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Symposium warnt vor Kurzschlüssen zu Teleportation  
  Die Übertragung von Eigenschaften eines Photons auf ein auch weit entferntes anderes wurde immer wieder als der erste Schritt zur "echten" Fernübertragung und schließlich zum Beamen gesamter physikalischer Objekte gesehen. Bei einem Symposium in Luzern zum Thema "Bewusstsein und Teleportation" wurden nun aber Warnungen vor erkenntnistheoretischen Kurzschlüssen laut.  
Otto E. Rössler: Teleportation nur zwischen Zwillingen
Die Übertragung von Eigenschaften eines einzelnen Photons oder etwa Kalzium-Ions auf ein anderes sei kategorial etwas ganz anderes als das instantane "Verschieben" echter Gegenstände in der Realität, betonten die Experten bei dem international besetzten Symposium vor wenigen Tagen.

"Es werden ja nur Zustände übertragen, also Informationen. Teleportation funktioniert nur zwischen Zwillingen, die schon da sind", so der plastische Vergleich des Tübinger Chaostheoretikers und Endophysikers Otto E. Rössler.
->   Website des Symposiums
Distanzierung von voreiligen Schlüssen
Die brennende Frage des Luzerner Symposiums war es, ob es eines Tages möglich sein wird, "ganze Menschen" mitsamt ihrem Bewusstsein zu "beamen" - eben ganz so, wie es in Star Trek fiktional geschieht. Der einhellige Tenor der eingeladenen Wissenschaftler war ein "Nein".

Man distanzierte sich vielmehr von voreiligen Schlüssen und Gleichsetzungen, wie etwa von Zeilingers Theorem "Wirklichkeit = Information" (Zeilinger selbst, zuletzt 2001 auf der Luzerner Biennale vertreten, war zum Leidwesen des Veranstalters diesmal verhindert).
Information ist nicht gleich Materie
Argumente gegen das Beamen ganzer Objekte oder gar Menschen kommen nicht umhin, Dualismen zu bemühen: Der weltweit renommierte Neuropsychologe Karl H. Pribram (Autor von "Languages of the Brain" und "Brain and Perception") etwa verteidigte in seinem Vortrag den Dualismus von Information und Materie - so wie auch die Unterscheidung zwischen einer holographischen Welt, die wir "ohne Linsen und linsenähnliche Operationen sehen würden" und unserer gewohnten Welt in Raum und Zeit.
Bewusstsein außerhalb der Quantenphysik ...
Überhaupt feierten Dualismen jedweder Art auf dem Luzerner Symposium fröhliche Urständ: In Abkehr von der in den vergangenen Jahren weit verbreiteten epiphänomenalistischen Sicht des Bewusstseins (a la Daniel C. Dennett) waren ausschließlich Stimmen zu hören, die auf der kategorialen Verschiedenheit des Bewusstseins von der physikalischen Welt beharrten.

Die Argumente selbst waren jedoch ganz unterschiedlich: "Bewusstsein ist außerhalb der Quantenphysik", so etwa die These des Amsterdamer Experimentalphysikers Dick J. Bierman.
... oder als Kollaps der Wellenfunktion
Stuart Hameroff stellte einmal mehr das gemeinsam mit Roger Penrose entwickelte Modell der "orchestrierten objektiven Reduktion" (Orch-OR) vor, wonach Bewusstsein nichts anders als der Kollaps der Wellenfunktion sei und dieses Phänomen in den Mikrotubuli des Gehirns zu lokalisieren sei.

Hameroff wendet seine Theorie mittlerweile sogar auf die Entstehung von Krebs an, was ihn und seine Thesen - um es vorsichtig zu formulieren - diskutabel erscheinen lässt.
->   "A New Theorie of the Origin of Cancer" von Stuart Hameroff
Peter Weibel: Kulturtechniken der Entkörperlichung
Und so hörte man in Luzern kaum Neues aus der Welt der Forschung in den Bereichen Quantenteleportation oder in Anwendungsfeldern wie der Quantenkryptographie, sondern kritische Einschätzungen von Physikern und auch kulturwissenschaftliche Reflexionen. Letztere jedoch - vertreten durch den Medien- und Kunst-Theoretiker Peter Weibel und den Kulturphilosophen Gerhard J. Lischka - betonten immerhin die Sehnsucht des Menschen, durch Techniken wie die Teleportation die "Gitterstäbe von Raum und Zeit" zu transzendieren:

Die Teleportation könnte dann doch so etwas wie "die letzte Entwicklung der Teletechnik sein, die mit der Erfindung der Schrift begonnen hat", sagte Peter Weibel - eloquent und brillant wie gewohnt - in seinem psychoanalytisch bis existentialistisch angehauchten Vortrag über den Zusammenhang von Teleportation und Telepräsenz.
Zwei Querdenker der Teleportation
 
Bild: Felix von Wartburg

Peter Weibel (rechts) und Otto E. Rössler
Oswald Wiener: "Es gibt kein Bewusstsein."
Die radikalste Sicht auf der Luzerner Biennale "Bewusstsein und Teleportation" vertrat jedoch der österreichische Sprach- und Automaten-Theoretiker Oswald Wiener: Er bezeichnete den Begriff "Bewusstsein" gleich als "überflüssigen Namen", ließ in der Podiumsdiskussion mit dem Satz aufhorchen, dass er selbst kein eigenes Bewusstsein fühle und definierte hingegen - auf Piaget aufbauend - unsere Operationen als entweder "Schemata der sensomotorischen Intelligenz" oder "Schemata der formalen Intelligenz".

Es gäbe kein Bewusstsein, wie es umgangssprachlich verstanden werde, und die Rede von Teleportation sei auch nur ein "fauler Zauber, der höchstens den Banken und Geheimdiensten nützt".
Josef Mitterer: Beliebigkeit in den Naturwissenschaften
Nach so viel Dekonstruktion einer wissenschaftlichen Utopie blieb nicht viel mehr als die Einsicht übrig, dass auch in den Naturwissenschaften beliebige Auffassungen aufgestellt und mit der "Realität" in Einklang gebracht werden können (eine These des Philosophen Josef Mitterer, Chairperson am Luzerner Symposium).

Und nicht trotzdem, sondern gerade deshalb war diese Biennale intellektuell höchst ertragreich. Man wünscht sich derartige Veranstaltungen mit Mut zur kulturwissenschaftlichen Reflexion, mit spannenden, intellektuell herausragenden und auch mitunter hochkontroversen "Köpfen" sowie mit Debatten jenseits von Medien-Hypes auch hierzulande.

Stefan Weber, freier Journalist, 26.1.05
->   Quantenforschung bei IBM
->   Website der Zeilinger-Forschungsgruppe
->   Mehr zum Thema "Quanten" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010