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Nazi-Widerstand: Rezeption in der Zweiten Republik  
  Die Beschäftigung mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und sein gesellschaftlicher Stellenwert unterlagen in der Zweiten Republik politischen Konjunkturen.  
Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes war den Spitzen der neu gegründeten Republik zunächst daran gelegen, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich herauszustellen und zu dokumentieren.

Alle Parteien - ÖVP, SPÖ und KPÖ - verstanden sich als antifaschistisch und beriefen sich auf ihre Herkunft aus dem Widerstand.
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Die Republik Österreich hat zu Beginn des Jubiläumsjahres den Widerstand in Österreich in den Jahren der Nazi-Diktatur zwischen 1938 und 1945 gewürdigt. Mehr dazu:
->   Österreich würdigt Widerstand in der Nazi-Zeit (19.1.05)
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Moskauer Deklaration: Suche nach "eigenem Widerstand"
Diese Haltung hing nicht zuletzt mit der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 zusammen. Die Alliierten hatten damals erklärt, eine endgültige Beurteilung der Rolle Österreichs im Nationalsozialismus werde auch vom "eigenen Beitrag" zur Befreiung abhängen.

Die Bundesregierung ließ deshalb nach einschlägigen Unterlagen und Zeugnissen suchen. Sie wurden 1946 im "Rotweißrot-Buch" veröffentlicht. Anders als ursprünglich vorgesehen, beließ man es aber bei diesem ersten Band.
Nazis rein, Widerstandskämpfer raus
Die folgenden Jahre waren nicht mehr vom positiven Bezug auf den Widerstand geprägt, sondern von der Reintegration der Nationalsozialisten und der Rückkehr der Wehrmachtssoldaten aus der Kriegsgefangenschaft.

Beide Gruppen konnten für den Widerstand kaum Verständnis aufbringen - im Gegenteil: Nicht selten wurde er als "Verrat" verunglimpft und geringschätzig beurteilt. Sowohl in der SPÖ als auch in der ÖVP wurde der Einfluss ehemaliger Widerstandskämpfer zurückgedrängt.
Kalter Krieg: Ideologische Lager-Bildung
Während des Kalten Krieges markierten die ersten wichtigen Publikationen zur Geschichte des Widerstandes auch ideologische Lager. Während Otto Molden ("Der Ruf des Gewissens", 1958) als Beteiligter das Gewicht auf die eher von bürgerlichen Kräften getragene Widerstandsgruppe 05 legte und den kommunistischen Widerstand weitgehend unterschlug, stellte Hermann Mitteräcker ("Kampf und Opfer für Österreich", 1963) eben diesen in den Vordergrund.

Das erste, auf wissenschaftlicher Arbeit basierende Überblickswerk legte der Zeitgeschichtler Karl R. Stadler 1966 vor ("Österreich 1938-1945 im Spiegel der NS-Akten").
Gründung von Archiven und Instituten
Meilensteine für die Forschung wurden in den 1960er Jahren gelegt. Die Schaffung universitärer Zeitgeschichte-Institute ab 1965 war der eine Aspekt. Zwei Jahre zuvor war aber schon das überparteiliche Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) gegründet worden.

Der Impuls dafür kam nicht von Seiten der Republik, sondern von ehemaligen Widerstandskämpfern und Widerstandskämpferinnen selbst.
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Breiter Widerstandsbegriff des DÖW
Systematisch und unter Berücksichtigung des gesamten politischen Spektrums sammelten die Mitarbeiter des DÖW - zum Teil ehrenamtlich - Dokumente und Zeugnisse. Das Ergebnis waren 13 umfangreiche Bände zu den Bundesländern Wien, Burgenland, Oberösterreich, Tirol, Niederösterreich und Salzburg. Das DÖW orientierte sich dabei an jenem "breiten Widerstandsbegriff", den Stadler definiert hatte.

