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Ewiger Geschlechterunterschied im Sport?  
  Frauen konnten viele Sportarten aufgrund historischer Beschränkungen erst viel später ausüben als Männer. Ihre "Leistungsexplosion" spätestens seit den 1980er Jahren schien es aber möglich zu machen, dass sie in einigen Disziplinen die Männer eines Tages überholen würden. Neueste Berechnungen glauben nicht mehr daran. Sie gehen von einem "ewigen Geschlechterunterschied" im Sport aus.  
Das ist zumindest der Schluss, den ein Überblicksartikel in der aktuellen Ausgabe der US-Wissenschaftszeitschrift "Science" in dieser Woche zieht.
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Der Artikel "An Everlasting Gender Gap?" ist in "Science" (Bd. 305, S. 639, Ausgabe vom 30. Juli 2004) erschienen.
->   "Science"
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Historische Ursachen des "Leistungsrückstands"
Unbestritten ist, dass der "Leistungsrückstand" von Frauen gegenüber Männern in erster Linie auf historische und soziale Ursachen zurückzuführen ist. Das körperliche Kräftemessen galt (und gilt manchen noch immer) schlicht als "unweiblich".

Und das nicht nur in einer finsteren Vorzeit, sondern noch bis vor kurzem. Der Marathonbewerb für Frauen wurde erst 1984 ins Olympische Programm aufgenommen. Und dass Frauen auch jenseits von Jahrmarktbelustigung auch auf höchstem Niveau boxen oder Fußball spielen können, ist in den deutschsprachigen Ländern erst eine Erkenntnis der letzten Jahre.
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Frauenfußball wurde durch den Österreichischen Fußballbund (ÖFB) erst 1982 offiziell anerkannt, der Frauenboxsport erst 1996 durch den Österreichischen Amateur-Boxverband legalisiert.
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Die "Argumente" gegen Frauensport
Jahrhundertlang gewehrt hat sich der größtenteils von Männern betriebene Sport mit den immer gleichen "Argumenten": körperliche Verausgabung sei unweiblich, da von den "eigentlichen Aufgaben" - der Reproduktion - ablenkend, die Physis der Frau manchen Anstrengungen nicht gewachsen, der direkte athletische Kräftevergleich Sache der - sowieso aggressiveren - Männer.

Spätestens seit den 1980er Jahren wurden die Unterschiede in den Leistungen aber immer geringer und die "Argumentationslinien" gerieten zunehmend ins Wanken.
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Beispiel Marathon
Nur ein Beispiel: Änderte sich die Weltbestzeit im Marathonlauf (42,195 Kilometer) bei den Männern zwischen 1954 und 2003 um rund 13 Minuten (derzeitiger Weltrekord von Paul Tergat: 2 Std. 4:55 Minuten), waren es bei den Frauen eine Stunde und 22 Minuten (derzeitiger Weltrekord von Paula Redcliffe: 2 Std. 15:25 Minuten).
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1992-Prognose sah Frauen schon auf Überholspur
Brian Whipp und Susan Ward von der University of California stellten 1992 in "Nature" die vermeintlich provokante Frage: "Werden die Frauen die Männer bald überholen?" Sie verglichen dabei die Entwicklung der Bestzeiten in den fünf wichtigsten Olympischen Laufbewerben - vom 200 Meter Lauf bis zum Marathon - im Zeitraum von 1920 bis 1990.

Resultat: Die Frauen verbesserten ihre Zeiten in den Sprintbewerben doppelt so schnell wie die Männer, bei den Langstrecken sogar noch schneller. Bei gleich bleibender Entwicklung, so die Prognose damals, würde der Geschlechterunterschied spätestens 2050 verschwunden sein, im Marathon sogar bereits gegen die Jahrtausendwende.
Der Körper als Schicksal?
Wie die US-Wissenschaftszeitschrift "Science" in dieser Woche berichtet, wird daraus aber sobald nichts. Der Grund dafür sei genetischer bzw. hormonaler Natur: endogenes Testosteron, das die Muskeln antreibt, und für eine bessere Sauerstoffversorgung sorgt.

Laut Stephen Seiler von einem Sportwissenschaftsinstitut in Kristiansand/Norwegen beträgt die maximale Sauerstoffaufnahme in der Minute dreieinhalb Liter, bei Frauen rund zwei Liter.

Männer verfügen über die zehnfache Menge an Testosteron, das die Bildung von roten Blutkörperchen anregt. Sie kommen so auf zehn Prozent mehr Hämoglobin im Blut, dem Protein, das für die Sauerstoffversorgung sorgt.
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Testosteron
Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon. Es wird im Hodengewebe gebildet, regt Wachstum von Prostata und Samenblase an und fördert Spermienreifung und Ausbildung der männlichen sekundären Geschlechtsmerkmale. Wegen seiner anabolen Wirkung kann Testosteron die Proteinsynthese steigern und damit das Muskelwachstum fördern. Natürliches oder künstliches Testosteron wird daher mitunter als Dopingmittel verwendet. Bei Frauen ist es trotz der geringen gebildeten Mengen ebenfalls wichtig für Wachstum und Entwicklung.
->   Mehr zu Testosteron (Wikipedia)
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Differenz bei Sauerstoffzufuhr und Muskeln
Aber nicht nur an der Versorgung mit Sauerstoff liege der Geschlechterunterschied. Genauso wichtig seien die Differenzen in der Muskulatur: Im Verhältnis zur Körpergröße haben Männer schlicht mehr Muskeln und größere Herzen.

Mehr Muskeln bedeutet auch größere Mengen der zwei wichtigsten anaeroben Energiequellen - zur kurzfristigen Energiegewinnung ohne Sauerstoff, wie sie etwa bei Sprintbewerben nötig ist: Phosphokreatin und Glukose.
Leistungsunterschiede wachsen wieder an
Um diesen physiologischen Unterschieden neuerlich nachzugehen, hat Stephen Seiler nun die Arbeiten von Whipp und Ward aus dem Jahr 1992 fortgesetzt - und einen neuen Trend in Sachen Leistungsunterschieden der Geschlechter entdeckt. Ihm zufolge werden sie wieder größer.

Während der durchschnittliche Unterschied 1989 10,4 Prozent betrug, liege er derzeit wieder bei knapp mehr als elf Prozent.

Weltrekorde seien im vergangenen Jahrzehnt eher von Männern - hier in erster Linie von den ostafrikanischen Mittel- und Langstreckenläufern - gebrochen worden. Die Ursache dafür sehen die Forscher in erster Linie im Verschwinden des "Ostblocks" - bzw. des planmäßigen Dopings speziell im Frauensport dieser Länder.
->   Dokumentiert: Doping-Forschung in der Sowjetunion (5.12.02)
Gender Gap nicht aufhebbar
Nach Ansicht der von "Science" befragten Mediziner wird sich dieser "Gender Gap" aufgrund der genetischen Unterschiede nicht aufheben lassen. Und auch die Frequenz an neuen Rekorden in der Leichtathletik innerhalb der Geschlechtergrenzen werde sich in Zukunft verringern: "Wir nähern uns den Grenzen menschlicher Leistung in einer Reihe von Disziplinen", meint Stephen Seiler.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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01.01.2010