Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 
Gipfel der Gerechtigkeit?
Nachhaltigkeit ist nicht nur einer Frage des Umweltschutzes, sondern ein Gebot globaler Gerechtigkeit
 
  Zehn Jahre nach dem "Erdgipfel" von Rio de Janeiro findet der UN-Weltgipfel in Johannesburg statt. Nur wenig von dem, was damals in Rio versprochen wurde, haben die reichen Industriestaaten gehalten. Nun droht das Prinzip der Nachhaltigkeit, ohne welche das Überleben der Menschheit ernsthaft in Gefahr steht, abermals zerredet zu werden.  
"Nachhaltigkeit" ist in den vergangenen Jahren zum neuen umweltpolitischen und -ethischen Leitbegriff aufgestiegen. Als "nachhaltig" ("sustainable"), d. h. als zukunftsfähig bzw. dauer-haft-umweltgerecht, wird heute eine Entwicklung bezeichnet, "die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können" (Brundtland-Bericht 1987).
Die Agenda 21
Der "Erdgipfel" von Rio de Janeiro 1992 hat diese Leitintention in teilweise völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten anerkannt. Inzwischen haben sich fast alle Nationen der in Rio verabschiedeten "Agenda 21" angeschlossen.

Doch zehn Jahre nach Rio ist man von einer wirkungsvollem Umsetzung politisch noch immer weit entfernt. Der Klimaschutz wird in Johannesburg überhaupt kleingeschrieben. Es bleibt bei unverbindlichen Absichtserklärungen und Appellen, endlich das Kioto-Protokoll umzusetzen.
->   science.ORF.at: Streit am UN-Gipfel in Johannesburg
->   science.ORF.at: UNO-Weltgipfel - Klimaschutz kein Thema
Probleme der Umsetzung
Kritiker bemängeln freilich nicht nur die zögerliche Haltung der westlichen Industriestaaten, allen voran die USA, sondern auch einen geradezu inflationären Gebrauch des Wortes "Nach-haltigkeit".

Im Vergleich zur politischen Debatte über das Nachhaltigkeits-Leitbild ist die ethische Theoriebildung allerdings weit fortgeschritten. Ungelöst ist freilich noch immer das z. B. im Umweltgutachten 1996 vom deutschen Sachverständigenrat für Umweltfragen angesprochene Problem der Operationalisierbarkeit des Nachhaltigkeits-Leitbildes.

Selbst Befürworter des Konzeptes wie die Ökonomen A. Lerch und H. G. Nutzinger räumen ein, es handle sich bei der Nachhaltigkeit eher um eine Heuristik oder eine regulative Idee. Die Nachhaltigkeitsdebatte ist somit Teil der allgemeinen Diskussion über den Begriff der angewandten Ethik, der ebenfalls etliche theoretische Schwierigkeiten in sich birgt.
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Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit
Nicht minder umstritten wie die Operationalisierbarkeit des Nachhaltigkeits-Leitbildes sind freilich seine sozial- und bioethischen Implikationen. Konsens besteht darin, dass die Nachhaltigkeits-Diskussion in ihrem Kern eine Gerechtigkeitsdebatte ist. Unstrittig ist auch, dass es sich beim Postulat einer nachhaltigen Entwicklung nicht nur um eine Frage der intergenerationellen, sondern auch der intragenerationellen Gerechtigkeit handelt. Es geht also nicht nur um einen Interessensausgleich zwischen der lebenden Generation und den zukünftigen Generationen, sondern auch um Gerechtigkeit zwi-schen armen und reichen Ländern.

In diesem Zusammenhang stellt sich nun aber die Frage, welches Maß von Gesellschafts- bzw. ökonomischer Systemkritik Voraussetzung des Nachhaltigkeits-Leitbildes ist. Umstritten ist, ob die Konzeption einer nachhaltigen Entwicklung eine Umwandlung des kapitalistischen Wirtschaftssystems oder dessen radikale Ablehnung impliziert. Deutlich wird diese Problematik an der Verknüpfung der Nachhaltigkeits- mit der Globalisierungsdebatte.
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Umweltgerechtigkeit - ein Postulat heutiger Sozialethik
Die Nachhaltigkeitsdebatte schließt ferner die Ausweitung der Gerechtigkeitsproblematik auf den Bereich der außermenschlichen Umwelt ein. Nachhaltiges Wirtschaften muss nämlich drei Grundkriterien genügen, und das zudem in der Dimension der Zeit.

