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"Intelligent Design" - Wissenschaft oder Ideologie?  
  Einem Vertreter der so genannten Intelligent-Design-Theorie ist es erstmals gelungen, einen Artikel in einer biologischen Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Die Anhänger dieser Bewegung lehnen die Evolutionstheorie als adäquate Erklärung des Artenwandels ab - und verweisen stattdessen auf "intelligente Schöpfungsakte". Kritiker sehen darin eine moderne Version des Kreationismus und weisen den Inhalt des Aufsatzes als unwissenschaftlich zurück.  
Der Artikel erschien zwar in keiner besonders angesehenen Zeitschrift, hat aber immerhin ein Verfahren zur Qualitätssicherung - das so genannte "Peer Review - durchlaufen. Aus Sicht der Kritiker wird diese Publikation als Unterwanderung der wissenschaftlichen Rationalität gewertet.
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Der Aufsatz "The origin of biological information and the higher taxonomic categories" von Stephen C. Meyer erschien im Journal "Proceedings of the Biological Society of Washington"
(Band 117, S. 213-39).
->   Zum Originalartikel (Reprint des Discovery Institutes)
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Alte Kontroverse
Die Kontroverse zwischen Wissenschaftlern und Advokaten der Intelligent-Design-Theorie (ID) dauert schon einige Jahre an. Letztere wurden nicht müde, auf gewisse Erklärungsdefizite des Neodarwinismus hinzuweisen, sei es durch Buchpublikationen oder in einschlägigen ID-Foren im Internet.

Soweit wäre das nichts Außergewöhnliches, steht doch Kritik in Fachdebatten auf der Tagesordnung und wird - zumindest nach Karl Popper - sogar als das Werkzeug des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns angesehen.
Wissenschaft vs. Nicht-Wissenschaft
Ungewöhnlich war an dieser Debatte bis dato Folgendes: Die Frontlinie zwischen beiden Streitparteien verlief nicht innerhalb der akademischen Welt, sondern vielmehr genau an deren Grenze: Hier die anerkannten Forscher, dort die mehr oder minder dubiosen Kritiker der Evolutionstheorie.

Dass die ID-Fürsprecher bislang von den Wissenschaftlern nicht als Ihresgleichen akzeptiert wurden, hat einen guten Grund. Erstere zweifeln nämlich an dem evolutionären Ursprung der biologischen Vielfalt und sehen den zweckdienlichen Bau der Organismen vielmehr als Ausdruck einer intelligenten Schöpferkraft.
Angriff auf biologische Grundsätze
Mit solchen Frontalangriffen gegen eine der Grundfesten der Biowissenschaften lässt ich in der scientific community freilich kein Pokal holen. Denn hier gilt das Wort des Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky, der bereits in den 1940er Jahren meinte: "Nothing in biology makes sense - except in the light of evolution".
Löchrige Front?
Neu ist nun, dass die Grenze zwischen beiden Parteien offenbar nicht mehr ganz so glatt verläuft. So hat etwa der Streit um den deutschen Forscher Wolf-Ekkehard Lönnig im April letzten Jahres für Aufsehen gesorgt, weil dieser auf der Website seines Instituts offensichtliches ID-Gedankengut verbreitete.

Grund der Aufregung: Lönnigs Arbeitgeber ist nicht irgendjemand, sondern die hoch angesehene Max-Planck-Gesellschaft. Die einschlägigen Artikel von Lönnig wurde mittlerweile gesperrt, der Genetiker ist seitdem mit seinen Botschaften auf privaten Webspace ausgewichen.
->   Mehr dazu: Entwürfe in Gottes Namen (die Zeit)
Veröffentlichung in biologischem Journal
Mit dem nun von Stephen C. Meyer in den "Proceedings of the Biological Society of Washington" veröffentlichten Aufsatz haben die ID-Anhänger - aus ihrer Sicht - einen wichtigen Erfolg gefeiert.

