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Warum die Liebe blind macht  
  Ist man verliebt, hat man nur die positiven Seiten des menschlichen Gegenüber im Sinn - negative Eigenschaften werden dagegen geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Britische Forscher konnten diese Alltagserfahrung nun neurobiologisch belegen. Sie fanden heraus, dass bei mütterlicher und partnerschaftlicher Liebe weitgehend die selben Gehirnregionen aktiv bzw. stillgelegt sind.  
Wie Andreas Bartels und Semir Zeki vom University College London berichten, werden bei beiden Formen der Liebe gewisse Belohnungszentren im Gehirn aktiviert. Im Gegenzug werden auch jene Areale stillgelegt, die für die kritische Beurteilung von Personen verantwortlich sind.
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Der Artikel "The neural correlates of maternal and romantic love" von Andreas Bartels und Semir Zeki erschien in der Zeitschrift "NeuroImage" (doi:10.1016/j.neuroimage.2003.11.003).
->   Zum Original-Abstract
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Die rosa Brille der Verliebten ...
"Wenn man verliebt ist, beginnt man damit, sich selbst zu täuschen, und endet damit, andere zu täuschen. Das nennt die Welt Romantik", sinnierte Oscar Wilde zum Thema Liebe.

Auch wenn man das allzu nüchterne Resümee des britischen Romanciers nicht teilt, so stimmt eines ganz bestimmt: Der oder die Geliebte wird mit ganz anderen Augen wahrgenommen, als es bei den anderen Mitmenschen der Fall ist.
... neurobiologisch dargestellt
Andreas Bartels und Semir Zeki haben diese Tatsache vor kurzem nun auch neurobiologisch untermauert.

Sie ließen Mütter Bilder ihrer eigenen Kinder betrachten und untersuchten dabei deren Gehirnaktivität mittels eines bildgebenden Verfahrens, dem funktionellen Magnetresonanz-Imaging (fMRI).
->   Mehr zu fMRI (Oxford Centre for fMRI)
Kontrolle mittels weiterer Bilder
Zur Kontrolle wurden die Mütter aufgefordert, auch Bilder von vertrauten Kindern anderer Eltern sowie von erwachsenen Freunden zu betrachten. Damit sollten die mit Freund- und Bekanntschaft verbundenen Gefühle von jenen der mütterlichen Liebe unterschieden werden.
Belohungssystem im Gehirn aktiviert
Bereits in einer früheren Studie hatten die beiden Forscher das selbe Verfahren auf die partnerschaftliche Liebe angewandt. Der Vergleich der beiden Studien zeigt:

Beide Formen der Liebe lösen ganz ähnliche Erregungsmuster im Gehirn aus. Konkret handelt es sich dabei um eine Aktivierung von Teilen des so genannten Belohnungssystems.
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Die Areale des Belohungssystems
Ganz allgemein rechnet man zum Belohungssystem im Gehirn folgende Regionen: den "medialen präfrontalen Cortex", den "Nucleus accumbens", den "lateralen Hypothalamus" sowie das "ventrale Tegmentum". Diese Bereiche spielen auch beim Drogenkonsum oder bei sexueller Erregung eine wichtige Rolle.
->   Mehr zum Belohnungssystem (University of Colorado)
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Aktive Regionen reich an "Bindungs-Molekülen"
Interessant ist, dass die aktivierten Regionen besonders reich an Rezeptoren für die Neurohormone Vasopressin und Oxytocin sind. Dies passt ausgezeichnet zu Entdeckungen, die man schon vor Jahren auf dem Gebiet der Ethologie gemacht hat.

Oxytocin ist etwa an der Entstehung sexueller Lustgefühle oder des Milchflusses stillender Mütter beteiligt.

Das Wichtigste ist jedoch: Beide Stoffe spielen eine wichtige Rolle beim Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen - und zwar sowohl zwischen Müttern und Kindern als auch zwischen erwachsenen Partnern.
->   Mehr zu Vasopressin und Oxytocin (www.oxytocin.org)
Zentren für soziale Kritk stillgelegt
Wie Bartels und Zeki herausfanden, haben die beiden Formen der Liebe noch eine Gemeinsamkeit. Beide Regungen führen auch zu einer Inaktivierung von bestimmten Gehirnregionen, die vor allem mit negativen Emotionen und kritischen sozialen Beurteilungen von Mitmenschen verbunden sind.
Liebes-Blindheit neurobiologisch erklärt
Sieht man von Details ab, dann löst Liebe im Gehirn also zwei Vorgänge aus: ein Plus an Wohlgefühl sowie ein Minus an Kritikvermögen. Dies sei erstens Ausdruck eines allgemeinen zweigleisigen Regulationsprinzips ("push-pull mechanism") und habe zweitens durchaus eine Funktion, schließen die britischen Hirnforscher.

Wenn man nämlich mit einer Person eng vertraut sei, dann sei es auch nicht mehr nötig, deren Persönlichkeit ständig neu zu beurteilen. Mit diesen Ergebnissen könne man nun auch in neurobiologischen Begriffen erklären, warum die "Liebe blind macht", so die beiden Forscher in ihrem Artikel.
Linktipps
Der Original-Artikel kann gratis auf der Website von Andreas Bartels heruntergeladen werden.
->   Website Andreas Bartels
->   Website Semir Zeki
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01.01.2010