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Stadtbahnbögen: Von Otto Wagner bis heute  
  Etliche Jahre war der Gürtel Dauerthema der aktuellen Berichterstattung. Seit einiger Zeit ist es stiller um ihn geworden. Dabei ist der Abschluss des von der EU geförderten Sanierungsprojekts, dem der Gürtel und mit ihm die Stadtbahnbögen die erhöhte Publicity verdankten, greifbar.  
Hochbahntrasse aus Prestigemangel
Die Stadtbahnbögen am Gürtel sind ein Ergebnis der Stadtplanung des 19. Jahrhunderts. Diese konzipierte den Gürtel als äußere, Wohn- und vor allem Verkehrszwecken gewidmete Ringverbindung. Nicht als Repräsentationsboulevard wie die Ringstraße, die kein Verkehrsbauwerk "verschandeln" durfte.

Deshalb war auf der Gürtelstraße von vornherein der Einbau einer Bahn geplant. Daraus wurde letztendlich die auf einem mächtigen gemauerten Viadukt mitten auf der Straße fahrende Gürtellinie der Stadtbahn (erbaut 1893 - 1901), die anfangs eine Dampfeisenbahn war.

Denn am Gürtel haben die Bauherren im Unterschied zu den zentrumsnahen und aus anderen Gründen mit Prestige ausgestatteten Strecken an der Donaukanal- und Wientallinie auf die Chance verzichtet, die Stadtbahn gleich oder später im Untergrund verschwinden zu lassen.
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Gastbeitrag von Christa Veigl
Die Autorin dieses Artikels, Christa Veigl, studierte Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien und lebt derzeit als Publizistin und Redakteurin in Langenzersdorf. Sie verfasste mehrere Arbeiten über Otto Wagner und die Wiener Stadtbahn. Im Rahmen einer Kooperation des "Forschungsschwerpunkts Kulturwissenschaften/Cultural Studies" mit science.orf.at stellt sie ihr 1999 abgeschlossenes Projekt "Stadtraum Gürtel, Wien" sowie neue, zum Teil unveröffentlichte Arbeitsergebnisse vor.
->   FSP Kulturwissenschaften, Projekt "Stadtraum Gürtel, Wien"
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Zur Erinnerung: URBAN-Gürtelsanierung 1995 - 2001
Die enorme Belastung durch den KfZ-Verkehr und die daraus resultierende soziale Abwertung haben die Gürtelzone im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in eine Dauerkrise manövriert. Das Verkehrsproblem ist nach wie vor ungelöst und wird es - da es eines der ganzen Stadt ist - vorläufig bleiben.

Aber Wiens Stadtplaner erkannten Anfang der 1990er Jahre, dass punktuelle Maßnahmen zur Hebung der Lebensqualität am Gürtel nicht von einer unrealistischen "großen" Verkehrslösung abhängen.

Und nun war ausgerechnet der soziale Abstieg der Gürtelzone die Voraussetzung gewesen, um Fördergelder aus dem URBAN-Programm der EU locker zu machen. Die prominenteste Maßnahme aus dem Bündel der URBAN-Projekte war die Revitalisierung der Gürtelmittelzone. Und diese motivierte die Stadt Wien zur Sanierung freier Viaduktbögen und zum Einbau neuer Fassaden.
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Lederwarengeschäft im Gürtelviadukt mit historischen Fassaden.
© Christa Veigl
Eine Hochbahntrasse ist mehr als eine Bahntrasse
Die beim Stadtbahnbau angelegte multifunktionale Nutzung der Hochbahntrasse am Gürtel wurde in den 1990er Jahren als urbanes Potential wiederentdeckt. Hundert Jahre früher hatte Otto Wagner verschiedene Fassadentypen zur Schließung der zu vermietenden Räume im Viadukt entworfen. Die heute unter Denkmalschutz stehenden historischen Geschäftsfassaden des Gürtelviadukts leiten sich davon ab. Zu den wenigen gut erhaltenen unter ihnen zählen die des Lederwarengeschäfts bei der Station Währinger Straße (siehe Abb. links). Die meisten anderen Altnutzer sind längst verschwunden.
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Wotrubas Atelier in den Stadtbahnbögen

Einer der neu gestalteten Stadtbahnbögen des Fahrradgeschäfts MOUNTAINBIKER
© Silja Tillner
Im Herbst 1933 besuchte Elias Canetti den Bildhauer Fritz Wotruba in dessen Atelier "unter dem Viadukt der Stadtbahn". Canettis Bericht in "Das Augenspiel" ist das literarisch bedeutendste Zeugnis für das frühere Leben in den Stadtbahnbögen.

