Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Leben .  Gesellschaft 
 
Kein Patent auf Leben?
Im Streit um die Biopatentrechtlinie ist jetzt die Politik gefragt, nicht die Ethik
 
  Die EU-Biopatentrichtlinie ist heftig umstritten. Kritiker werfen ihr vor, sie öffne der "Kommerzialisierung und Instrumentalisierung des Lebendigen" Tür und Tor. Ungeachtet solcher Kritik hat die Bioethikkommission Anfang März die Umsetzung der Richtlinie in Österreich empfohlen. Seither steht sie im Kreuzfeuer der Kritik. Zu Unrecht, wie der Verfasser meint.  
Umstrittene Empfehlung
An vorderster Front der Kritiker steht die Umweltorganisation Greenpeace. Sie drängt darauf, die Bioethikkommission möge ihre Entscheidung noch einmal überdenken und sich statt dessen für eine Neuverhandlung der EU-Richtlinie einzusetzen, die bereits von mehreren von Staaten angestrebt wird.
->   Stellungnahme der österreichischen Bioethikkommission (pdf)
Man mag die Sichtweise und die Argumente, welche die Bioethikkommission zu ihrer Empfehlung bewogen haben, kritisieren. Der Appell zur Neuverhandlung der Materie geht aber in die falsche Richtung. Gefragt ist jetzt nicht die Ethik, sondern die Politik.
Ethik und Politik
Der Streit um die Biopatentrichtlinie ist ein aktuelles Beispiel für eine bedenkliche politische Entwicklung, bei der unangenehme politische Fragen kurzerhand zu ethischen erklärt und an entsprechende Kommissionen delegiert werden, denen dann der schwarze Peter für unliebsame und unpopuläre politische Entscheidungen zugeschoben wird.
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Die Einschaltung der Bioethikkommission
Im konkreten Fall war die Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologsicher Erfindungen - eben die Biopatentrichtlinie - bis 30. Juli 2000 innerstaatlich umzusetzen. Eine Regierungsvorlage war bereits in Arbeit, wurde aber im Juni 2000 von der Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses abgesetzt. Im Oktober 2001 wandte sich schließlich die kurzzeitige Bundesministerin Forstinger über den Bundeskanzler an die Bioethikkommission, um ihre Meinung zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie einzuholen.
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Gefahr der politischen Instrumentalisierung
Nun wirft das Patentrecht auf dem Gebiet der Bioetechnologie gewiss auch ethische Fragen auf. Zum großen Teil aber handelt es sich um komplexe patentrechtsimmanente und europarechtliche Fragen, die wohl nur am Rande in die Zuständigkeit einer Ethikkommission fallen.
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Abgesehen davon, dass sich die ehemalige Ministerin mit der Materie persönlich überfordert gefühlt haben mag, regt sich der Verdacht, dass mit der Einschaltung der Bioethikkommission auf Zeit gespielt werden sollte, um eine politisch heikle Entscheidung weiter zu verzögern. Selbstverständlich kann man an dem Votum der Kommission Sachkritik üben. Viel mehr aber sollte die offenkundige Gefahr, dass die Ethikkommission politisch instrumentalisiert wird, Anlass für öffentliche Diskussionen sein.
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Bioethischer Populismus
Europaweit lässt sich die Tendenz beobachten, dass sich die politischen Entscheidungsträger hinter Ethikkommissionen verstecken, um entweder ihre mangelnde Entschlussbereitschaft als ethische Bedenkenträgerei zu verbrämen oder aber an den Parlamenten vorbei ihre Biopolitik voranzutreiben. Das mag populär sein, ist aber doch nur eine subtile Form des Populismus.
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Demokratiepolitisch ist diese Entwicklung bedenklich, weil sie zu einer Schwächung des Parlamentarismus führt. Nicht nur in Österreich, sondern auch in den übrigen europäischen Ländern fällt auf, dass die Regierungschefs Kommissionen als eine Art von Ersatz- oder Schattenparlament einsetzen. Man denke nur an die offenkundige Konkurrenz zwischen der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des deutschen Bundestages und des von Bundeskanzler Schröder ins Leben gerufenen Nationalen Ethikrates.
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Schwächung der repräsentativen Demokratie
Auf der Gegenseite steht "das Volk", das in plebiszitären Kampagnen immer neu erfunden wird, um Politik als mediale und emotionalisierte Veranstaltung zu inszenieren. Auf dem Feld der Biopolitik ist hierfür das österreichische Gentechnikvolksbegehren von 1997 ein anschauliches Beispiel.
Der offiziellen Lesart nach dienen plebiszitäre Elemente in der Verfassung dazu, die Bürgerinnen und Bürger stärker an der demokratischen Willensbildung zu beteiligen. In der Praxis aber verstärken sie heute den Trend zur Schwächung des Parlamentarismus, worin durchaus eine Gefährdung der repräsentativen Demokratie zu sehen ist.
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Politisch paradox
Die österreichische Bioethikkommission gerät so in eine paradoxe Situation. Einerseits wird ihr von verschiedenen Seiten ihre fehlende demokratische Legitimation zum Vorwurf gemacht. In der Tat ist sie nicht vom Parlament, sondern vom Bundeskanzler als sein persönliches Beratungsgremium eingesetzt worden. Auf der anderen Seite aber wird nun an die Kommission appelliert, ihren Einfluss geltend zu machen, um z.B. im konkreten Fall die Umsetzung der Biopatentrichtlinie zu verhindern. Auch darin ist ein Versuch zu sehen, die Kommission politisch zu instrumentalisieren.
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Für die Stärkung der Unabhängigkeit der Bioethikkommission
Wenn die Kommission ihren Ruf als unabhängiges Gremium festigen will, muss sie einerseits das Gespräch mit allen Seiten suchen - im konkreten Fall also auch mit den Kritikern der Biopatentrichtlinie - um sich ein umfassendes Urteil zu bilden, andererseits aber der Versuchung widerstehen, auf jeden Zuruf von außen zu reagieren, ganz gleich ob er nun von der Regierung, der - abgesehen von den Grünen - biopolitisch kaum in Erscheinung tretenden Opposition oder von NGO's als Teilen der Zivilgesellschaft kommt.
Keine neuen Argumente
Was nun die beim Pressegespräch von Greenpeace am 12.4.2002 von Dr. Otmar Kloiber, Dezernent der deutschen Bundesärztekammer, vorgebrachte Kritik an der Biopatentrichtlinie betrifft, so ist diese nicht neu und war auch der Biokommission bekannt. Es handelt sich um dieselben Einwände, welche die Bundesärztekammer schon bei einer öffentlichen Anhörung des deutschen Bundestages im Juli 2000 geltend gemacht hat. Ihre Wiederholung mag in Österreich Neuigkeitswert haben, wirklich neu aber sind sie nicht.
->   science.ORF.at: Deutsche Bundesärztekammer gegen EU-Biopatentrichtlinie
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Die Stellungnahme der deutschen Enquete-Kommission
Die deutsche Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" hat sich übrigens keineswegs einstimmig, sondern nur mehrheitlich gegen eine innerstaatliche Umsetzung der Biopatentrichtlinie ausgesprochen. Genauer gesagt hat die Kommissionsmehrheit empfohlen, die Umsetzung der Richtlinie von der Erfüllung einer Reihe von Auflagen abhängig zu machen.

