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Energiearme Elektronen können DNA schädigen  
  Wie schädlich ist energiereiche Strahlung, wie sie etwa bei der Röntgen- oder Radiodiagnostik entsteht, für eine lebende Zelle? Dieser Frage haben sich Innsbrucker Physiker angenommen - und die Vorgänge im Detail auf molekularer Ebene untersucht. Die Wissenschaftler konnten nun erstmals nachweisen, dass auch durch in Folge der Bestrahlung entstehende, energiearme Elektronen biologische Materialien - wie die DNA einer Zelle -zerstört werden können.  
Die Erkenntnisse der Forschergruppe um Tilmann Märk vom Institut für Ionenphysik der Uni Innsbruck werden diese Woche im renommiertesten Physik-Fachjournal "Physical Review Letters" veröffentlicht.
Energiereiche Strahlung schädigt das Gewebe
Bisher ging man davon aus, dass Schäden im biologischen Material durch die direkte Wechselwirkung von energiereicher Strahlung - wie z.B. Alpha-, Beta-, Gamma- oder Schwerionenstrahlen - mit dem Gewebe entstehen.

Hinzu - so der Wissensstand - kommen Schäden durch so genannte sekundäre Prozesse, die von hochenergetischen Elektronen ausgelöst werden.
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Ursache ist letztlich immer die Primärstrahlung
Ursache für diese Vorgänge ist letztlich immer die Primärstrahlung: Durch die Bestrahlung mit den energiereichen Teilchen entstehen in sehr großer Zahl auch Elektronen. "Durch ein einzelnes Photon oder Alphateilchen, das mit einer Energie von einer Million Elektronenvolt in biologisches Gewebe gelangt, entstehen etwa 10.000 Elektronen", erklärte Märk am Dienstag gegenüber der APA. Sie geben in Folge nach und nach Energie ab - zum Schluss finden sich Elektronen mit Energien von drei Elektronenvolt (eV) und weniger.
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Meist sekundäre Prozesse verantwortlich
Tatsächlich weiß man bereits seit längerem, dass in zwei Dritteln der Fälle sekundäre Prozesse bzw. Sekundärteilchen für die Zerstörung der Zellmaterialien verantwortlich sind.

Am häufigsten entstehen Elektronen mit Energien von etwa 20 Elektronenvolt (eV) durch diese sekundären Prozesse.
Sekundärelektronen verlieren rasch Energie
Die meisten dieser Sekundärelektronen verlieren durch weitere Stöße rasch an Energie, bis sie - so war man bisher der Meinung - als unschädliche Teilchen zwischen den Wassermolekülen der Zelle gelöst werden.
Auch mit wenig Energie noch erhebliche Schäden
Vor knapp zwei Jahren haben kanadische Physiker allerdings gezeigt, dass auch Elektronen mit einer Energie zwischen drei und 20 eV noch erhebliche Schäden hervorrufen können, so z.B. Brüche des DNA-Doppelstrangs.
Was ist mit Teilchen von drei eV und weniger?
Märk und seine Kollegen sind nun der Frage nachgegangen, ob auch Elektronen mit Energien unter drei eV Schäden im Zellmaterial anrichten können. Bislang sei man davon ausgegangen, dass hierbei wohl nichts mehr passiere, so Märk gegenüber science.ORF.at.
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Molekül-Bausteine mit langsamen Elektronen beschossen
Dazu wurden Molekül-Bausteine der RNA (Uracil) und der DNA (Thymin) mit langsamen Elektronen genau definierter Energie beschossen und die entstehenden Reaktionsprodukte in einem Massenspektrometer analysiert.
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Molekül-Zerstörung fast ohne kinetische Energie
"Zu unserer Überraschung können auch Elektronen mit nahezu keiner kinetischen Energie zwischen null und drei eV bereits zur Zerstörung des Uracil- und Thyminmoleküls führen", kommentierte Märk nun die Ergebnisse seiner Forschergruppe.
Atom fängt langsame Elektronen ein
Der Grund: Gerade weil die Elektronen so langsam sind, führen sie zu weiteren Schäden. Sie werden demnach von einem Atom des Uracil- oder Thymin-Moleküls eingefangen.

Aus dem neutralen Molekül wird dadurch plötzlich ein negativ geladenes, dessen Bindungssituation sich ändert - es zerfällt. Und zwar in ein negativ geladenes Rest-Ion und ein sehr mobiles Wasserstoff-Atom, ein Radikal, das ebenfalls zellschädigend wirkt.
->   Eine Simulation des Vorgangs an einem Uracil-Molekül
Bisher nicht beachteter Mechanismus
Wie Märk erklärte, sei damit ein bisher nicht beachteter Mechanismus entdeckt worden. "Das ist wichtig, damit man versteht, was genau bei Strahlenschädigungen auf molekularer Ebene passiert", so der Physiker weiter.

Im Grunde handelt es sich bei den Zellschädigungen also um ein komplexes Zusammenwirken von Schäden durch die Primärstrahlung sowie durch die Lawine von Sekundärteilchen und chemische Reaktionen durch die freien Radikalen.
Vermutlich ein weit verbreitetes Phänomen
Die Ergebnisse haben nach Angaben der Wissenschaftler gezeigt, dass es sich bei diesem Zerstörungsmechanismus um ein weiter verbreitetes Phänomen handeln muss.

Dies müsse daher bei der Betrachtung von Strahlenschäden auf molekularer Ebene berücksichtigt werden, wie sie einerseits bei der Radiotherapie (z.B. bei Tumor-Bestrahlungen) und Radiodiagnostik, andererseits durch radioaktive Strahlung auftreten können, so Märk.

Nur so könne man nach Möglichkeiten suchen, diese zu vermeiden - etwa durch eine noch gezieltere Bestrahlung.
Weitere Forschungen sollen folgen
Wie Märk allerdings hinzufügt, haben die Innsbrucker Physiker diesen Prozess bislang nur an einem freien Uracil-Molekül in einem Vakuum untersucht. Natürlich sei dieses aber innerhalb einer Zelle in eine ganze Reihe weiterer Moleküle eingebettet.

Die Forscher planen daher nun, ihre Untersuchungen an einem so genannten "Cluster" fortzuführen: ein Uracil-Molekül wird mit Wassermolekülen zusammen gepackt und dann - wie im aktuellen Versuch - mit Elektronen beschossen.
->   "Physical Review Letters"
->   Institut für Ionenphysik der Universität Innsbruck
Mehr zum Thema Strahlenschäden in science.ORF.at:
->   Röntgenstrahlung: Schadet weniger mehr?
->   Strahlenschäden noch im Erbgut der Enkel

->   www.innovatives-oesterreich.at
 
 
 
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01.01.2010