Den archivarischen Quellen nach gab es dort vor dem 2. Weltkrieg einen bunten Nutzungsmix vom Café, über Ställe einer Brauerei, verschiedene Gewerbebetriebe bis zu einer Meinl-Filale.

Dieses Angebot ergänzten die Gasthäuser in den Stationen. Der Schwerpunkt der 1995 begonnenen Sanierung und Neunutzung frei werdender Bögen liegt auf dem Sektor Unterhaltung und Gastronomie. Daneben behaupten sich auch einige Geschäfte als Neumieter. Die "Neuen" sind auf den ersten Blick an den Glasfassaden der Architektin Silja Tillner zu erkennen.
Denkmalschutz und Erneuerung "im Stile unserer Zeit"
Für den Stil "unserer Zeit" hatte sich Otto Wagner in Zusammenhang mit Erneuerungen von historischen Bauwerken ausgesprochen und die "panoptikumartige Nachbildung" der ursprünglichen Gestalt abgelehnt. Silja Tillners neue Glasfassaden sind in diesem Sinn zeitgemäß und tragen zugleich "der Macht des gewohnten Bildes" (Otto Wagner) Rechnung, indem sie den Teilungsraster der historischen Fassaden beibehalten.

Sie sind Ensembleschutz im positiven Sinn, weil sie sich selbstbewußt ganz ohne Stilkopie dem historischen Bestand unterordnen. Tillners Fassaden haben zudem eine auffallende Ähnlichkeit mit einem nicht realisierten Entwurf Wagners, der ebenfalls möglichst viel Fenster- bzw. Auslagenfläche und möglichst wenig undurchsichtigen Wand- und Stützanteil aufweist.
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Literatur:
Christa Veigl (Hg.): Stadtraum Gürtel. Wien. Promedia Verlag, Wien 1999.
->   Gesamtkunstwerk Wiener Stadtbahn, Essay von Christa Veigl
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Ziegelrot oder ziegelgelb?

Otto Wagner wurde in letzter Sekunde mit der ästhetischen Ausgestaltung der Stadtbahn beauftragt und musste die Vorarbeiten der Staatsbahnen berücksichtigen. Die (heute) bräunlich-rötlichen Sichtziegel des Viadukts stehen in hartem Kontrast zu dem weißen Putz der Stationen. Wagner hat außer bei der Stadtbahn keine Ziegelfassaden geplant oder ausgeführt.
Zwei Studien Wagners am Beginn der Entwurfsarbeit für die Stadtbahn zeigen Bogen mit Putzfassaden wie bei den Stationen ausgeführt.

Der Viadukt dagegen bekam die Ziegelverkleidung. Laut erhaltenen Aufzeichnungen zum Stadtbahnbau sollten die Ziegel weiß-gelblich sein. Es gibt auch Hinweise darauf, dass tatsächlich gelbe Ziegel verwendet wurden. Und wer heute z. B. den Gürtelviadukt aufmerksam betrachtet, findet immer wieder gelbliche Ziegel.
Ästhetischer Kompromiss?
Möglicherweise hat man schon beim Bau da und dort auch rötliche verwendet, mit den Ausbesserungen im Lauf eines Jahrhunderts wurde aus dem gelblichen ein rötlicher Viadukt. Auch wenn es nicht darum geht, einen historischen Zustand wieder herzustellen, ist es von Interesse, wie der Viadukt ursprünglich aussah.

Dem Architekten Otto Wagner war die Farbe seiner Bauten sicher nicht gleichgültig. Er hatte die Ziegelverkleidung des Viadukts als gegebene Vorplanung der Bauherren hinnehmen müssen und sein "unpraktisches" Putzweiß nicht durchsetzen können. Die "hell-gelbe" Farbe könnte sein ästhetischer Kompromiss mit den Ziegeln gewesen sein.

Christa Veigl
->   Guertel.at
 
 
 
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01.01.2010