Es handelt sich um die Kriterien des Menschengerechten, des ökonomisch Sachgemäßen und des Umweltgerechten. Integriert werden die drei Dimensionen von Gerechtigkeit im Postulat einer "ökologischen Sozialethik".
Das Umweltgerechte - ein schillernder Begriff
Der Begriff des Umweltgerechten ist freilich schillernd, weil er zunächst offen lässt, ob die Auswirkungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung lediglich funktional von Belang sind, d. h. soweit sie Rückwirkungen auf die Lebensbedingungen heutiger und künftiger Generationen der Menschheit haben, oder aber ob man der Natur bzw. nichtmenschlichen Lebewesen, Arten wie Individuen eine Eigenwertigkeit und somit eine Form von Eigenrechten zugestehen muss.

Um diese Frage dreht sich die Diskussion über "starke" und "schwache" Nachhaltigkeit, in welcher zugleich die hinlänglich bekannte Auseinandersetzung zwischen anthropozentrischen, pathozentrischen, biozentrischen und physiozentrischen Konzeptionen einer Bioethik fortgeführt wird.
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Literaturauswahl zum Thema
Böhm, H.P. / Gebauer, H. / Irrgang, B. (Hg.): Nachhaltigkeit als Leitbild für Technikge-staltung (Forum für interdisziplinäre Forschung 14), Dettelbach 1996

Böhme, G. (Hg.): Soziale Naturwissenschaft. Wege zu einer Erweiterung der Ökologie, Frankfurt a.M. 1985

Breuel, B. (Hg.): Agenda 21. Vision: Nachhaltige Entwicklung, Frankfurt/New York 1999

Cobb, J.B., Jr.: Sustainability. Economics, Ecology, and Justice, Maryknoll/New York, 41997

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1996: Zur Umsetzung einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, Stuttgart 1996

Hauff, V. (Hg.): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987

Hey, Chr./Schleicher-Tappeser, R.: Nachhaltigkeit trotz Globalisierung. Handlungsspielräume auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene, hg. von der Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 13. Deutschen Bundestages, Berlin/Heidelberg/New York 1998

Körtner, U.: Ethische Reflexionen auf den Klimawandel. Zur Operationalisierbarkeit des Leitbildes der Nachhaltigkeit, in: Ethica 10 (2002), 5-31

Mayer-Tasch, P.C. (Hg.): Natur denken. Eine Genealogie der ökologischen Idee, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1991

Münk, H.J.: 'Starke' oder 'schwache' Nachhaltigkeit? Theologisch-ethische Überle-gungen zur ökologischen Grundkomponente des Sustainability-Leitbilds, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), 277-293

Münk, H.J.: Nachhaltige Entwicklung im Schatten der Globalisierung, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 41 (2000), 105-129
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Ist Natur ein ethisches Argument?
Umweltethische Entwürfe können nur im Rückgang auf ethische Wertvorstellungen bzw. Prinzipien begründet werden. Freilich kommt eine begründete, durch Argumente gestützte ethische Entscheidung nicht ohne eine möglichst umfassende, hinreichend differenzierte und komplexe Analyse der Sachzusammenhänge aus.

Denn ebenso wenig wie sich aus der Faktizität bestimmter Naturzusammenhänge ethische Normen ableiten lassen, darf umgekehrt der normativistische Fehlschluss begangen werden, der ein Moralprinzip allein für ein hinreichendes ethisches Entscheidungskriterium hält.

Grundsätzlich gilt: "Je konkreter die ethische Fragestellung ist, desto mehr wissenschaftliche Informationen müssen in den Prozess der Normenfindung einfließen" (M. Gorke).
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"Gemischte" Sachverhalte
Umweltethische Probleme sind freilich "gemischte" Sachverhalte, d. h. ein Komplex von empirischen Gegebenheiten, die zudem noch das Resultat eines komplexen Wechselspiels von naturhaften Entwicklungen und menschlichen Handlungen sind, und ethischen Bewertungen. Allein schon auf Grund der Strittigkeit der Fakten, sodann aber auch wegen des heute herrschenden Pluralismus' an ethischen Begründungsmodellen, haftet jeder ethischen Entscheidung eine Ungewissheit an.

