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Empathischer Schmerz: Wie und warum das Gehirn mitfühlt  
  Wer kennt das nicht? Man beobachtet, wie sich ein Gegenüber recht schmerzhaft den Kopf anschlägt - und zuckt selbst zusammen. Ähnlich geht es dabei unserem Gehirn, wie nun Forscher berichten. Sie haben mithilfe bildgebender Methoden untersucht, wie sich mitgefühlter Schmerz im Gehirn manifestiert. Dahinter steht das Konzept der Empathie - diese Fähigkeit des Einfühlens in die Gefühls- oder Sinneswelt anderer gilt als unverzichtbare Basis des menschlichen Zusammenlebens.  
"Unsere Fähigkeit, den Schmerz einer anderen Person zu erfahren, ist charakteristisch für Empathie", schreiben die Forscher um Tania Singer vom University College of London im Fachmagazin "Science".

Um jenes Mitfühlen auch neurobiologisch zu untersuchen, beobachteten sie, was im Gehirn von Probanden vor sich ging, während diese einen schmerzhaften Stimulus verspürten - und während der gleiche Schmerz ihrem Partner zugefügt wurde.
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Der Artikel "Empathy for Pain Involves the Affective but not Sensory Components of Pain" ist erschienen in "Science", Bd. 303, Seiten 1157 - 1162, Ausgabe vom 20. Februar 2004.
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Nachgefühlte Emotionen - oder Schmerz
Bild: Corbis
Wer schon allein beim Blick auf das Bild rechts selbst ein leichtes Zucken verspürt, ist vermutlich besonders einfühlsam. Oder anders ausgedrückt: Er darf diese Reaktion auf seine so genannte Empathie zurückführen.

Mit diesem Terminus bezeichnet man die Fähigkeit des Einfühlens oder Mitfühlens: Eine Person vollzieht die Gefühlslage oder Sinneswelt eines anderen Menschen nach bzw. versucht sie zu begreifen - seien dies nun Emotionen wie Trauer oder körperliche Empfindungen wie Schmerz.

Die Philosophin Susanne Langer hat dies 1988 in ihrem "Essay on Human Feelings" als eine "unwillkürliche Verletzung des individuellen Getrenntseins" beschrieben.
Soziale Welt: Empathie als Voraussetzung
Evolutionsbiologisch betrachtet ist die Fähigkeit des empathischen Einfühlens vermutlich relativ alt. Denn sie gilt als eine unverzichtbare Grundlage für das soziale Zusammenleben, dem sich die Menschheit bzw. ihre Vorfahren seit nunmehr einigen Jahrmillionen verschrieben haben.

Zu fühlen, was andere fühlen, hilft demnach dabei, zwischenmenschliche Beziehungen zu unterhalten - diese aber sind schlichtweg überlebenswichtig für jeden Menschen.

"Das menschliche Überleben hängt von der Fähigkeit ab, innerhalb eines sozialen Kontextes effektiv zu funktionieren", schreiben denn auch Tania Singer und Kollegen in "Science".
Im Blickpunkt der Neurowissenschaften
Wenig überraschend haben sich bislang vor allem die Disziplinen der Philosophie und Sozialwissenschaften mit der Empathie befasst. Erst seit kurzem ist sie auch in den Blickpunkt der Neurowissenschaften gerückt.
Empathischer Schmerz - sichtbar gemacht
Denn die Gehirnforschung kann mittlerweile auf eine ganze Reihe von fortgeschrittenen Techniken zurückgreifen, die etwa Verarbeitungsprozesse in der menschlichen Schaltzentrale sichtbar machen.

Ein empathisches Phänomen - den nachgefühlten körperlichen Schmerz - haben nun Singer und Kollegen untersucht - und sich dabei der Methode der funktionellen Kernspintomografie (fMRI) bedient.
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16 Paare im Test: Die Details der Versuchsanordnung
Die Forscher testeten für ihre Studie insgesamt 16 Paare - in der Annahme, dass diese sich sehr wahrscheinlich gegenüber den Empfindungen des jeweiligen Partners besonders sensibel zeigen würden. Beide befanden sich während der Untersuchung im gleichen Raum, das Gehirn der Frau(en) wurden dabei mithilfe der fMRI untersucht. Nun wurde entweder der Frau oder ihrem Partner ein elektrischer Schock auf den Handrücken versetzt. Die weiblichen Teilnehmer konnten dabei zwar das Gesicht ihres Liebsten nicht sehen, dafür aber zeigte eine Anzeige jeweils, wer von beiden den Elektroschock verspüren würde - und ob dieser eher schwach oder stärker und damit vergleichsweise schmerzhaft sein würde.
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Stärkere und schwächere Elektroschocks
Verspürten die Studienteilnehmerinnen selbst einen starken Schmerzreiz, so leuchteten - ganz wie zu erwarten - auf den fMRI-Bildern die wohlbekannten Schmerzzentren im Gehirn auf. Wurde ihren Partner der Schmerz über Elektroschock zugefügt, so zeigten die Aufnahmen bei den Frauen erneut Aktivität in bestimmten Schmerzregionen.

