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Alte Gene gegen Krebs  
  Forscher haben bei der Entzifferung des Genoms eines evolutionär sehr alten Einzellers überraschend Gene entdeckt, die beim Menschen für Krebs und andere Krankheiten eine wesentliche Rolle spielen. Die neuen Ergebnisse liefern wertvolle Informationen über das Zusammenspiel bestimmter Gene und Krankheiten.  
Ein europäisches Forschungskonsortium, zu dem auch das Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik gehört, hat gemeinsam mit dem Sanger-Centre in Hinxton/Cambridge, Großbritannien den genetischen Code der Spalthefe (Schizosaccharomyces pombe) komplett entschlüsselt.

Die Forscher beschreiben ihre Ergebnisse im englischen Wissenschaftsmagazin "Nature".
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Artikel in "Nature" (kostenpflichtig; The genome sequence of Schizosaccharomyces pombe; Nature 415, 871 - 880, 2002).
->   Artikel in "Nature"
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50 wichtige Gene
Schizosaccharomyces pombe ist das sechste eukaryontische Genom, das sequenziert wurde: nach S. cerevisiae (Bäckerhefe), Caenorhabditis elegans (Fadenwurm), Drosophila melanogaster (Fruchtfliege), Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) und Homo sapiens (Mensch).

Die Forscher fanden unter den 4.824 Genen dieses bereits vor einer Milliarde Jahre entstandenen Organismus überraschend 50 Gene, die direkt mit menschlichen Krankheiten in Zusammenhang stehen, die Hälfte davon mit Krebs.

Eukaryonten sind Organismen mit echtem Zellkern, deren Zellen im Gegensatz zu Prokaryonten (Bakterien) eine Kernhülle besitzen und Kernteilungen durchlaufen.
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Einzelliger Pilz
Schizosaccharomyces pombe ist ein einzelliger, frei lebender Pilz, der viele Eigenschaften mit den Zellen wesentlich komplizierterer, mehrzelliger Eukaryonten gemeinsam hat. Aus Vergleichen von Gensequenzen und stammesgeschichtlichen Analysen weiß man, dass sich die Spalthefe von der Bäckerhefe vor etwa 330 - 420 Millionen Jahren, und von den Vielzellern und den Pflanzen bereits vor etwa 1 - 1,2 Milliarden Jahren wegentwickelt hat. S. pombe wurde erstmals 1890 beschrieben und seit den 1950er Jahren extensiv untersucht, so dass bereits mehr als 1.200 seiner Gene charakterisiert werden konnten.
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Kleinste bisher gefundene Genanzahl
Jetzt, nach Abschluss seiner Sequenzierung, steht fest: Das Genom von S. pombe enthält mit 4.824 die kleinste Zahl an Genen, die bisher in einem Eukaryonten, also einem Lebewesen, dessen DNA sich wie bei uns im Zellkern befindet, festgestellt wurde.

S. pombe hat damit sogar weniger Gene als manches Bakterium, wie Streptomyces coelicolor, dass üblicherweise als einfachste Lebensform auf der Erde angesehen wird.
Kompakte Informationen
Doch das Genom hat noch eine andere Besonderheit: Es ist extrem kompakt, d.h. die Abstände zwischen den einzelnen Genen sind vergleichsweise gering (nur 400 - 1000 Basenpaare), es gibt viel weniger "junk DNA", wie die Experten sagen. So fanden sie nur 33 Pseudo-Gene (der Mensch hat viele Tausende davon), und jedes Gen ist durchschnittlich nur 1.400 Basenpaare (bei uns sind es über 30.000) lang.

Über 60 Prozent der sequenzierten Basen vom S. pombe Genom kodieren Proteine, beim Menschen sind es nur zwei Prozent. Auf durchschnittlich 2.500 Basenpaare kommt bei diesem Einzeller ein Gen, zum Vergleich: beim Menschen auf 100.000 Basenpaare. Daraus schlussfolgern die Wissenschaftler unter anderem, dass mehr programmatische Flexibilität und damit mehr DNA im Genom erst beim Übergang von einfachen zu höheren Lebensformen benötigt wird.
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Sequenz und Analyse
"Mit S. pombe haben wir erstmals einen komplexen Organismus, dessen Genom wir nicht nur komplett sequenzieren, sondern dessen Gene wir auch komplett analysieren konnten", erklärt Richard Reinhardt, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und einer der Mitautoren. Zum Vergleich: Beim Humangenom kennen wir die Anfangs- und Endpunkte der einzelnen Gene exakt erst bei einigen Inseln, wie z.B. dem Chromosom 21. Erst im Jahr 2004/2005 wird man international auch dort die Gene genau bestimmt haben", so Reinhardt.
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Zuverlässige Aussagen über Funktion
Doch dank der Ähnlichkeiten in der Sequenz des Genoms konnten die Wissenschaftler - vor allem durch Vergleiche in den Genom-Datenbanken der Bäckerhefe sowie des Menschen - bereits auch recht zuverlässige Aussagen zur Funktion verschiedener Gene machen.

Hierbei identifizierten sie Gene, die sehr wichtig für die Zellorganisation bei Eukaryonten sind und offensichtlich bereits über einen extrem langen Zeitraum (1 Mrd. Jahre) konserviert geblieben sind.

"Es war schon sehr erstaunlich, bei einer in der Evolution so früh entstandenen Lebensform Gene zu entdecken, die den Genen beim Menschen so ähnlich sind", so Reinhardt.
Ein Jahrmarkt der Gene
Unter den entdeckten Genen sind solche, die für das Zytoskelett, die Zellstruktur und -bewegung, die Zellteilung, den Proteinumsatz und die Proteinaktivierung von Bedeutung sind. Diese Gene dürften also bereits mit dem Aufkommen der ersten eukaryontischen Lebensformen entstanden sein.

Hingegen wurden nur wenige in gleicher Weise erhalten gebliebene Gene gefunden, die für die Organisation in Mehrzellern notwendig sind. Deshalb vermuten die Wissenschaftler, dass der Übergang von den Prokaryonten zu den Eukaryonten mehr neue Gene erfordert hat, als der Übergang vom Ein- zum Vielzeller.
Modellorganismus für die Krebsforschung
Unter den 4.824 Genen von S. pombe sind - zur völligen Überraschung für die Wissenschaftler - auch 50, die beim Menschen eng im Zusammenhang mit bestimmten Krankheiten (zystische Fibrose, erbliche Taubheit und nicht Insulin abhängige Diabetes) auftreten, davon allein die Hälfte bei Krebs. Von daher wird S. pombe nun plötzlich zu einem sehr interessanten Modellorganismus für die Krebsforschung.
Hefezellen einfacher zu analysieren
Jetzt soll S. pombe den Forschern helfen, Krebs und andere Krankheiten besser zu verstehen und auch zu heilen. Denn Hefe-Zellen sind viel einfacher zu studieren als menschliche Zellen.
->   Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik
 
 
 
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01.01.2010