Um gemischte Sachverhalte handelt es sich bei allen Problemen des Umweltschutzes auch deshalb, weil die in Rede stehende Natur weithin kulturell bearbeitet und überformt ist. Zwar ist es in bestimmter Hinsicht sinnvoll, zwischen Natur und menschlich hervorgebrachter Kultur zu unterscheiden. Letztlich aber muss auch die Kultur als Teil der Natur bzw. der Evolution der Biosphäre betrachtet werden.
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Schöpfungsglaube und Umweltschutz
Auch in theologischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass der biblische Schöpfungsauftrag des Menschen, die Erde "zu bebauen und zu bewahren" (1. Mose 2,15) keineswegs nur die Konservierung eines vorgegebenen Naturzustandes, sondern auch die Kultivierung der Natur, d. h. ihre aktive Gestaltung bedeutet. Der Garten in Eden (1. Mose 2,4ff) ist, wie das Wort schon sagt, Kulturland und nicht Wildnis.
"Starke" und "schwache" Nachhaltigkeit
In der Nachhaltigkeits-Debatte werden zwei Grundpositionen vertreten, die als "starke" und "schwache" Nachhaltigkeit ("strong / weak sustainability") bezeichnet werden. Beide Positionen teilen die Prämisse, dass die gegenwärtig lebende Generation ihren ökonomischen Nutzen nur so weit maximieren darf, wie künftigen Generationen vergleichbare Wohlfahrtschancen dadurch nicht genommen werden.

Ferner erkennen beide Positionen an, dass jeder Wohlstand sowohl in den natürlichen Ressourcen der Erde als auch in den durch den Menschen hinzugefügten Anteilen, d. h. Arbeit, Investitionen, Wissen u. a., gründet.

Das Leitbild der Nachhaltigkeit geht in beiden Fällen von der Idee eines aus diesen natürlichen und humanen Ressourcen bestehenden Gesamtkapitals aus, das unangetastet bleiben muss. Die Menschheit darf gewissermaßen nur von den jährlichen Zinserträgen dieses Kapitals leben.
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Was sind unersetzliche Naturgüter?
Umstritten ist nun zwischen den beiden Grundpositionen aber, inwieweit die Anteile der natürlichen Ausstattung (Ökosysteme, Arten, Ressourcen) durch anthropogene Anteile ersetzt werden können. Unter "schwacher" Nachhaltigkeit versteht man die ökonomische Mehrheitsposition, wonach sich fast alle Ressourcen, gleich ob es sich um natürliche oder von Menschen geschaffene handelt, im Bedarfsfall substituieren lassen. Die Position der "starken" Nachhaltigkeit bestreitet dies zumindest in den Fällen, in denen der irreversible Verlust von Naturgütern, z. B. das Aussterben ganzer Arten, unabweisbare Folgen für künftige Generationen haben.

Es zeigt sich, dass die Frage, ob nachkommenden Generationen ein derartiger Verlust bestimmter Naturgüter, "d. h. wichtiger Teile des ökologischen Reichtums", zugemutet werden darf, die innerökonomische Urteilsbildung überfordert, betrifft sie doch "Verteilungsfragen im Sinne intergenerationeller Gerechtigkeit" (H. J. Münk). Das Problem kompliziert sich, wenn man bei der Bewertung z. B. der Artenvielfalt deren geografisch unterschiedliches Vorkommen berücksichtigt, was für die Frage der Verteilungsgerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern unerlässlich ist. (Man denke nur an Genforschung und Genpatente.)
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Der Eigenwert der Natur
Für die "starke" Nachhaltigkeit spricht das Argument des Eigenwertes bestehender Arten, das sich auch schöpfungstheologisch untermauern lässt. Nicht menschliche Lebewesen sind demnach nicht nur als dem Menschen beliebig verfügbare Ressource zu betrachten, sondern als Entitäten, denen eine Eigenbedeutung zukommt.

