Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 
Geschäft mit dem Leben? (I)  
  "Ethik im Brennpunkt" lautete das Thema der Salzburger Hochschulwochen 2005. Diskutiert wurde unter anderem über das internationale "Geschäft mit dem Leben", an dem Pharmaindustrie und Lebenswissenschaften verdienen. Was sagt die Ethik dazu?  
Ethik und Ökonomie
Schon die Redeweise "Geschäft mit dem Leben" hat einen negativen Beigeschmack. Was aber ist eigentlich genau der Gegenstand der Kritik? Soll behauptet werden, dass Geschäfte "mit dem Leben" in jedem Fall unmoralisch sind? Oder geht es nur um ganz bestimmte Geschäfte, die man aus ethischen Gründen ablehnen muss?

Auf kaum einem Gebiet wird über Ethik und Moral derzeit so kontrovers diskutiert wie im Bereich der Biowissenschaften. Die Debatte über ihre Chancen und Grenzen hat die Diskussion über die friedliche Nutzung der Atomenergie abgelöst. An die Stelle der Physik ist die Biologie als neue Leitwissenschaft getreten. Die "Life Sciences" sind der wissenschaftlich-ökonomische Komplex der Zukunft.

Die Antwort der Ethik auf den explosionsartigen Fortschritt der Biowissenschaften besteht in der Ausbildung einer eigenen Bereichsethik, nämlich der sogenannten Bioethik. Dem Namen nach handelt es bei der Bioethik um die "Ethik des Lebens". Bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich, dass schon der Begriff des Lebens in der bioethischen Debatte vieldeutig und ungenau ist. Zu beklagen ist ein geradezu inflationärer Gebrauch des Wortes "Leben".

Sowohl eine religiöse als auch eine säkulare Bioethik lassen sich mit Wolfgang van den Daele als Versuch einer "Moralisierung der menschlichen Natur" begreifen: "Was durch Wissenschaft technisch disponibel geworden ist, soll durch moralische Kontrolle normativ wieder unverfügbar gemacht werden."
Der Begriff des Lebens
Die griechische Sprache und die antike Philosophie unterscheiden zwei Lebensbegriffe, nämlich bios und zoe. Während als zoe die biologischen Phänomene bezeichnet werden, ist - unserem heutigen Sprachempfinden widersprechend - unter bios die menschliche Lebensführung verstanden. Beiden gemeinsam ist nach antikem Verständnis die Zielgerichtetheit. Hat die zoe nach Aristoteles ihr Zentrum in der Seele, so die menschliche Lebensführung ihren Mittelpunkt im Subjekt bzw. im Geist.

Wenn es um das Leben im Sinne des griechischen Begriffs der zoe geht, kann die Tatsache, dass mit Leben Geschäfte gemacht werden nicht generell verurteilt werden. Denn zur Verfügung über das Leben, die, wie wir schon sahen, unumgänglich und gewissermaßen eine Schöpfungsordnung ist, gehört grundsätzlich auch seine Bewirtschaftung. Tiere werden gekauft und verkauft, Pflanzen und Saatgut, ebenso Lebensmittel aller Art.

Geschäfte mit dem Leben sind also keine neue geschichtliche oder kulturelle Erscheinung, die erst mit der modernen Biotechnologie aufgekommen wären, sondern von jeher ein wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens, vom sprichwörtlichen Kuhhandel bis zum Gemüseeinkauf im Supermarkt. Aber auch der Abschluss einer Lebensversicherung ist ein "Geschäft mit dem Leben".
Wert und Würde
Bei der Verfügung über eigenes und fremdes Leben stellt sich allerdings die Frage nach dem jeweiligen Zweck seiner möglichen Bewirtschaftung und nach deren moralischen Grenzen. Nach Immanuel Kant wird diese Grenze durch den kategorialen Unterschied zwischen Wert und Würde markiert. Kant führt dazu aus: "Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde."

