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Geisterteilchen als Lösung aller kosmologischen Rätsel?  
  Nach einer revolutionären Theorie eines US-amerikanischen Forschers könnten Dunkle Energie und Dunkle Materie schon bald in die physikalische Mottenkiste verbannt werden. Diese zwei - nicht unumstrittenen - Konzepte sollen seiner Ansicht nach durch eine nicht minder mysteriöse Substanz ersetzt werden. Eine das Weltall erfüllende geisterhafte "Flüssigkeit" soll demzufolge sämtliche Rätsel der Kosmologie auf einen Schlag lösen.  
Wie Nima Arkani-Hamed von der Harvard University in zwei aktuellen Publikationen berichtet, handelt es sich dabei um bisher namenlose kondensierte Teilchen, die für die Ausdehnung und Struktur des Universums verantwortlich sind. Nach aktuellen Messungen zur kosmischen Hintergrundstrahlung hat dieses phantastische Weltbild gar keine schlechten Karten.
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Nima Arkani-Hamed veröffentlichte mit seinen Mitarbeitern zu diesem Thema zwei Studien: "Ghost Condensation and a Consistent Infrared Modification of Gravity" sowie "Ghost Inflation", die beide kostenfrei am Preprintserver "arXiv.org" erhältlich sind.
->   Weitere Publikationen von Arkani-Hamed bei arXiv.org
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Die wichtigsten Fragen der Kosmologie
Fragt man Kosmologen nach den fundamentalsten Fragen ihrer Disziplin, so finden sich mit Sicherheit folgende drei in deren Aufzählung:

Was treibt das Universum zu einer immer rasanter verlaufenden Ausdehnung? Welche Kraft hält die Galaxienhaufen zusammen? Und was verursachte die so genannte Phase der exponentiellen Expansion kurz nach dem Urknall?
Klassische Antworten
Die Standard-Antworten darauf sind allgemein unter folgenden Schlagworten bekannt: Dunkle Energie, Dunkle Materie und Inflation. Der Schönheitsfehler an den ersten beiden Konzepten ist, dass sie im Grunde nur Etiketten für unsere Unwissenheit darstellen.
Zwei Probleme quälen Astrophysiker: Fehlende Masse...
Astrophysiker sehen sich nämlich seit geraumer Zeit mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen findet man zu wenig Materie im Kosmos vor, um den Zusammenhalt der Galaxienhaufen erklären zu können ("missing mass problem"). Daher nimmt man an, dass durchschnittliche Galaxien mehr als 90 Prozent unsichtbare Materie enthalten.
... und zu starke Schwerkraft
Zum zweiten weiß man seit der Entdeckung der Rotverschiebung durch Edwin Powell Hubble, dass sich das gesamte Universum ausdehnt. Messungen in den letzten Jahren haben aber ergaben, dass diese mit der Zeit immer rasanter verläuft - und das widerspricht wiederum den gängigen Vorstellungen von der globalen Wirkung der Schwerkraft.

Um das zu umgehen, postuliert man die Existenz einer Art Anti-Gravitation, besser bekannt als "Dunkle Energie".
Inflationärer Kosmos: Keine endgültige Antwort
Das Modell des inflationären Kosmos - also einer gewaltigen Aufblähung des Universums kurz nach dem Urknall - genießt in Fachkreisen eine viel höhere Akzeptanz. Die Frage, was diese inflationäre Phase ausgelöst haben könnte, ist jedoch noch immer Gegenstand von Spekulationen.
Bleibt kein Stein auf dem anderen?
Glaubt man den Ausführungen von Nima Arkani-Hamed von der Harvard University, dann sind diese Probleme demnächst ohnehin Schnee von gestern: Er prognostiziert seiner Disziplin einen radikalen Paradigmenwechsel, im Rahmen dessen völlig neue Begriffe Einzug in die Welt der Kosmologie halten.
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Arkani-Hameds stellte seine Theorie auf der Konferenz "Superstring Cosmology" vor, die im Oktober 2003 am Kavli Institute for Theoretical Physics der University of California in Santa Barbara abgehalten wurde. Der Vortrag ist online als Video- oder Audiodatei abrufbar.
->   Zum Vortrag
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Theorie: Gravitationsfeld besteht aus zwei Komponenten
Arkani-Hamed und seine Mitarbeiter kamen zu ihrer alternativen Sicht der Dinge, als sie die Gleichungen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie für den Bereich großer Entfernungen abänderten.