Der kategorische Imperativ Immanuel Kants, wonach der Mensch seinesgleichen niemals nur als Mittel zum Zweck, sondern immer auch als Selbstzweck achten soll, ist folglich in modifizierter Form auf andere Lebewesen auszuweiten.

Umstritten ist in der bioethischen Diskussion allerdings, ob dies unterschiedslos oder in einer abgestuften Form geschehen soll. In dieser Hinsicht unterscheiden sich gemäßigt anthropozentrische von pathozentrischen und biozentrischen Positionen. Noch radikaler argumentieren physiozentrische Positionen, dass auch der unbelebten Natur ein Eigenwert zuzumessen ist.

Generell besagt die Position der "starken" Nachhaltigkeit, dass außermenschliches Leben zwar keine unantastbare Größe darstellt, Eingriffe in solches Leben aber legitimationsbedürftig sind und einer Güterabwägung zwischen den Interessen des Menschen und dem Eigenwert des nicht menschlichen Lebens unterliegen.
Natur und Kultur
So einleuchtend diese Position auf den ersten Blick erscheinen mag, so unscharf ist sie bei näherem Hinsehen. Selbst wenn man der Natur einen Eigenwert zubilligt, ist damit noch keineswegs entschieden, welche Natur es zu schützen gilt.

Handelt es sich um die ursprüngliche, vom Menschen bislang noch unberührte Natur, also um jenen Bereich, der in der englischsprachigen Umweltethik als "wilderness" bezeichnet wird, oder um die kulturell bearbeitete, d. h. anthropogen veränderte Natur?
Artenvielfalt in Kulturlandschaften
Auch zeigt sich, dass die menschlichen Eingriffe in die Natur keineswegs nur destruktive Folgen haben, sondern unter Umständen neue Entwicklungsmöglichkeiten für die Natur eröffnen.

Ein klassisches Beispiel ist die Lüneburger Heide. Die Abholzung des ursprünglichen Waldbestandes hatte das Entstehen eines neuen Ökosystems zur Folge, das heute unter Naturschutz steht. In der Kulturlandschaft, z. B. in Park- oder Agrarlandschaften, findet man häufig eine große Artenvielfalt. Manche Tierarten leben als "Kulturfolger" in Symbiose mit dem Menschen, auch in urbanen Regionen.
Wandel der Natur
Die Frage, welcher Natur Eigenwert zukommt bzw. welche Natur geschützt werden soll, lässt sich offenbar nicht zeitlos oder geschichtsunabhängig beantworten.

"Weder die Natur noch der Mensch und seine Kultur sind statische, unwandelbare Größen. Es geht sonach hier also immer um Abwägungsprozesse, in welche Kriterien der Pluriformität, der Schönheit, der Seltenheit, des Faszinierenden und Ehrfurcht erweckenden, aber auch Kriterien der funktionalen Erforderlichkeit und Notwendigkeit einfließen und ebenso immer wieder miteinander konkurrieren können" (W. Korff).

Das Gleiche gilt auch unter der theologischen Prämisse, dass die Welt Gottes Schöpfung ist. Bewahrung der Schöpfung bzw. die Erhaltung ihrer Integrität, wie man im Englischen sagt ("integrity of creation"), bedeutet nicht die Festschreibung eines momentanen Zustands oder die Wiederherstellung eines mythischen Urzustandes, sondern die Anerkennung und Weiterentwicklung der in der Schöpfung angelegten Möglichkeiten.
Das Konzept der "mittleren" Nachhaltigkeit
Diese Modifikation des Leitbildes der "starken" Nachhaltigkeit kann als Position einer "mittleren" Nachhaltigkeit bezeichnet werden. Sie "zielt auf eine Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Tragekapazität ökologischer Systeme", berücksichtigt aber "neben produktiven Naturfunktionen auch beispielsweise kulturell-symbolische" (A. Lienkamp).

Gegenüber einem statischen Naturbegriff, der von Konzepten einer "starken" Nachhaltigkeit bisweilen unmittelbar für ethisch normativ erklärt wird, geht das Konzept "mittlerer" Nachhaltigkeit von einem dynamisch-evolutiven Naturbegriff aus, der die kulturelle Evolution des Menschen einbezieht.