Die christliche Tradition spricht an dieser Stelle von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Nach Kant hat das menschliche Dasein aufgrund seiner Moralität, d.h. seiner Fähigkeit und Bestimmung zur Moral einen "Zweck an sich selbst". Dass Personalität und Moralität das Menschsein und seine Würde ausmachen, gilt nach kantischer Tradition für jedes menschliche Individuum unabhängig von seinen geistigen Fähigkeiten, nach christlicher Überzeugung aufgrund der allen menschlichen Fähigkeiten vorausliegenden Gnade Gottes, der ihn zu seinem Gegenüber bestimmt.
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Neuerscheinung
Ulrich H.J. Körtner, "Lasset uns Menschen machen". Christliche Anthropologie im biotechnologischen Zeitalter, C.H. Beck, München 2005
->   Verlag C.H. Beck
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Person und Leib
Zwischen Personsein und Menschsein lässt sich nicht unterscheiden. Vielmehr sind, wie der englische Philosoph Peter F. Strawson nachweist, "Mensch" und "Person" einander wechselseitig interpretierende Begriffe, die keineswegs durch Kombination ursprünglicherer Begriffe entstehen, sondern "logisch primitiv" sind. Das Personsein besteht also nicht in der Summe einzelner Eigenschaften. Das Personsein des Menschen ist daher nicht auf seine Moralfähigkeit zu begrenzen, sondern bereits mit der leiblichen Existenz gegeben.

Der menschliche Leib ist das Medium von Kommunikation, und alles, was menschliches Antlitz trägt, ist in die menschliche Kommunikationsgemeinschaft eingebunden, unabhängig davon, in welchem Ausmaß solche Kommunikation gelingt. Die Formen leiblicher Kommunikation können vielfältig oder auch rudimentär sein. Sie bleiben dennoch Gestalten menschlicher Kommunikation.
Verbot der Totalinstrumentalisierung
Auch wenn wir partiell über unseren eigenen Leib und andere Menschen verfügen oder über uns verfügen lassen, so ist es doch mit der Würde des Menschen unvereinbar, ihn bzw. seinen Leib völlig zu verzwecken und zum Mittel zu degradieren, das der Erreichung anderer Zwecke dient, die nicht dem Betroffenen selbst zugute kommen.

Aus der kantischen Unterscheidung zwischen Wert und Würde folgt also das Verbot einer Totalinstrumentalisierung des Menschen und seines Körpers. Sklavenhandel - auch dies war in der Geschichte ein "Geschäft mit dem Leben" - widerspricht dem Verbot der Totalinstrumentalisierung wie die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers.
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Biomedizinkonvention und Biopatentrichtlinie
Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarates (1997) bestimmt daher in Artikel 21, dass der menschliche Körper und Teile davon als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden dürfen. Diese Bestimmung hat auch in die Grundrechtscharta der EU Eingang gefunden, die Bestandteil des Vertrags über eine künftige EU-Verfassung ist (Artikel II-3 [2] d).

Dies bedeutet z.B. für die Transplantationsmedizin, dass mir ihr selbstverständlich Geld verdient werden darf, auch im Zusammenhang mit der Entnahme und dem Transport von Organen oder anderen Gewebearten. Diese selbst dürfen aber weder gekauft noch verkauft werden.

Ganz in diesem Sinne schreibt die Biopatentrichtlinie der EU - die "Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" (1998) - fest, dass der menschliche Körper "in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens", keine patentierbaren Erfindungen darstellen können (Artikel 5 [1]).
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Schwierige Grenzziehungen
Im Sinne Kants ist allerdings nicht jegliche Form einer teilweisen Instrumentalisierung des menschlichen Körpers oder seiner Teile auszuschließen, sondern lediglich die totale Instrumentalisierung. Wo aber die Grenze zwischen unethischer Totalinstrumentalisierung und ethisch vertretbarer Teilinstrumentalisierung liegt, ist im Einzelfall umstritten. So wird derzeit darüber diskutiert, ob z.B. im Fall von Lebendspenden - etwa einer Niere - die Zahlung einer Entschädigung an den Spender in jedem Fall unethisch ist oder ob durch eine Legalisierung von Zahlungsleistungen an den Spender der unethische Handel mit Organen aus Ländern der Dritten Welt, bei welchem die Armut von Menschen ausgenutzt wird, eingedämmt werden kann.

Und die Biopatentrichtlinie der EU bestimmt in Artikel 5 (2), dass ein "isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens" sehr wohl eine patentierbare Erfindung sein kann, "selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist", vorausgesetzt, es wird in der Patentanmeldung gemäß Artikel 5 (3) die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens konkret beschrieben.

[19.8.05]
->   Salzburger Hochschulwochen 2005
Teil II folgt in wenigen Tagen.
 
 
 
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