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Realitätsstiftend: Selbst erfüllende Prophezeiungen  
  Fast jeder kennt sie: sich selbst erfüllende Prophezeiungen, die ein Szenario der Zukunft vorhersagen, das dann auch prompt eintritt. US-Psychologen haben nun empirisch bewiesen, dass nicht nur die eigenen Prophezeiungen Auswirkungen auf unser Handeln haben, sondern auch die Voraussagen anderer Menschen.  
Das ist der Schluss einer Gruppe von Wissenschaftlern um Stephanie Madon von der Iowa State University, den sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Psychological Science" ziehen.
Negative Erwartungen akkumulieren sich
Sie hatten Eltern nach dem in der Zukunft zu erwartenden Alkoholkonsum ihrer Kinder gefragt und die Auswirkungen ihrer falschen Voraussagen nach einem Jahr überprüft.

Das Ergebnis: Negative Erwartungen beeinflussen die Realität tatsächlich signifikant - und akkumulieren sich, wenn sie von mehreren Personen geteilt werden.
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Die Studie "Self-Fulfilling Prophecies: The Synergistic Accumulative Effect of Parents' Beliefs on Children's Drinking Behavior" ist im Dezember 2004 in "Psychological Science" erschienen.
->   Die Studie (pdf-Datei)
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Bereits 1948 von Robert K. Merton beschrieben
Das Prinzip, das die Forschergruppe untersucht hat, ist nicht neu - und alles andere als unwissenschaftlich.

Der Soziologe Robert K. Merton hat es in dem Magazin "Antioch Review" bereits 1948 unter dem Titel "The self-fulfilling prophecy" beschrieben - und zwar als falsche Überzeugungen, die zu ihrer eigenen Erfüllung führen.
->   Robert K. Merton (Uni Graz)
Definition von Paul Watzlawick
Vom Psychotherapeuten Paul Watzlawick stammt die Definition: "Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist eine Annahme oder Voraussage, die rein aus der Tatsache heraus, dass sie gemacht wurde, das angenommene, erwartete oder vorhergesagte Ereignis zur Wirklichkeit werden lässt und so ihre eigene 'Richtigkeit' bestätigt."
->   Paul Watzlawick (Wikipedia)
Wichtiger Begriff der Stereotypen-Forschung
Im Allgemeinen wird selbst erfüllenden Prophezeiungen heutzutage nur eine relativ geringe realitätsstiftende Bedeutung in der Psychologie zugesprochen, schreiben Madon und ihr Team.

Am meisten wird das Phänomen in Zusammenhang mit der Stereotypen-Forschung in der Sozialpsychologie diskutiert: stereotype Zuschreibungen an verschiedene Gesellschaftsgruppen werden dabei als kumulative "self fulfilling prophecies" verstanden und diskutiert.
Untersuchung von Alkoholkonsum-Zunahme
Empirisch untersucht wurden diese Anhäufungen von "falschen Überzeugungen" und ihre Effekte aber bisher nicht, schreiben die Psychologen. Deshalb wählten sie nun das Studienmodell mit der Alkohol-Vorhersage.

An der Studie nahmen 115 Eltern von Kindern der siebenten Schulstufe - also im Alter von rund zwölf Jahren - teil. Väter und Mütter gaben neben einer Reihe von Auskünften über sozioökonomische Faktoren an, wie sich der Alkoholkonsum ihrer Sprösslinge entwickeln würde.

Die Kinder füllten ebenfalls Fragebogen aus und machten Angaben über vergangene Erfahrungen mit Alkohol. Ein Jahr danach wurden sie nach ihrem tatsächlichen Alkoholkonsum gefragt.
Negative Erwartungen bewahrheiten sich ...
Die Resultate: Wenn ein Elternteil den Anstieg des Alkoholkonsums im Vergleich zu einer als "normal" angenommenen Steigerung überschätzte, trank ihr Kind ein Jahr später tatsächlich mehr. Diese sich selbst erfüllende Prophezeiung war noch stärker, wenn sowohl Vater als auch Mutter von ihrem Kind ein Mehr an Alkoholkonsum erwarteten.

Im Gegensatz kam es zu keinen kumulativen Effekten, wenn einer der beiden Elternteile oder beide den Anstieg des Alkohols unterschätzten.
... und sind realitätsnäher
Die Auswirkungen kumulativer negativer Erwartungen - wie in dem Beispiel das Überschätzen der Alkoholzunahme - sei bisher in der Forschung zu wenig beachtet worden, schließen die Wissenschaftler.

Genau diese seien aber wesentlich realitätsnäher: Stereotype Zuschreibungen an Gruppen sind allermeist negativ und nicht positiv.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.1.05
->   Homepage Stephanie Madon (Universtity of Iowa)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Vorurteile sind selbst erfüllende Prophezeiungen (13.7.04)
->   Vorurteile sind schlecht für das Denken (17.11.03)
->   Rassismus: Keine Frage der Wahrnehmung (12.12.01)
 
 
 
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01.01.2010