News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
70 Jahre Februarkämpfe: "Unvermeidliche Logik des März 1933"  
  Vor 70 Jahren haben mit Schüssen vor der Zentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in Linz die Februarkämpfe begonnen - vier Tage Bürgerkrieg mit Hunderten Toten und eine verheerende Niederlage für die Sozialdemokraten. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung allerdings bereits ein Jahr zuvor, als das Parlament aufgelöst wurde und die Ära des "Austrofaschismus" begann. So sehen denn auch Historiker den Ausbruch der Gewalt am 12. Februar 1934 als "unvermeidliche Logik des März 1933".  
Die Ereignisse des Februar 1934 sind für den Wiener Zeitgeschichtler Gustav Spann nur unter Berücksichtigung der "systematischen Zerstörung der parlamentarischen Demokratie" seit März 1933 zu verstehen.

Von der gleichmäßigen Verteilung der Schuld am Scheitern der Demokratie ("Koalitionsgeschichtsschreibung") hält er deshalb wenig: "Eindeutig treibende Kraft waren die Christlichsozialen, der Landbund und die am Faschismus orientierten Heimwehren."
Die "ungleiche Verantwortung aller Lager"
 
Bild: APA/DÖW

Das Archivbild vom Februar 1934 zeigt Polizeieinheiten vor dem Karl-Marx-Hof in Wien. Im riesigen Gemeindebau hatten sich Schutzbündler verschanzt. Es kam zu blutigen Kämpfen.

Der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka meint, "es gibt die Verantwortung aller Lager, aber in ungleichem Maße. Dass Dollfuß im Februar 1934 gegen den Schutzbund hat schießen lassen, war die unvermeidliche Logik des März 1933."

Die politische Hauptverantwortung liege daher bei Dollfuß und dem katholisch-konservativen Lager. Allerdings habe auch die Annäherung der Großdeutschen an den Nationalsozialismus und die mangelnde Kompromissbereitschaft der Sozialdemokraten zur Entwicklung beigetragen.
Zugeständnisse der SDAP kamen zu spät
Noch 1931 habe die Sozialdemokratie ein Koalitionsangebot abgelehnt. Erst nach Ausschaltung des Parlaments sei die SDAP zu Zugeständnissen bereit gewesen, "da hatte Dollfuß aber schon den 'point of no return' überschritten", so Pelinka.
Die Verantwortung der Sozialdemokraten
Für Hans Hautmann, Vorstand des Linzer Zeitgeschichte-Instituts, liegt die Verantwortung der Sozialdemokratie am ehesten noch darin, "dass sie nicht rechtzeitig alle Kräfte mobilisiert hat, um ihre Ausschaltung hintanzuhalten".

Auch der Wiener Zeitgeschichtler Spann meint: "Ein Generalstreik 1933 wäre die einzige Antwort gewesen, aber da haben die Sozialdemokraten gezaudert." Für Spann sind die Sozialdemokraten einer "völligen Fehleinschätzung" aufgesessen, als sie ab März 1933 versuchten, die Krise im Wege der Verfassung zu bereinigen.
...
Ö1: "Die Hausfront sah aus wie ein Nudelsieb"
In Radio Österreich 1 widmet sich ein "Journal-Panorama" am Mittwoch um 18.25 Uhr den Februarkämpfen.
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
...
Aufstand wäre "ohne Erfolgschancen" gewesen
Allerdings wäre nach Ansicht des Wiener Historikers Lothar Höbelt auch ein Aufstand im März 1933 ohne Erfolgschancen gewesen.

Der Bürgerkrieg im Februar 1934 sei dann "zum besten Zeitpunkt für die Heimwehren gekommen". - Nämlich genau in dem Moment, wo Teile der Christlichsozialen Partei zum Ausgleich mit der Sozialdemokratie gedrängt hätten.

Die sozialdemokratische Führung sei denn auch gegen einen solchen "Verzweiflungsschlag ohne strategische Perspektive" gewesen, habe aber ihre Kader nicht mehr unter Kontrolle gehabt.
Erklärbar aus der historischen Erfahrung
Warum die Sozialdemokraten so lange glaubten, die Situation aussitzen zu können, ist für Höbelt auch aus der historischen Erfahrung erklärbar: Schon in der Monarchie war in verfahrenen Situationen per Notverordnung regiert worden, allerdings ohne das Parlament vollends auszuhebeln.

Damals garantierte der Kaiser für die Rückkehr zur Normalität - ein Korrektiv, das 1933 fehlte. Eine schwarz-rote Koalition gegen die Nationalsozialisten wäre für Dollfuß keine attraktive Variante gewesen, glaubt Höbelt: "Da hätte es die Christlichsoziale Partei zerrieben."
Dollfuß' Rolle: Zwischen Faschismus und NS-Opfer
Für Pelinka ist die Haltung der ÖVP nach 1945 - nämlich nur Dollfuß' Rolle als Gegner der Nationalsozialisten in den Vordergrund zu rücken - jedenfalls "unhaltbar". Dollfuß sei zwar auch NS-Opfer, aber nicht nur.

"Die ÖVP hat sich nie wirklich mit der bewussten Entscheidung Dollfuß' auseinander gesetzt, unter massivem Einfluss von Mussolini die demokratische Republik zu zerstören", kritisiert Pelinka.

Die spätere Ermordung des Kanzlers durch die Nationalsozialisten werde zur Rechtfertigung seiner Machtergreifung herangezogen. Aus der Sicht nach 1945 habe Dollfuß das "Glück" gehabt, von den "richtigen" Gegnern ermordet worden zu sein, so Pelinka.
SPÖ: Demonstrative Erinnerung an 1934
Die SPÖ wiederum habe nach 1945 "die Erinnerung an den Februar 1934 demonstrativ hochgehalten", betont Pelinka - um die "Trennschärfe zum Koalitionspartner ÖVP zu unterstreichen" und um angesichts der Bedrohung durch die Kommunisten die Einheit der Arbeiterbewegung zu erhalten, wie der Politologe meint.

Zudem habe man so vermeiden können, sich der Frage des Arrangements sozialdemokratischer Gefolgsleute mit den Nationalsozialisten zu stellen. Schließlich seien beispielsweise unter den Profiteuren der Arisierungsmaßnahmen auch zahlreiche frühere Sozialdemokraten gewesen.
->   Mehr zum 12. Februar 1934 in ORF.at
->   Dokumente zum 12. Februar 1934 (ZeitgeschichteInformationsSystem)
->   Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)
->   Auswahl von Fotos zu den Februarkämpfen in Wien (DÖW)
->   Otto Urban: März 1933 - Der Beginn des Austrofaschismus (5.2.03)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Siegfried Mattl: Vaterländische Gute-Nacht-Geschichten (21.5.03)
->   Siegfried Mattl: Bedenkliche Naivität vor der Geschichte - zu Kurt von Schuschnigg (23.5.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010