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Rätselhaft: Sind blinde Nagetiere doch nicht blind?  
  Ein deutsches Forscherteam hat entdeckt, dass die Augen unterirdisch lebender afrikanischer Nagetiere eine normal entwickelte Netzhaut besitzen. Die gefundenen Lichtsinneszellen, so genannte Zapfen, sind eigentlich für das Sehen bei Tageslicht zuständig. Ihr Nutzen in der lichtlosen Welt der - zur Gruppe der Mulle gehörenden - Tiere ist für die Wissenschaftler daher äußerst rätselhaft.  
Während bei anderen Säugetieren, wie auch den Menschen, ein grün-empfindliches Zapfenpigment dominiert, enthalten die meisten Zapfen der Mulle ein blau-empfindliches Sehpigment. Dieser Befund stellt die gängigen Vorstellungen vom Sehorgan unterirdisch lebender Säuger in Frage.
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Der Artikel "Unusual cone and rod properties in subterranean African mole-rats (Rodentia, Bathyergidae)" von Leo Peichl, Pavel Nemec und Hynek Burda erschien im Fachmagazin "European Journal of Neuroscience" (Band 19, S.1545-58).
->   Zum Original-Abstract
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Viele Säugetiere leben unterirdisch
Bild: Hynek Burda, Universität Duisburg-Essen
Graumull: Cryptomys anselli
Bemerkenswert viele Säugetiere sind während der Evolution zu einer vollständig oder teilweise unterirdischen Lebensweise übergegangen - fast 300 Arten von Nagetieren, Insektenfressern und Beuteltieren.

Vermutlich als evolutionäre Anpassung an den lichtlosen Lebensraum besitzen die meisten dieser unterirdisch lebenden Arten zurückgebildete kleine Augen; viele werden als blind erachtet.

Die afrikanischen Mulle (Sandgräber, Bathyergidae) gehören zu jenen Nagern, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand ihr Leben vollständig im Untergrund verbringen.

Die Tiere ernähren sich von Wurzeln und Knollen, zu denen sie Suchgänge graben, und ziehen auch ihre Jungen unterirdisch auf. Die Augen sind klein, je nach Art 1,5 bis 2,5 Millimeter im Durchmesser.
Drei Spezies untersucht
Leo Peichl vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/Main und seine Mitrabeiter haben die Augen von drei Arten, dem Graumull Cryptomys anselli, dem Riesengraumull C. mechowi und dem Nacktmull Heterocephalus glaber, genauer untersucht und dabei Erstaunliches gefunden.
Netzhaut ohne Rückbildungen
Die Netzhaut (Retina) der Augen war anatomisch normal entwickelt und zeigte keine auffälligen Rückbildungen. Im Gegenteil: Die Forscher fanden einen ungewöhnlich hohen Anteil von zehn Prozent Zapfen unter den Lichtsinneszellen.

Nachtaktive oberirdisch lebende Nager wie Ratte und Maus haben einen Zapfenanteil von nur ein bis drei Prozent - was nicht verwundert, denn bei Mond- bzw. Sternenlicht sprechen diese Sinneszellen noch nicht an.

Selbst die meisten tagaktiven Säugetiere kommen mit fünf bis zwanzig Prozent Zapfen aus. Warum sollten die im Dauerdunkel lebenden Mulle so hoch in die Zapfen investieren, die doch nur bei Tageslicht aktiv sind?
->   Mehr zur Netzhaut bei Wikipedia
Rätselhaft: Viele Zapfen, wenig Stäbchen
Die Mehrheit der Lichtsinneszellen sind bei allen nachtaktiven und den meisten tagaktiven Säugetieren die Stäbchen, die für das Sehen bei geringen Helligkeiten zuständig sind.

Hier erweisen sich die Mulle als weniger gut ausgestattet: Ihre Stäbchendichte ist nur ein Viertel so hoch wie etwa die der Maus. Warum sparen die Mulle ausgerechnet an den lichtempfindlicheren Stäbchen?
Netzhaut im Querschnitt
 
Bild: Leo Peichl, MPI für Hirnforschung

Querschnitt durch die Netzhaut eines Graumulls. Grün gefärbt die zahlreichen Zapfen, rot gefärbt das blauempfindliche Sehpigment, das sich in den Außensegmenten fast aller Zapfen befindet (oben, in der Überlagerung orange-gelb erscheinend). Das kleine Bild links unten zeigt einen Querschnitt durch das Auge eines Graumulls (Durchmesser 2 mm). Dunkel gefärbt die Linse, links davor die Pupillenöffnung und die Hornhaut. Die Netzhaut kleidet die hintere Innenwand des Augapfels aus.
Überraschung Nr.2: Blauempfindliche Zapfen überwiegen
Eine weitere Überraschung erlebten die Forscher, als sie die Sehpigmente der Zapfen untersuchten. In der Regel enthält die Netzhaut der meisten Säuger zwei spektrale Zapfentypen: zu etwa 90 Prozent sind es grünempfindliche Zapfen, lediglich 10 Prozent sind blauempfindlich.

Das ermöglicht ein passables, so genanntes dichromatisches Farbensehen. Bei den Mullen hingegen enthalten etwa 90 Prozent der Zapfen das blauempfindliche Sehpigment, die übrigen 10 Prozent sind reine Grün-Zapfen.

Die Mulle sind die ersten Säugetiere, bei denen eine solch radikale Umkehr des Mischungsverhältnisses von grünem und blauem Zapfenpigment beobachtet wurde.
Rückbildungsthese in Frage gestellt
Keine dieser bei den Mullen gefundenen Besonderheiten (hoher Anteil an Blau-Zapfen, geringe Anzahl an Stäbchen) passt zur These vom generellen Rückbau der Netzhaut in Anpassung an den lichtlosen unterirdischen Lebensraum.

Evolutionsbiologen gehen nämlich davon aus, dass nicht gebrauchte Strukturen abgebaut werden, weil sie unnötig Stoffwechselenergie kosten - Überflüssiges leistet sich die Natur nicht. Eher würde man diese Besonderheiten also als Spezialisierungen für besondere visuelle Aufgaben interpretieren.
Verhaltensstudien sollen Aufschluss geben
Was diese Sehleistungen sein könnten, müssen zukünftige Verhaltensversuche und Freilandstudien zeigen. Vielleicht verlassen die Tiere doch ab und zu ihre unterirdischen Lebensräume?

Noch weiß man zu wenig über die visuellen Herausforderungen und Leistungen der Mulle. Die Hypothese der generellen, konvergenten Reduktion des Sehorgans bei unterirdisch lebenden Säugern steht jetzt jedenfalls auf dem Prüfstand.
->   Max-Planck-Institut für Hirnforschung
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01.01.2010