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Biopatente: Wissenschaftler kritisieren Anerkennungspraxis  
  Die Patentierung von biologischem Material ist umstritten, dennoch aber erlaubt. Eine aktuelle US-Studie und die erfolgreiche Berufung Indiens gegen ein bereits erteiltes Patent beim Europäischen Patentamt liefert den Kritikern nun neue Munition. Wie Analysen zeigen, ist die internationale Anerkennungspraxis oft mehr als fragwürdig.  
Wissenschaftler vom Illinois Institute of Technology haben Anerkennungen des U.S. Patent & Trademark Office (USPTO) analysiert und sind bei 38 Prozent auf grobe Fehler in der Einreichungsschrift gestoßen, wodurch teils viel zu allgemeine und ungenaue Patente akzeptiert wurden.
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Der Artikel "Patent on Human Genes: An Analysis of Scope and Claims" von Jordan Paradise, Lori Andrews und Timothy Holbrook wurde am 11. März 2005 im Fachmagazin "Science" veröffentlich (Band 307, S. 1567f, DOI: 10.1126/science1105162).
->   Science
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Problematik: "Erfindung" in Genetik nicht möglich ...
Patente dienen eigentlich dazu, den Nutzen einer Erfindung für einen bestimmten Zeitraum nur den Entdeckern zukommen zu lassen. Mit der Aussicht, die eigene Erkenntnis gewinnbringend verwenden und mögliche Konkurrenten ausschließen zu können, soll die Forschung stimuliert werden.

Im Gegensatz zu traditionellen Bereichen wie der Mechanik oder der Produktionstechnik liegt das Problem im Bereich der Genetik darin, dass der Inhalt der Erfindung nie "erfunden" wurde, sondern natürlich vorhanden ist und maximal die Funktionalität vom Menschen entdeckt wird.

Um es konkret zu sagen: Ein Gen ist im Körper vorhanden, die Forschung kann nur seine Aufgabe entdecken.
... trotzdem wurde Patentrecht ausgedehnt
Trotz dieser prekären Ausgangslage haben die USA und die Europäische Union ebenso wie China und weite Teile Asiens aber beschlossen, das Patentrecht auch auf die Genetik und Molekularbiologie auszudehnen.

In den USA etwa können Erkenntnisse aus genetischer Forschung patentiert werden, wenn sie nützlich, neuartig und nicht offensichtlich sind und der Nachweis schriftlich detailliert geführt wird. Schon diese Vorgaben werden aber von den Einreichungen nicht immer erfüllt, wie Jordan Paradise und Kollegen vom Illinois Institute of Technology in einer aktuellen Studie nachweisen.
74 Patente wurden analysiert ...
Sie analysierten 74 Patente mit 1167 Einzelpatentansprüchen, die zwischen Jänner 2003 und Mai 2004 beim USPTO eingereicht und anerkannt wurden.

Die Forscher beschränkten sich dabei nicht auf Patente auf ganze Gene, sondern integrierten in ihre Analyse auch Einreichungen, die einzelne Aspekte wie etwa Mutationen in einem Gen oder Diagnosemethoden mit Genmaterial als Ausgangsbasis betreffen.
... wovon mehr als ein Drittel gravierende Mängel aufwies
Ihr Ergebnis: 38 Prozent oder 448 Patentansprüche klassifizierten sie als problematisch. Viele Einreichungen wollten durch ein Patent deutlich mehr geschützt wissen, als in der Schrift selbst nachgewiesen wurde.

Zahlreiche Einreicher beriefen sich in ihren Anträgen auf angebliche Entdeckungen anderer, die aber nicht nachvollziehbar waren. Darüber hinaus wurden mehrmals Zusammenhänge zwischen einer genetischen Disposition und einer Erkrankung behauptet, ohne diese Korrelation auch tatsächlich zu belegen.
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Beispiele von fehlerhaften Einreichungen
Beispielhaft führen die Forscher folgende Fälle aus: Ein Einreicher beschreibt in seinem Antrag die Sequenz eines Proteins und verlangt ein Patent für alle DNA-Sequenzen, die für dieses Protein codieren, ohne die Sequenzen selbst zu beschreiben.

In einem anderen Fall versuchte ein Antragsteller, nicht nur den von ihm entdeckten Polymorphismus schützen zu lassen, sondern auch gleich alle Polymorphismen, die vielleicht zukünftig in einer Region mit mehr als zwölf Megabasenpaaren gefunden werden.