Nicht ein bestimmter Naturzustand als solcher oder ein vermeintlich feststehendes "ökologisches Gleichgewicht" ist zu erhalten, sondern es geht - systemtheoretisch komplexer gedacht - "um die dauerhafte Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Bedingungsgefüges menschlicher Zivilisationssysteme und der Tragekapazität der Natur" (W. Korff).
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Ökologisch aufgeklärte Anthropozentrik
Die Position der "mittleren" Nachhaltigkeit setzt allerdings eine anthropozentrische Sicht von Ethik voraus, wenngleich keinen moralischen, sondern lediglich einen epistemischen und zugleich ökologisch aufgeklärten Anthropozentrismus. Das meint: Nicht nur menschliche Interessen sind ethisch berücksichtigungswürdig, aber der Perspektivismus einer menschlichen Sichtweise bioethischer Probleme ist unvermeidlich, weil nur der Mensch moralische Fragen stellen kann.

Wird das Leitbild der Nachhaltigkeit auf der Basis einer ökologisch aufgeklärten Anthropozentrik im Sinne der Position "mittlerer" Nachhaltigkeit interpretiert, ist damit freilich die Frage, wie es materialethisch konkretisiert bzw. operationalisiert werden kann, noch längst nicht beantwortet. Dieses Problem führt uns mitten in die allgemeine Debatte um den Status angewandter Ethik.
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Angewandte Umweltethik
Unter den Voraussetzungen des weltanschaulichen und ethischen Pluralismus kann das Leitbild der Nachhaltigkeit nicht mehr als einen Rahmen für die Suche nach wirkungsvollen Strategien für den Umweltschutz bieten.

"Die unmittelbare Übertragung ökologischer Modelle von Nachhaltigkeit auf die Gestaltung wirtschaftlicher und soziokultureller Zusammenhänge wäre [...] vielfach weder möglich noch sinnvoll" (M. Vogt).

Die beispielsweise aus dem systemischen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Globalisierung resultierenden ethischen, ökonomischen und politischen Zielkonflikte machen deutlich, dass "Nachhaltigkeit" nicht als ökologischer, sondern als politisch-ethischer Begriff für die notwendige Kurskorrektur der modernen Industriegesellschaften eine Schlüsselbedeutung hat.
Umweltbewusstsein - eine Bildungsaufgabe
Neben der politischen Lösungssuche markiert das Nachhaltigkeits-Leitbild nicht zuletzt eine Aufgabe der ethischen Bewusstseinsbildung und Erziehung.

Einschneidende praktische Erfolge, z. B. im Hinblick auf den Klimaschutz, sind nur dann zu erwarten, wenn die ethische Aufgabe nachhaltigen Wirtschaftens bzw. eines nachhaltigen Lebensstils nicht nur theoretisch erkannt wird, sondern bei einzelnen und kollektiven Handlungssubjekten auch zu einer veränderten Praxis führt.
Ethik und Ökonomie
Soll diese an sich richtige Einsicht freilich nicht wieder in wohlmeinende, aber wirkungslose "Appellitis" (N. Luhmann) münden, muss überlegt werden, wie sie verstärkt in ökonomische Rationalität übersetzt werden kann, sodass aus ökologischer Kostenrealität wirksame Lenkungseffekte entstehen, die zugleich den Anstoß zu technischen Innovationen und einer veränderten Technikgestaltung geben, ohne welche eine nachhaltig-umweltgerechte Globalisierung nicht denkbar ist. Kurz: Eines der Ziele muss ein ökologisches Steuersystem sein, das diesen Namen auch verdient.

Die Kultivierung der Natur geschieht durch Arbeit und Wirtschaft. Sie ist m. a. W. ein ökonomischer Prozess. Schon deshalb kann - nebenbei bemerkt - die Ökologie nicht einseitig die Bezugswissenschaft einer ökologischen Sozialethik sein. Unter Absehung von wirtschaftsethischen Fragen der ökonomischen Gerechtigkeit bleibt Umweltgerechtigkeit nicht mehr als eine unverbindliche Formel.
->   United Nations Johannesburg Summit 2002
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
 
 
 
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