Dabei stießen sie auf ein äußerst eigenartiges Phänomen: Nach ihren Berechnungen müsste das Gravitationsfeld aus zwei Komponenten bestehen. Erstens die gewöhnliche Schwerkraft, zum anderen jedoch eine neuartige, das Universum ausfüllende "Flüssigkeit", die eine Art Anti-Gravitation erzeugt.
Neue Form der Materie?
Nach Arkani-Hamed kann mit Hilfe dieses massenlosen Kondensats die ad hoc-Annahme von dunklen Energieformen umgangen werden. Freilich um den Preis, dass man sich damit eine unbekannte Form der Materie einkauft.

Wie spätere Berechnungen der US-amerikanischen Physiker ergaben, könnte dieses Modell auch die Inflation des Universums erklären und - im Prinzip - auch die Dunkle Materie obsolet machen.
Fachkollege als Fan
Diese Vereinheitlichung von drei getrennten Problemfeldern spricht traditionsgemäß den ästhetischen Sinn der Physiker an. Fachkollege Raman Sundrum vom MIT outet sich daher gegenüber der Zeitschrift "New Scientist" als "Fan" dieser phantastisch anmutenden Idee.

Es gebe zwar noch viele Fragen zu klären, der Ansatz sei aber "vielversprechend", so der US-amerikanische Experte für Gravitationstheorien.
Experimentelle Prüfungen
Wie in dieser Disziplin üblich, steht und fällt die Anerkennung von Theorien mit der experimentellen Überprüfung. Doch wie weist man masselose Teilchen nach, die noch nicht einmal einen Namen haben?

Eine Vorhersage lautet etwa, dass gemäß Arkani-Hameds Modell die gewöhnliche Gravitation Schwankungen unterworfen sein müsste. Allerdings im Zeitraum von Jahrbillionen - offensichtlich zu lange für eine durchschnittliches Experiment.
Hintergrundstrahlung gibt Aufschluss
Eine andere Möglichkeit bezieht sich auf die kosmische Hintergrundstrahlung. Der neuen Theorie zufolge müsste die Strahlungstemperatur ein besonderes Muster aufweisen, das von der klassischen Normalverteilung abweicht.

Aktuelle Untersuchungen des britische Astronomen Tom Shanks mit Daten des NASA-Satelliten WMAP ergaben jedenfalls, dass die Temperaturverteilung tatsächlich gegen die Existenz von Dunkler Materie und Dunkler Energie spricht.
->   Mehr dazu bei der Royal Astronomical Society
Geister-Teilchen: Name gesucht
Ob damit die Arkani-Hamed'schen Geister-Teilchen zum Leben erweckt werden, ist indes noch nicht klar. Sollte dies der Fall sein, dann wird man sich bald einen Namen für die exotischen Teilchen überlegen müssen: Arkanionen beispielsweise.

Robert Czepel, science.ORF.at
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Literatur-Tipp
In der aktuellen Zeitschrift "New Scientist" erschien zu diesem Thema der Artikel "The ghost in the cosmos" (Ausgabe vom 7.2.04, S. 32-35).
->   New Scientist
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Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Größte kosmische Karte will Dunkle Energie beweisen (28.10.03)
->   Auf der Suche nach der Dichte des Universums (29.9.03)
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->   Dunkle Materie im Licht neuer Messungen (28.5.03)
 
 
 
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01.01.2010