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Von der Kerze zur Glühbirne: Geschichte der Helligkeit  
  Die Nacht ist auch nicht mehr das, was sie einmal war: Astronomen klagen über die Helligkeit der Städte und bauen ihre Observatorien fernab der Zivilisation, seltene Nachtfalter verglühen in Straßenlampen, fehlgeleitete Zugvögel rasen in Wolkenkratzer. Und Tschechien hat bereits ein Gesetz gegen Lichtverschmutzung erlassen.  
Bild: Fischer Taschenbuch Verlag
Allenfalls mithilfe eines Stromausfalls können wir uns heute noch vorstellen, wie dunkel es in früheren Jahrhunderten war. Wer nicht auf den nächsten Blackout warten will, dem sei das Buch "Lichtblicke" von Wolfgang Schivelbusch empfohlen.

In seiner "Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert" beschreibt der renommierte deutsche Kulturhistoriker den Aufstieg des Gaslampe und später der Glühbirne - und wie die Menschen mit diesem Mehr an Licht umgegangen sind.
Gespür für "unterbelichtete" Themen
Wolfgang Schivelbusch wurde durch seine preisgekrönte "Geschichte der Eisenbahnreise" (1977) bekannt, in der er die "Industrialisierung von Raum und Zeit" aufzeigte. Seither arbeitet der Querdenker als freier Autor und ohne akademische Anbindung.

Schivelbusch hat ein Gespür für "unterbelichtete" Themen und bietet seinen Lesern kulturwissenschaftliche Einblicke vom Feinsten: klug, aber nicht belehrend, gut konsumierbar, aber nie trivial.
Gaslampe: Kind der Industrialisierung
So wie die Eisenbahn ihren Ursprung in den englischen Kohleregionen als Transportmittel hatte, war auch die Gaslampe ein Kind der Industrialisierung und kam zunächst nur in Fabriken als Arbeitsbeleuchtung zum Einsatz. Kohle war auch für die Herstellung von Gas unverzichtbar, welches man in riesigen Gasometern sammelte, die zu den Industriesymbolen des 19. Jahrhunderts wurden.
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Wolfgang Schivelbusch: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2004 (Fischer). 229 Seiten, Euro 13,20.
->   Mehr über das Buch (Fischer)
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Neues, gedacht in Kategorien des Alten
Wie Schivelbusch zeigt, ist die Geschichte der Technologie keine lineare Fortschrittsgeschichte, denn das Neue wird zunächst in den Kategorien des Alten gedacht. So waren etwa die Drehschalter des frühen elektrischen Lichts dem Gashahn nachempfunden.

Die Gasleitungen wurden analog zu den Wasserleitungen verlegt, vom Gasometer in der Stadt in alle Straßen und dann in die Häuser. Diesem Prinzip folgte man zunächst auch mit den Stromleitungen, bis man merkte, dass man Strom auch weit außerhalb der Stadt produzieren und auf den Hochspannungsleitungen ohne Energieverlust transportieren konnte.
Drapierung "nackter Fenster"
Parallel zu heller werdenden Lampen werden um 1800 auch die bis dato "nackten Fenster" erstmals mit Gardinen und Vorhänge drapiert, um den Blick von außen ins erleuchtete Innere abzuhalten. Privatsphäre und Öffentlichkeit wurden immer stärker getrennt.
Flackernde Romantik ging verloren
Mit der heimelig flackernden Kerze geht der Familie freilich auch das Zentrum des abendlichen Beisammenseins verloren, der Blick in eine Glühbirne inspiriert die Wenigsten zu Träumereien. Dies erklärt die Popularität der Petroleumlampe nach 1850, einer eigentlich veralteten Technologie, die "lebendiges" Brenn- statt "starrem" Glühlicht spendete.
Nachtleben wurde gewonnen
Auf der Habenseite steht die Geburt des Nachtlebens im 18. Jahrhundert. Lief man im Mittelalter Gefahr von der Nachtwache verhaftet zu werden, wenn man sich ohne triftigen Grund am späteren Abend in der dunklen Stadt herumtrieb, machten die öffentliche Straßenbeleuchtung und das Aufkommen von Vergnügungsparks mit ihren Konzerten und Feuerwerken die Nacht zum Tage.
Veränderungen auf der Theaterbühne ...
Das Mehr an Licht revolutionierte auch das Theater. Lange Zeit war das feine Mienenspiel der Schauspieler nur zu sehen, wenn sie dicht an der Rampe und der dort angebrachten Beleuchtung agierten, weswegen es dort häufig zu einem Gedränge kam. Mit der elektrischen Beleuchtung änderte sich aber noch mehr auf der Bühne.

"Schlicht gemalte oder abgenützte Decorationen" seien nun nicht mehr akzeptabel, verkündete die "Neue Freie Presse" im Mai 1883 mit Blick auf die Neuerung in der Wiener Hofoper. Im gleißenden Licht der Glühbirnen wurde die Bühnenmalerei durch die dreidimensionale Bühnenarchitektur abgelöst.
... und im Zuschauerraum
Umgekehrt verlief die Entwicklung im Zuschauerraum, in dem die High Society dem Sehen und Gesehen werden auch während der Aufführung frönte. Im früher ebenfalls beleuchteten Auditorium wurde es seit dem 18. Jahrhundert immer dunkler.

Im Londoner Covent Garden rief das Ausgehen der Lichter 1890 Proteste bei den Besuchern hervor, "da sie hierdurch gezwungen wurden, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bühne zu richten".

Oliver Hochadel, heureka
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Oliver Hochadel ist Redakteur von "heureka", der Wissenschaftsbeilage des "Falter".
->   heureka
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->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Lichtverschmutzung
 
 
 
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01.01.2010