Angesichts des totalen Gehorsamkeitsanspruches der Machthaber müsse "jegliche Opposition als Widerstandshandlung gewertet werden - auch wenn es sich nur um einen vereinzelten Versuch handelt, 'anständig zu bleiben'."
->   DÖW
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Standardwerke erschienen
Ebenso unverzichtbar ist bis heute die vierbändigen DÖW-Sammlung "Gelebte Geschichte". Darin wurden biografische Interviews mit 800 Personen aus der Arbeiterbewegung, aus dem Lager der Katholiken, Konservativen und Legitimisten, den jüdischen Verfolgten sowie den Kärntner Slowenen dokumentiert.

Gestützt auf all diese Sammlungen publizierte der US-Historiker Radomir Luza 1985 das Grundlagenwerk "Der Widerstand in Österreich 1938-1945". Anders als das DÖW schloss Luza - selbst Widerstandskämpfer in Tschechien - den nicht organisierten Widerstand und das Oppositionsverhalten aber aus.
Einzige Gesamtdarstellung des Kärntner Partisanenkampfes
In diese Phase fiel auch die erste und bislang einzige Gesamtdarstellung des bewaffneten Kampfes der Kärntner Slowenen gegen das NS-Regime (Josef Rausch: "Der Partisanenkampf in Kärnten", 1979).

Die Erinnerungen von Karel Prusnik-Gasper, einem der Kommandanten der Partisanen, wurden erst 1980 - 24 Jahre nach der slowenischen Erstausgabe - in Kärnten veröffentlicht. "Gemsen auf der Lawine" schildert in einfachen und klaren Worten die Härte und die Entbehrungen dieses Kampfes.
Skizzierung des politischen Exils
Auch die Bemühungen des politischen Exils wurden in den 1970er Jahren erstmals umfassend dargestellt. Helene Maimann skizzierte die Tätigkeit von Sozialisten, Kommunisten und Konservativen in Großbritannien ("Politik im Wartesaal", 1975), das DÖW legte seither eine Reihe von Dokumentationen zu den einzelnen Exilländern vor.

Spät ins Bewusstsein rückte, dass vor allem jüdische Flüchtlinge freiwillig in den alliierten Armeen gegen die Wehrmacht kämpften. Wolfgang Muchitsch ("Mit Spaten, Waffen und Worten", 1992) belegte den Eintritt von etwa 3.000 ehemaligen Österreichern in die britische Armee.
Waldheim-Kontroverse führte zu Paradigmenwechsel
Die Kontroverse um die Kriegsvergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim führte ab Mitte der 80er Jahre auch in Österreich zu einem Paradigmenwechsel in der NS-Forschung. Fragen wie jene nach den Tätern des Holocaust oder der Rolle der Wehrmacht rückten in den Vordergrund. Politisch kontrovers wurde schließlich die Rolle der Wehrmachtsdeserteure diskutiert.

Walter Manoschek legte 2003 eine im Auftrag des Wissenschaftsministeriums durchgeführte Grundlagenstudie über das weite Spektrum abweichenden Verhaltens von Wehrmachtssoldaten vor ("Opfer der NS-Militärjustiz").
Späte Ehrung der Widerstandskämpfer
Klare und viel beachtete Zeichen für die Ehrung von Widerstandskämpfern hat die Republik erst wieder im Jahr vor den Jubiläumsfeierlichkeiten gesetzt. Am 11. Oktober 2004 wurde vor der Ennser Kaserne ein Denkmal für Oberstleutnant Robert Bernardis enthüllt, der als Mitverschwörer vom 20. Juli 1944 (Attentat auf Hitler) hingerichtet wurde.

Bundespräsident Heinz Fischer betonte damals, dass mit Bernardis der Widerstand gegen das NS-System im gesamten geehrt werde.

Im Dezember veranstaltete das Verteidigungsministerium dann ein Symposium zum militärischen Widerstand. Ein Hof des Ministeriums soll nach dem "Retter von Wien", dem Offizier Carl Szokoll, benannt werden.

[science.ORF.at/APA, 19.1.05]
->   Österreich würdigt Widerstand in der Nazi-Zeit (oe1.ORF.at)
 
 
 
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01.01.2010