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Forscher verspricht "tausend Jahre Leben"  
  Der britische Forscher Aubrey de Grey sagt der Menschheit eine rosige Zukunft voraus: Mit Unterstützung biotechnologischer Methoden wird unser Lebensalter bald 1.000 Jahre betragen, so der Genetiker von der University of Cambridge. Seine Zuversicht bezieht er aus Versuchen im Reagenzglas bzw. am Mausmodell, in denen die molekularen Ursachen des Alterns - zumindest teilweise - erfolgreich bekämpft wurden.  
Sein Fachkollege Jay Olshansky von der University of Illinois betrachtet derlei vollmundige Versprechungen als schlicht unseriös und verweist in diesem Zusammenhang auf die Historie: Propheten des ewigen Lebens habe es im Laufe der Geschichte immer wieder gegeben. Bis jetzt wurden sie jedoch alle beweiskräftig widerlegt - und zwar durch ihr eigenes Ableben.
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Auf der Website der BBC erschienen zu diesem Thema zwei Gastkommentare: "We will be able to live to 1,000" von Aubrey de Grey sowie die Replik "Don't fall for the cult of immortality" von Jay Olshansky. Beide Artikel sind kostenfrei zugänglich.
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Vervielfachung der Lebenserwartung?
Bild: University of Cambridge
Aubrey de Grey
Die Lebenserwartung des Menschen in den Industriestaaten hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von etwa 40 auf beinahe 80 Jahre erhöht, wobei dieser Fortschritt vor allem durch die Reduktion der Säuglingssterblichkeit erreicht wurde.

Die Frage ist, inwieweit sich dieser Trend mit Hilfe der Medizin auch in Zukunft fortsetzen lässt. Für Aubrey de Grey besteht daran kein Zweifel. Mehr noch, seiner Meinung nach wird die Lebenserwartung das Vielfache ihres jetzigen Wertes betragen, nämlich rund 1.000 Jahre.

Und das soll sich nicht in ferner Zukunft, sondern bald hier und jetzt ereignen: "Ich glaube, dass die erste Person, die 1.000 Jahre alt wird, bereits jetzt 60 Jahre alt sein könnte."

Mit anderen Worten, wir befinden bereits an der Schwelle zum Methusalem-Zeitalter, in dem geistige und körperliche Jugend beinahe beliebig konserviert werden können.
Sterben ja - aber ohne zu Altern
Freilich werde man auch in Zukunft durch unvorhersehbare Krankheiten, Unfälle und dergleichen sterben, schreibt de Grey in seinem Artikel auf BBC.

Aber der natürliche Alterungsprozess stelle kein prinzipielles Problem für die moderne Biogerontologie dar. Seinen nicht gerade gering ausgeprägten Optimismus bezieht der Genetiker von der University of Cambridge vom Forschungsprojekt SENS ("Strategies for Engineered Negligible Senescence"), im Rahmen dessen Alterung mit einer völlig neuen Strategie bekämpft und verhindert werden soll.

Was darunter genauer zu verstehen ist, beschrieb de Grey letztes Jahr in einem Essay, der an seine Fachkollegen adressiert war.
->   SENS-Website
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Der Artikel "An Engineer's Approach to the Development of Real Anti-Aging Medicine" von Aubrey D. N. J. de Grey erschien am 8.1.2003 auf der Website des Fachjournals "Science". Diverse Aufsätze ähnlichen Inhalts finden sich auch in der Literatur-Sektion der SENS-Website.
->   Zum Original-Artikel bei Science (kostenpflichtig)
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de Greys Hausbau-Metapher

In dem Essay bedient sich de Grey einer Metapher, in der er den menschlichen Körper mit einem Haus vergleicht (siehe Bild rechts). Letzteres sei wie unser Körper ständig schädigenden Einflüssen ausgesetzt, denen man auf verschiedene Arten begegnen kann.

In der Geriatrie beschränke man sich seiner Meinung nach auf reine Symptombekämpfung, in der traditionellen Gerontologie sei man der Wurzel des Übels (nämlich dem Alterungsprozess) schon näher, bediene sich aber - etwa durch Gabe von Antioxidantien oder Hormontherapien - lediglich mildernder Maßnahmen.