Der Artikel durchlief ein Peer-Review-Verfahren und sollte daher theoretisch ein Mindestmaß wissenschaftlicher Stringenz aufweisen.

Allerdings gehört das Journal nicht eben zur publizistischen Top-Liga: Das Institut for Scientific Information reiht die Zeitschrift auf Rang 2678 von 3110 aller von ihm erfassten wissenschaftlichen Journale.
Der Artikel: Wie entsteht biologische Organisation?
Meyers Artikel behandelt die Frage, wie jene genetische Information entstanden ist, die den Bauplänen komplexer Lebewesen zugrunde liegt. Das gilt insbesondere für Tiergruppen, die während des Kambriums innerhalb relativ kurzer Zeit (nämlich rund 20 - 50 Mio. Jahren) entstanden sind.
->   Mehr zur kambrischen Explosion (Wikipedia)
"Ein Akt der Intelligenz ..."
Meyer, der am ID-orientierten Discovery Institute als senior fellow arbeitet, kommt zu folgender Conclusio: Mit den gegenwärtigen Mitteln der Evolutionstheorie könne der Ursprung derart komplexer Organisation nicht erklärt werden.

Doch es ist nicht der Skeptizismus, an dem sich Kritiker stoßen. Vielmehr ist es Meyers angebotene Alternative: Seiner Meinung nach "ist Intelligent Design eine, wenn nicht die beste kausal adäquate Begründung" für die Entstehung komplexer Baupläne.

Das heißt, "der Ursprung der [Anm.: biologischen] Information kann am besten durch einen Akt der Intelligenz erklärt werden - und nicht durch strikt materielle Prozesse", wie Meyer gegenüber der Zeitschrift "The Scientist" ausführt.
->   Intelligent design study appears (The Scientist)
Alte Argumentation in neuem Gewand
Der Struktur nach erinnern Meyers Ausführungen stark an das berühmte teleologische Argument, das der englische Theologe William Paley bereits im Jahr 1800 formuliert hat.

Mit zwei Ausnahmen: Das Vokabular ist dem modernen Fachjargon angepasst, das Wort "Schöpfer" (oder gar "Gott") fehlt in Meyers Aufsatz komplett. Wer oder was sich hier als "intelligenter Designer" betätigte, erfährt man in dem Artikel allerdings nicht.
->   Paleys teleologisches Argument (Texas A&M University)
Einfluss auf Lehrplangestaltung befürchtet
Kritiker lassen an dem Artikel naturgemäß kein gutes Haar. Inhaltlich wurde der Aufsatz vor allem auf der evolutionsbiologischen Fragen gewidmeten Website "Panda's Thumb" zerpflückt, in der Zeitschrift "Nature" denkt man bereits einen Schritt weiter:

Dort äußern Kritiker die Befürchtung, dass der Aufsatz von ID-Fürsprechern als Argument für die Lehrplangestaltung US- amerikanischer Schulen verwendet werden könnte.

Robert Czepel, science.ORF.at, 13.9.04
->   Nature: Paper defends theory of intelligent design (kostenpflichtig)
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Literaturhinweis
Einen ausgezeichneten Überblick zur Kontroverse zwischen ID-Theoretikern und Evolutionisten bietet das Buch "Intelligent Design Creationism and ist Critics", erschienen bei MIT-Press. Darin finden sich neben Originalbeiträgen von Vertretern beider Parteien auch Repliken zu den wichtigsten ins Treffen geführten Argumente. Autoren sind u.a.: George C. Williams, Richard Dawkins, Stephen Jay Gould, Michael Ruse und Michael J. Behe.
->   Zum Buch bei MIT-Press
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->   Panda's Thumb
->   Discovery Institute
->   Special Report: Intelligent Design (Natural History Magazine)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Darwin wieder in den serbischen Lehrplänen (10.9.04)
->   Streit um die Evolution in den USA (14.4.01)
 
 
 
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01.01.2010