Eine Minderheit von neun Kommissionsmitgliedern - darunter auch die Vorsitzende der Enquete-Kommission Margot von Renesse - hat freilich ein abweichendes Votum abgegeben. Und dieses deckt sich inhaltlich in etwa mit der Stellungnahme der österreichischen Bioethikkommission.
->   Bericht der deutschen Enquete-Kommission zur Biopatentrichtlinie (pdf)
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Was für die Biopatentrichtlinie spricht
Für die Umsetzung der Patentrichtlinie sprechen vor allem folgende Argumente:

* Die Patentierung biotechnologischer Erfindungen, insbesondere die Erteilung von Stoffpatenten, wird durch die EU-Richtlinie gegenüber dem geltenden Recht keineswegs erweitert oder erleichtert. Ganz im Gegenteil wird die bislang mögliche Erteilung von "strategischen und Globalpatenten" für biologische Substanzen, ohne dass solche Patentanmeldungen mit Funktionserklärungen und innovatorischen Anwendungen verbunden sein müssen, eingedämmt - und zwar auf internationaler Ebene.
* Die Biopatentrichtlinie ist ein erfolgversprechender Versuch, für die Patentierung biotechnologischer Erfindungen auf gesamteuropäischer Ebene ethische Grenzen zu definieren, soweit dies den Menschen, biologische Substanzen menschlicher Herkunft und menschliche Embryonen betreffen.
* Kritiker der Richtlinie erwecken zumeist den Eindruck, als liege die Patentierung biotechnologischer Erfindungen vorwiegend im Interesse internationaler Pharma-Konzerne. Sie übersehen dabei, daß junge innovatorische Startup-Unternehmen, um deren Ansiedlung sich auch Österreich intensiv bemüht, ohne Patente nicht die geringsten Entwicklungschancen hätten.
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Behinderung der Forschung?
Die deutsche Bundesärztekammer befürchtet, dass die Biopatentrichtlinie die medizinische Forschung behindern und verteuern könnte. Dem steht die Einschätzung entgegen, dass die Gesellschaft an der durch das Patentrecht erzwungenen Veröffentlichung biotechnologischer Erfindungen ein vitales Interesse haben muss, weil sie gerade so gesellschaftlich kontrolliert und kritisiert werden können. Einige ethisch fragwürdige Patenterteilungen der letzten Zeit haben das sehr deutlich gemacht.

Ob Patente die Forschung hemmen oder eher anregen, ist eine schwierig zu beurteilende forschungspolitische und ökonomische Frage, die sich aber mit ethischen Kriterien kaum entscheiden lässt. Die österreichische Bioethikkommission kommt an dieser Stelle zu einer anderen Einschätzung als z.B. die deutsche Bundesärztekammer.
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Nicht der Weisheit letzter Schluss
Dass die Biopatentrichtlinie in ihrer derzeitigen Fassung nicht der Weisheit letzter Schluss ist, wird auch von der österreichischen Bioethikkommission nicht verschwiegen. Sie sieht in der verantwortungsvolle Umsetzung der Richtlinie nur einen ersten Schritt.
"Mit diesem Schritt", so die Stellungnahme vom 6. März 2002, "werden nicht alle Fragen aufgeworfen und es werden - in Anbetracht des raschen und dynamischen Fortschritts in diesem Bereich - schon gar nicht alle Fragen geklärt. [...] Gerade dadurch, dass die Umsetzung innerstaatlich durch nationales Patentrecht erfolgen muss, wird eine innerösterreichische Beobachtung der Auswirkungen der Umsetzung und somit ein innerösterreichischer Diskurs ermöglicht bzw. geradezu eingefordert."
Das Parlament ist gefragt
Dieser Diskurs muss nun fortgesetzt werden. Auch über die Forderung nach einer Neuverhandlung der Richtlinie kann man selbstverständlich debattieren. Der richtige Ort dafür ist jedoch nicht die Bioethikkommission, sondern das Parlament.
 
 
 
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