Zielführend sei letztlich nur die Strategie des Ingenieurs, der austauscht, was schadhaft geworden ist. Um bei der Haus-Metapher zu bleiben:

Bei einem Dachschaden sei eben die Erneuerung von Dachziegeln notwendig - während das Pflanzen eines Windschutzgürtels oder kosmetische Maßnahmen im Inneren des Gebäudes einfach zu kurz greifen.
Nur wenige molekulare Angriffspunkte
Das bedeutet, dass der Körper mit Hilfe der Biotechnologie zur Selbstreparatur befähigt werden soll, und zwar auf molekularem Niveau. Die Angriffspunkte dafür lassen sich nach de Greys Meinung auf eine kurze Liste reduzieren.

Dabei handelt es sich Zelltod und -alterung, Mutationen in Zellkern und Mitochondrien, die Anhäufung von Stoffwechselprodukten in und außerhalb der Zelle, schädigende Proteinwechselwirkungen sowie altersbedingte Änderungen des Immun- und Hormonsystems.
Stammzell- und Gentherapie sollen helfen

de Greys Liste von Maßnahmen für ein(fast) ewiges Leben
Die von ihm angebotenen Reparaturstrategien sind vielfältig und beziehen sich zumeist auf Studien, die entweder in vitro oder an Modellorganismen wie etwa Maus oder Fruchtfliege durchgeführt wurden.

Dem Verlust von Zellmaterial, der etwa ursächlich an neurodegenerativen Krankheiten oder Osteoporose beteiligt ist, will de Grey mit Stammzelltherapie begegnen.

Toxische Aggregationen von Stoffwechselprodukten in und außerhalb der Zelle möchte er wiederum mit Enzymen rückgängig machen, die man sich von Bodenbakterien und Pilzen "ausgeborgt" hat.

Freilich bedarf es dazu noch der Entwicklung entsprechender gentherapeutischer Methoden, aber das sei, so de Grey, nur mehr eine Frage der Zeit.
"Kein Grund für solche Versprechungen"
Bild: University of Illinois
Jay Olshansky
Ähnlich verfährt der britische Biogerontologe auch mit allen anderen offenen Problemen: Definitive Lösungen kann er nicht anbieten, aber Teilerfolge im Reagenzglas stimmen ihn zuversichtlich - und daran lässt er seine Leser auch ausgiebig teilhaben.

Für derlei Prophezeihungen sieht de Greys Fachkollege Jay Olshansky allerdings keine Grundlage:

"Es gibt keinen Grund dermaßen zu übertreiben und zu versprechen, dass wir alle hunderte oder gar tausende Jahre leben werden. Faktum ist, dass nichts in der Gerontologie auch nur in die Nähe dieser Versprechungen kommt."
Was alle Propheten gemeinsam haben...
Der Epidemiologe lässt sich in seinem BBC-Artikel allerdings nicht auf eine biomedizinische Fachdiskussion ein, sondern kontert de Greys Großsprechertum mit einem historischen Hinweis:

Propheten der Unsterblichkeit habe es im Laufe der Geschichte viele gegeben. So etwa der Chinesische Alchemist Ko Hung, der bereits vor 1.700 Jahren eine Frühform jener Theorie propagiert hat, derzufolge eine Reduktion der Kalorienaufnahme lebensverlängernd wirkt.

Auch der griechische Arzt Galen, der britische Philosoph Roger Bacon und Alexander den Große waren neben vielen anderen auf der Suche nach dem "heiligen Gral".

Allein, gefunden haben sie ihn offensichtlich nicht. Denn, so Olshansky: "Was haben die historischen Vertreter der physischen Unsterblichkeit alle gemeinsam? Sie sind alle tot."

Robert Czepel, science.ORF.at, 6.12.04
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Radio-Tipp
Der "Zukunft des Alterns" widmet sich auch der Ö1-Radiodoktor am 6. Dezember 2004, 14.05 Uhr.
->   Mehr über die Sendung
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01.01.2010