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Zivilcourage gegen Massenmord  
  Im oberösterreichischen Hartheim befand sich eine der bekanntesten Vernichtungsstätten des Dritten Reichs. Eine ORF-Dokumentation zeigt jetzt, dass sich nicht alle einschüchtern ließen, die davon wussten. Im Gegenteil: Es gab sogar Widerstand aus den Reihen des NS-Regimes.  
In Hartheim wurden Tausende Menschen umgebracht und vergast: Alte, Kranke, Behinderte, Hilfsschüler, Waisen, Alkoholiker, politische Häftlinge und Zwangsarbeiter.

Für das NS-Regime waren diese Menschen "unwertes Leben". Mit diesem ideologischen Kriterium, das ganz und gar nicht medizinisch war, wurde eine umgangreiche Vernichtungsmaschinerie legitimiert.
Eine geheime Reichssache
Willkürlich wurden immer mehr soziale Gruppen von der Vernichtung bedroht. Das NS-Regime wusste, dass es damit gegen jede christliche und humanistische Tradition verstieß. Der Massenmord fand deshalb als Geheime Reichssache statt.

Doch die Vertuschung erregte Aufmerksamkeit. So zeigte im Oktober 1940 ein Vater den mysteriösen Tod seines Sohnes in Hartheim bei der Staatsanwaltschaft an. Er hatte den Verdacht, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugehen könne.
->   Verein Schloss Hartheim
NSDAP-Mitglied gegen NS-Terror
Den Behörden in Oberdonau schien die Sache zu brisant. Statt zu ermitteln, baten sie den vorgesetzten Generalstaatsanwalt in Linz, Ferdinand Eypeltauer, das Verfahren einzustellen.

Doch Eypeltauer entschied anders. Er ordnete an, den verantwortlichen Arzt im Schloss auszuforschen und als Beschuldigten vernehmen zu lassen. Eine einzigartige Situation: Eypeltauer war selbst NSDAP-Mitglied, und doch der einzige österreichische Justizbeamte, der gegen die Verbrechen des Regimes ermittelte.
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'Recht muss Recht bleiben'
Eypeltauer war der Ansicht: Recht muss Recht bleiben, ein Todesfall, der ungeklärt ist, muss aufgeklärt werden. Fast ein Jahr lang betrieb der Generalstaatsanwalt die Erhebungen. Weil diese in Hartheim behindert wurden, berichtete er sogar direkt an den Reichsjustizminister.
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Aufregung in Berlin
Die höchsten Stellen in Berlin waren in Aufregung: Eypeltauers Arbeit konnte die gesamte Vernichtungsaktion auffliegen lassen.

Im September 1941 erhielt Eypeltauer die Order, das Verfahren einzustellen. Er fügte sich, zog aber daraus persönliche Konsequenzen und legte sein Amt zurück.
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Ein Vernichtungslager mitten im Ort
Hartheim war die einzige Vernichtungsanstalt , die mitten in einem Ort lag. Niemand konnte wegsehen. Das führte zu Verdrängung, Kollaboration, aber auch zu Widerstand.
->   Aufdecker von NS-Morden geehrt
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Ein Hartheimer als mutiger Fotograf
Karl Schuhmann, dessen Familie direkt neben dem Schloss wohnt, kam als einer der ersten Hartheimer dem Vernichtungsbetrieb auf die Spur. Schuhmann handelte schnell: zunächst versuchte der Hobbyfotograf das Geschehen zu dokumentieren.

Trotz der Einschüchterungen durch das Schlosspersonals gelangen ihm immer wieder Fotos vom Schloss. Eines zeigt den Rauch der verbrannten Leichen. Es ist ein einzigartiges historisches Dokument.
Stalingrad-Veteran im Widerstand
Schuhmann fiel damals nicht als politischer Mensch auf. Er war kein Oppositioneller im herkömmlichen Sinn. Schuhmann leistete sogar seinen Dienst bei der Wehrmacht ohne Murren ab.

Doch Schuhmann war auch praktizierender Christ, kam aus einer tiefgläubigen Familie. Er empfand es als moralische Verpflichtung, etwas gegen den Massenmord in Hartheim zu tun. Als er von seinem Wehrmachtseinsatz in Stalingrad zurückkam, schloss er sich einer Widerstandsgruppe an.
Hartheimer gegen das Regime
Die kleine Gruppe, angeführt vom Eisenbahner Leopold Hilgarth und Schuhmanns Bruder Ignaz, verfasste Flugblätter und verteilte sie unter der Bevölkerung. Die vier Leute, die völlig alleine operierten und hinter denen keine Organisation stand, wollten die Hartheimer gegen die Verbrechen des Regimes zu mobilisieren.

Im Jahr 1944 flog die Gruppe auf. Der Anführer Hilgarth und Schuhmanns Bruder wurden hingerichtet. Schuhmann selbst kam als hochdekorierter Stalingradveteran mit einer Gefängnisstrafe davon.

Weder die Widerstandsgruppe noch Generalstaatsanwalt Ferdinand Eypeltauer konnten letztendlich den Massenmord in Hartheim stoppen. Doch durch ihre Aktionen haben sie ein Zeichen der Zivilcourage gesetzt in einem Klima von Angst und Verdrängung.

Tom Matzek/Modern Times
 
 
 
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01.01.2010