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Darwin in der Quantenwelt  
  Ein internationales Team von Physikern hat eine Studie veröffentlicht, die die Entstehung der Realität aus der wundersamen Welt der Quanten erklären soll. Ihre Theorie besagt, dass im Mikrokosmos ein "Wettkampf" von Quantenzuständen herrscht, bei dem sich nur die "fittesten", d. h. stabilsten durchsetzen. Genau jene Zustände sind offenbar dafür verantwortlich, dass Gegenstände überhaupt objektiv wahrnehmbar sind.  
Mit ihrem "Quanten-Darwinismus" erweitern die Forscher um Wojciech H. Zurek vom Los Alamos Laboratory in New Mexiko die so genannte Dekohärenz-Theorie, die den Übergang zwischen Mikrokosmos und klassischer Welt beschreibt.
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Die Studie "Objective Properties from Subjective Quantum States: Environment as a Witness" von Harold Ollivier, David Poulin und Wojciech H. Zurek erschien im Fachblatt "Physical Review Letters" (Band 93, 220401; doi:10.1103/PhysRevLett.93.220401).
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Bizarre Welt der Quanten
Die Welt der Quanten unterscheidet sich von unserer - oft als "klassisch" bezeichneten - Lebenswelt durch einige wundersame Eigenschaften.

Während Vorgänge im Makrokosmos zumindest näherungsweise deterministisch beschreibbar sind, wollen sich die Quanten oft nicht so recht in das Schema von Ursache und Wirkung einordnen. Radioaktive Atome etwa zerfallen ohne erkennbaren Grund, weswegen ihr Verhalten nur mehr statistisch beschrieben werden kann.

Auch was Kategorien wie Raum und Zeit betrifft, geht es im atomaren Bereich äußerst eigenartig zu: Quanten weisen keinen definierten Ort auf, sie sind vielmehr über gewisse Raumbereiche "verschmiert".
Messung erschafft Realität
Nach der Standardinterpretation der Quantenmechanik bestimmt erst die Messung des Physikers, an welchem Ort sich etwa ein Elektron aufhält. Das heißt, der Beobachter erschafft mit diesem Akt gleichsam die Realität, indem er die vormals unbestimmten Eigenschaften via Messung auf den Punkt bringt.
Was unterschiedet Planeten von Quanten?
Abgesehen von der unangenehmen Konsequenz, dass damit der Beobachter immer auch "störend" in das untersuchte System eingreift, haben sich die Quantenphysiker der ersten Stunde bereits über folgendes Problem den Kopf zerbrochen:

Wenn alles in diesem Universum aus Elementarteilchen besteht - etwa Planeten, Tische und Katzen -, warum verhalten sich die Objekte mittlerer und großer Dimension nicht so wie Elektronen & Co.?
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Schrödingers Katze
Den offensichtlichen Hiatus, der zwischen Mikro- und Makrokosmos besteht, hat der österreichische Physiker Erwin Schrödinger in seinem berühmten Katzengleichnis veranschaulicht. Dessen Kurzfassung: Der Zustand eines Quantensystems mag vielleicht unbestimmt oder "verschmiert" sein. Wendet man diese Logik aber auf Objekte wie z.B. Katzen an, dann wird man von der alltäglichen Erfahrung Lügen gestraft. Katzen sind nämlich entweder tot oder lebendig - in Mischzuständen wurden sie noch nie gesichtet.
->   Details zu Schrödingers Katze
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Die Lösung: Dekohärenz
Mit anderen Worten, die Existenz der objektiven Realität ist aus Sicht der Quantenphysik eigentlich ein Rätsel. Zur Beantwortung dieses Problems greifen Physiker für gewöhnlich auf die so genannte Dekohärenz-Theorie zurück, die Wojciech H. Zurek vom Los Alamos Laboratory in New Mexiko und H. Dieter Zeh von der Universität Heidelberg ausgearbeitet haben.

Die beiden konnten bereits in den 1970er Jahren zeigen, dass die Wechselwirkungen zwischen Quantensystemen aus der Fülle der möglichen Zustände genau jene aussieben, die wir als "klassisch" - d.h. stabil und objektiv - erleben. Tische verhalten sich demgemäß wie Tische, weil sie normalerweise nicht von ihrer Umgebung isoliert sind.
->   Grundidee der Dekohärenz (Uni Wien)
Umwelt als Zensor
Das ist deswegen wichtig, weil die Umwelt nach Zurek und Zeh gewissermaßen die Rolle eines Zensors übernimmt, der die Fülle der überlagerten Quantenzustände via Wechselwirkung auf einige wenige reduziert - Physiker sprechen in diesem Zusammenhang auch von "pointer states".
Beobachtung erfolgt immer indirekt
Allerdings ist die Sachlage ein wenig komplizierter, wie Zurek und sein Team in ihrer aktuellen Publikation ausführen. Die ursprüngliche Version der Dekohärenz ging davon aus, dass man "pointer states" direkt beobachten kann.

Das ist, wenn überhaupt, aber nur sehr selten der Fall. Einen Baum nehmen wir z.B. nur indirekt - d.h. über dessen Wirkungen auf vorhandene Lichtwellen - wahr, die uns dann das Bild grüner Blätter, brauner Äste u.ä. vermitteln.
Umwelt nimmt Information auf
Zurek und Kollegen bewiesen nun ein Theorem, das besagt, dass "pointer states" gewissermaßen einen "Abdruck" ihrer Eigenschaften in der Umwelt hinterlassen.

Da solche "Abdrücke" - etwa an umgebenden Lichtteilchen -redundant ausgeprägt sind, könne man nun auch physikalisch erklären, warum mehrere Personen ein und den selben Gegenstand wahrnehmen und dabei auch das selbe sehen.

Denn: Für jeden sind zur Orientierung geung Photonen und dergleichen vorhanden; der Fall, dass eine Personen sämtliche Photonen "verbraucht", ist so gut wie ausgeschlossen.
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Im Aufsatz "Decoherence, einselection, and the quantum origins of the classical" gibt Zurek einen aktuellen Überblick zur Dekohärenztheorie. Der Artikel erschien am Preprintserver arXiv.org.
->   Zum Originalartikel
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Quanten-Darwinismus
Diesen Prozess nennen die Forscher "einselection" (von "environment-induced superselection"). Die begriffliche Reminiszenz an den Darwinismus ist laut Zurek durchaus gewollt: Offensichtlich sind die "pointer states" nicht irgendwelche Zustände, sondern die stabilsten unter allen möglichen.

Solche beständigen Quantenzustände von Bäumen, Tischen und Katzen übertragen sich nur deswegen in vielfacher Kopie auf die Umwelt, weil sich diese gegenüber ihren "Konkurrenten" durchsetzen konnten.

Der Umwelt kommt dieser Theorie zufolge also eine aktive Rolle zu: Sie zerstört nicht nur instabile Quantenzustände, sondern verstärkt selektiv genau diejenigen, die wir dann als "objektive Realität" erfahren.

"Man könnte sagen, dass pointer states die fittesten aller Zustände sind", erläutert Zurek gegenüber dem Onlinedienst der Zeitschrift "Nature". Dementsprechend lautet auch der von ihm geprägte Name für seine Theorie: "Quanten-Darwinismus".

Robert Czepel, science.ORF.at, 14.1.05
->   Los Alamos National Laboratory: Quantum Institute
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01.01.2010