Ebenfalls aufgefallen ist eine Einreichung, in der sich ein Wissenschaftler die Entdeckung eines Polymorphismus schützen lassen wollte, mit dem - so seine Behauptung - Asthma vorhergesagt werden kann. Er wollte den Schutz aber nicht nur für die Vorsagefähigkeit von Asthma, sondern gleich für diverse andere Krankheiten, zu denen er aber keine klare Korrelation herstellen konnte.
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Unwissenheit als Fehlerquelle
Dass die Patenteinreichungen dennoch anerkannt wurden, führen Jordan Paradise und seine Kollegen unter anderem auch auf die Unwissenheit der Patentamt-Mitarbeiter zurück.

Sie stellen aber auch die Frage, ob man die Praxis des Patentierens von genetischem Material nicht generell überdenken sollte.
Indien gegen Europäisches Patentamt erfolgreich
Wissenslücken führen aber nicht nur im US-Patentamt zu Fehlentscheidungen, sondern auch in der EU. Nach Berichten der BBC war Indien mit einem Einspruch gegen ein vom Europäischen Patentamt (EPO) erteiltes Patent erfolgreich, das eigentlich nicht hätte erteilt werden dürfen.

1995 reichten das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Konzern "WR Grace" ein Pestizid zur Patentierung ein, das aus dem Niembaum gewonnen wurde. Die Insekten vernichtende Wirkung dieses Baums ist in Indien aber schon seit Jahrhunderten bekannt, weshalb die indische "Research Foundation for Science, Technology and Ecology" mit Unterstützung der Internationalen Föderation für biologischen Landbau und der europäischen Grünen dagegen berief.
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Bibliothek des traditionellen Wissens
Indien bemüht sich seit mehreren Jahren, sein traditionelles Wissen in einer öffentlich zugänglichen Datenbank zu sammeln und es damit vor Patentierungen zu schützen.
->   Datenbank zum Schutz traditionellen Wissens (19.2.01)
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EPO hätte eigentlich nicht zustimmen dürfen
Das EPO hat nun anerkannt, dass das Wissen über die Verwendung des Niembaums, das von "WR Grace" in ein Produkt umgesetzt wurde, zum "traditionellen Wissen" Indiens gehöre und deshalb nicht patentierbar sei. Hätte das EPO bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Anerkennung davon gewusst, hätte es dem Antrag nach europäischem Recht nicht zustimmen dürfen.

Kritiker der europäischen Patentierungspraxis sehen sich nicht zuletzt durch diesen Vorfall in ihren Vorbehalten bestätigt: Zwar kann gegen jedes unberechtigte Patent berufen werden, aber nicht jedes Institut oder Unternehmen nimmt einen jahrelangen Rechtsstreit auf sich. Dadurch könnte der Innovationstätigkeit langfristig mehr geschadet als geholfen werden, so die Kritik.
Biopatentrichtlinie in Österreich (noch) nicht ratifiziert
Die Diskussion rund um Patente wird auf jeden Fall weitergehen, auch weil in vielen EU-Mitgliedsstaaten - unter anderem auch in Österreich - die Ratifizierung der Biopatentrichtlinie ansteht.

Auch ihr wird vorgeworfen, dass sie "Biopiraterie", also das strategische Patentieren von traditionellem Wissen für kommerzielle Interessen, nicht verhindert.

Wann die Richtlinie in österreichisches Recht übersetzt wird, steht noch nicht fest. Der zuletzt für Dezember 2004 vorgesehene Beschluss wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 11.3.05
->   Europäisches Patentamt
->   U.S. Patent & Trademark Office (USPTO)
Mehr über die Biopatentrichtlinie in science.ORF.at:
->   Greenpeace protestiert gegen Sonnenblumen-Patent (22.11.04)
->   EU-Biopatentrichtlinie: Regierung dafür - Einschränkungen? (8.10.03)
->   Vor Parlaments-Enquete: Ist Leben patentierbar? (6.10.03)
->   Politik des Lebens: Über das Verhältnis von Bioethik und Biopolitik (16.7.02)
->   Biotech-Industrie für EU-Biopatentrichtlinie (22.4.02)
 
 
 
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01.01.2010