Doch nicht alle mit schmerzhaften Empfindungen in Zusammenhang stehenden Bereiche des Gehirns reagieren, wie die Bilder der Forscher zeigen. So blieben etwa jene Areale, die bei der Verarbeitung der exakten Position des Schmerzreizes eine Rolle spielten, völlig stumm.
Mitgefühlter Schmerz tut "anders weh"
 
Bilder: Tania Singer

Das Bild links zeigt jene Gehirnregionen, die durch den selbst verspürten Schmerzreiz aktiviert wurden. Rechts zu sehen sind die Areale, die bei empathischem Nachfühlen von Schmerz aktiviert wurden.

Das neuronale Substrat für empathische Erfahrungen schließe offenbar nicht die gesamte "Schmerzmatrix" mit ein, schließen die Forscher aus den Ergebnissen. Die konkreten Sinneseindrücke des schmerzgeplagten Liebsten fühlen wir demnach jedenfalls nicht nach.

"Wir folgern daraus, dass nur jener Teil des Schmerznetzwerks, der mit dessen affektiven Qualitäten zusammenhängt - nicht aber mit den sensorischen Qualitäten, Empathie vermittelt", heißt es in "Science".
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Je empathischer, desto aktiver das Gehirn
Auch Unterschiede beim empathischen Schmerzempfinden ließen sich der Studie zufolge feststellen: Demnach war die (emphatische) Gehirnaktivität bei jenen Frauen am höchsten, die ihr Mitfühlen auch in Fragebögen besonders hoch bewerteten.

Und schließlich konnten die Forscher auch zeigen, dass gewisse emotionale Signale wie etwa die Beobachtung vom Gesicht des Partners für das Nachfühlen des Schmerzes gar nicht notwendig sind (siehe Infokasten mit den Details zum Versuch). Auf diese Stimuli haben sich etwa frühere Studien zur Empathie gestützt.
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Der eigene Körper vs. die andere Person
Die Erklärung für die Ergebnisse: Detaillierte Repräsentationen von Ursprung und Natur eines Schmerzreizes (also etwa Intensität und Lokalisation) spielen nur dann eine Rolle, wenn es um den eigenen Körper geht, der darauf reagieren kann (indem er beispielsweise den schmerzhaften Kieselstein aus dem Schuh entfernt).

Hingegen macht das Einfühlen in den Schmerz einer anderen Person keine so detaillierte Repräsentation im Gehirn notwendig. Vielmehr ist laut Stinger und Co eine "Repräsentation der subjektiven Relevanz des Stimulus" für den Gegenüber wichtig.

Mit anderen Worten: Man muss den Schmerz nicht selbst verspüren, sondern lediglich eine Vorstellung seiner emotionalen Bedeutung für den Schmerzgeplagten erhalten.
Grundlage unseres Verstehens anderer
Die Forscher nennen solche Repräsentationen "entkoppelt" - sie sind demnach unabhängig von den sensorischen Inputs der Außenwelt. Sie sollen etwa auch die menschliche Fähigkeit begründen, Gedanken, Überzeugungen und Absichten anderer zu verstehen (Stichwort: "Theory of Mind").

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir ähnliche entkoppelte Repräsentationen verwenden, um die Gefühle anderer zu verstehen", heißt es dazu in "Science".

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Wellcome Department of Imaging Neuroscience des UCL
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Die Neurobiologie der Empathie (9.4.03)
->   Erfahrung verändert Wahrnehmung von Emotionen (18.6.02)
->   Geist und Gefühl: Geichwertige Partner (19.3.02)
->   Alles zum Stichwort Schmerz im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010