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1950 bis 1980: Das Goldene Zeitalter  
  In Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation erscheint vielen die jüngste Vergangenheit bereits als goldenes Zeitalter. Und auch in der Geschichtswissenschaft beginnt sich der Ausdruck des "Golden Age" für die Zeit zwischen 1950 und 1980 durchzusetzen. Eckpfeiler dafür waren Vollbeschäftigung, Bildungsexplosion und Massenkonsum - berechenbare Lebenswege die Folge.  
Einen unsentimentalen Blick auf diese "Erfolgsgeschichte des Kapitalismus" wirft der Historiker Peter Gutschner vom Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Gesellschafts- und Kulturgeschichte in Salzburg/Linz in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "zeitgeschichte".
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Der Artikel "Normen und Realitäten. Kritische Anmerkungen zum Goldenen Zeitalter" ist in "zeitgeschichte" (31. Jahrgang, 1/2004, S. 36) erschienen.
->   "zeitgeschichte" 1/2004 (Studienverlag)
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Arbeit, Bildung und Konsum
Der große britische Historiker Eric Hobsbawm nannte in seinem Buch "Zeitalter der Extreme", das die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts reflektierte, ein zentrales Kapitel "The Golden Age". Auf Österreich bezogen kann es auf die Periode zwischen 1950 und 1980 eingeschränkt werden.

Als "zentrale Trias" dieses Goldenen Zeitalters, das den faschistischen Diktaturen und dem Zweiten Weltkrieg folgte, bezeichnet Gutschner "Arbeit, Bildung und Konsum".
Massenproduktion ermöglichte Massenkonsum
Die Erfolgsgeschichte der Zeit sei "auf den ersten Blick beispiellos" und umfasse ein "historisch noch nie da gewesenes Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum". Entfiel noch 1954 knapp die Hälfte des privaten Konsums auf Nahrungs- und Genussmittel, so waren es 1972 nur mehr ein Drittel und 1990 ein Fünftel.

An ihre Stelle traten - dank Massenproduktion, sinkender Preise und steigender Löhne - Produkte des modernen Konsums:

Autos, Fernsehapparate, Urlaubsreisen etc. Ein schichtübergreifendes Phänomen, das die sozialen Unterschiede aber nicht nivellierte. Diese wurden nun "mit feineren Instrumenten ausgedrückt, etwa durch die Art des Autos, die Marke des Anzugs, das Ziel der Fernreise", wie Gutschner den deutschen Sozialhistoriker Hartmut Kaelble zitiert.
Männliche Vollbeschäftigung zentrale Messgröße
Die Voraussetzungen für diesen neuen Wohlstand lagen in der Arbeitswelt - die Vollbeschäftigung sorgte für eine bislang unbekannte Verteilung von Reichtum. Vorherrschendes Modell blieb allerdings die marktbezogene Erwerbsarbeit - und die war zumindest anfangs auf Männer begrenzt, die Hausarbeit wurde "aus dem Bezugssystem Arbeit" ausgeklammert.

Das "männliche Vollerwerbsarbeitsverhältnis" war "zentrale Messgröße" auch für staatliche Transferleistungen. Die Erfolgsgeschichte des Goldenen Zeitalters sei für Frauen deshalb durchaus eine "zwiespältige Angelegenheit" gewesen.

Berufstätige Frauen, so Gutschner im Verweis auf eine Studie von Roman Sandgruber, hätten 1969 rund 80 Stunden in Beruf und Haushalt gearbeitet, Männer rund 50 Stunden.
Bildungsausbau v.a. für Mittelschichten und Frauen
Ein Grund für den Erfolg des Goldenen Zeitalters lag im "massiven Ausbau der Bildungsmöglichkeiten". Einer von vielen Belegen: 1951 lag der Anteil der österreichischen Bevölkerung, der ausschließlich einen Pflichtschulabschluss aufweisen konnte, bei 87 Prozent, 1991 nur mehr bei 41,5 Prozent.

Profitiert von diesem besseren Bildungsangebot haben "besonders die Mittelschichten und partiell die unteren Schichten sowie in allen Schichten die Frauen".
Abschied vom Vollerwerb
Mit den krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft ab Mitte der 1970er Jahre (Erdölkrise 1973) und zunehmender Arbeitslosigkeit ging das Goldene Zeitalter langsam zu Ende. Der als "normal" apostrophierte Vollerwerb - "noch heute Kern sozialer Schutzregelungen im Arbeits- und Sozialrecht" - begann sich aufzulösen.

Als erstes, so Gutschner, "erkannten die Soziologie und die Wirtschaftswissenschaften, dass das Golden Age einen Ausnahmefall in der historischen Entwicklung darstellte", die Historiker folgten erst in den 1990er Jahren. Nicht zuletzt durch die massive Anwendung digitaler Produktionstechnologien entstand der vielzitierte "Kapitalismus ohne Arbeit", d.h. auch stärkerer Absatz führt nicht mehr zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen.
Verlust alltäglicher Normalität
Mit diesem Wegfall und der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit ging ein "Verlust der Normalität" alltäglicher Lebensstrukturen einher. Schon der Begriff "atypische Beschäftigungsverhältnisse" verweise auf ein Arbeitsverhältnis des Golden Age - eine noch bestehende ideelle Norm, wie Gutschner schreibt. Der Rückgang von Vollzeitarbeitsplätzen und zugleich Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sei aber "unumkehrbar".

Die lebensbiografischen Konzepte des Goldenen Zeitalters - "Ausbildung, Erwerbsphase, Ruhestand" - stehen vor ihrem Ende und Patchwork-Biografien bestimmen zunehmend das Arbeitsleben der Zukunft. Die Rahmenbedingungen dafür sind in einer Gesellschaft, deren Normen nach wie vor im Golden Age verankert sind, aber laut Gutschner "noch nicht vorhanden".
Basiseinkommen für alle als Gegenmodell
Ein mögliches Gegenmodell läge in der Einführung eines Basiseinkommens für alle ohne Bindung an Erwerbsarbeit, was zwar "zunehmend intensiver diskutiert wird", aber eben "nach wie vor nicht umgesetzt".

Bei der Frage nach einem Blick in die Zukunft übt sich Gutschner in Bescheidenheit. "Die historischen Wissenschaften sollten zwar brisante Fragestellungen der Gegenwart aufgreifen, doch in erster Linie deren Entwicklungsstränge analysieren."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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Peter Gutschner ist Historiker am Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Gesellschafts- und Kulturgeschichte Linz/Salzburg und Geschäftsführer des Karl Steinocher Fonds.
Forschungsfelder: Sozialgeschichte der Frühen Neuzeit - Schwerpunkte: Geschichte der Arbeit, Bildung und Disziplinierung.
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->   LBI für Gesellschafts- und Kulturgeschichte
->   Karl-Steinocher-Fonds
 
 
 
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01.01.2010