteres bezeichnet das Verbot, innerhalb der eigenen Gruppe zu heiraten bzw. das Gebot, sich einen Partner außerhalb derselben suchen zu müssen.

Das galt jedoch nur für die Frauen, denn die Männer, das besagt der zweite Begriff, blieben bei der Familiengründung an Ort und Stelle. Anthropologen werten das als Strategie zur Vermeidung von Inzucht. Die auswärtigen Hochzeiten dürften außerdem als vertrauensbildende Maßnahme zwischen Sippen gedient haben, um die Zusammenarbeit zu fördern und gewaltsame Konflikte zu verhinderten.

Jenen Krieg, der der vierköpfigen Familie und den anderen Gruppenmitgliedern das Leben gekostet hat, konnten auch sie nicht verhindern. Die Skelette von Eulau sind derzeit im neu renovierten Landesmuseum Sachsen-Anhalt zu sehen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 18.11.08
->   Landesmuseum Sachsen-Anhalt
->   Jungsteinzeit - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Ältestes Grab von Schamanin gefunden
->   Riesige Totenstadt in Rom entdeckt
->   "Spanischer" Neandertaler verspeiste Meerestiere
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010