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Die bissigsten Raubtiere aller Zeiten  
  Dass der Biss des Löwen eine durchaus gefährliche Sache ist, sollte allgemein bekannt sein. Weniger bekannt ist hingegen, welche konkreten Kräfte wirken, wenn der König der Tiere ordentlich zubeißt. Drei Biologen haben sich nun die Mühe gemacht, genau das zu quantifizieren. Das Ergebnis ihrer Forschungen: In absoluten Zahlen ist der Löwe das Raubtier mit dem kräftigsten Biss, relativ zum Körpergewicht hat hingegen der Tasmanische Teufel die Nase (bzw. den Kiefer) vorne.  
Das Team um Stephen Wroe von der University of Sydney untersuchte neben rezenten Säugetieren auch ausgestorbene. Letztere waren auch nicht von schlechten Eltern, wie die Studie zeigt: So konnte etwa der Beutellöwe mit nur 100 Kilogramm Körpergewicht ebenso große Beutetiere erlegen, wie es etwa heute Tiger und Löwe tun.
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Die Studie "Bite club: comparative bite force in big biting mammals and the prediction of predatory behaviour in fossil taxa" von Stephen Wroe et al. erschien im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B".
->   The Royal Society Publications
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Gute Beißer kauen schlecht
Welches ist der stärkste Muskel des menschlichen Körpers? Der Oberschenkel? Falsch geraten: Relativ zu seiner Größe ist der Kiefermuskel (lat. Masseter) der Stärkste unter den mehr als 300 Skelettmuskeln.

Das ist für Allesfresser wie den Menschen relativ unbedeutend, für Fleischfresser ist die Bisskraft hingegen überlebenswichtig, wie man etwa an der Anatomie des typischen Raubtiergebisses ablesen kann.

Raubtiere besitzen ein äußerst starres Kiefergelenk, das sich nur auf- und zuschnappen lässt. Damit bleiben ihnen die seitlich mahlenden Kaubewegungen, die etwa Kühe oder Schafe in Formvollendung vorführen, verwehrt - dafür sind sie in anderer Hinsicht spezialisiert:

Ihre Reißzähne bilden eine äußerst effektive Brechschere, mit der sich Muskeln und Sehnen, ja sogar Knochen und Knorpel durchtrennen lassen.
Beißkraft indirekt festgestellt
Dass Hunde oder Großkatzen mit dieser Brechschere beeindruckende Kräfte entwickeln können, kann man sich zwar vorstellen, wirklich gemessen hat das jedoch noch niemand. Ein Forscherteam von Biologen um Stephen Wroe von der University of Sydney hat das nun nachgeholt.

Allerdings nicht mittels Beiß-o-Metern an den Mäulern lebender Raubtiere, sondern indirekt, durch einfache Berechnungen. Sie fassten den Kiefer der untersuchten Tiere als physikalischen Hebel auf und kalkulierten anhand der Dimension von Kieferknochen und -muskeln die so genannte statische Bisskraft.

Dieses Verfahren hat zwei Vorteile: Die Messarbeit am Knochen ("dry scull method" genannt) ist nicht nur völlig risikofrei, mit ihr kann man auch längst ausgestorbene Lebewesen untersuchen und mit den derzeit lebenden vergleichen.
"Bite club" der Säugetiere
Wroe und Kollegen, die ihre Studie selber launig "bite club" betiteln, haben also eine Art Rangliste der bissigsten Raubtiere aller Zeiten aufgestellt. Allerdings beschränkten sie sich auf Säugetiere, die Werte für T-Rex und Zeitgenossen werden wohl erst spätere Untersuchungen zutage fördern.
Platz eins für den König der Tiere
Die Ergebnisse vorweg: Der Löwe trägt den Titel "König der Tiere" wohl nicht zu unrecht, er weist er mit 1.768 Newton die höchste Beißkraft ("canine bite force", CB) aller 39 untersuchten Spezies auf. Auf Platz zwei folgt der ausgestorbene Beutellöwe (1.692 N), an dritter Stelle rangiert der Tiger (1.525 N).

Freilich ist dieser Vergleich ein wenig unfair, da der Löwe mit gut 290 Kilogramm Masse auch das absolute Schwergewicht im Bewerberfeld darstellt. Dass hier Raubtiere aus der Gewichtsklasse unter drei Kilogramm (etwa: Katze und Rotluchs) nicht mithalten können, versteht sich von selbst.
Relativer Vergleich: Beuteltiere an der Spitze
Aus diesem Grund haben Wroe und Mitarbeiter auch eine relative Vergleichszahl errechnet, den so genannten Beißkraftquotienten ("bite force quotient", BFQ). Dieser berücksichtigt auch die Masse der untersuchten Tiere, was zu einem durchaus veränderten Bild führt:

In der Kategorie "Relative Bissigkeit" obsiegt mit einem BFQ von 196 ein ausgestorbenes Raubtier namens Priscileo roskellyae aus der Gruppe der Beuteltiere. Knapp dahinter rangiert der bereits erwähnte Beutellöwe (194), der sich damit wohl den Kombinationstitel sichert.
"Best of Beißen" im Überblick
 


Unter den noch unter uns weilenden Tieren liegt der nur 12 Kilogramm schwere Tasmanische Teufel unangefochten an der Spitze (181), während sich etwa Tiger und Löwe hier nur im Mittelfeld platzieren konnten.
Unterschiede zwischen Tiergruppen
Die Berechnungen des australo-kanadischen Teams sind indes nicht nur Spielereien ranglistenverliebter Forscher, sie lassen auch biologische Schlussfolgerungen zu.

Etwa folgende: Die Beißkraft ist - zunächst wenig überraschend - umso höher, je größer und schwerer ein Raubtier ist. Ähnliche Zusammenhänge ergeben sich auch für die Größe der Beutetiere sowie den Fleischanteil in der Nahrung der untersuchten Spezies.

Wroe und Kollegen fanden auch heraus, dass sich verschiedene Tiergruppen anhand ihrer "Bissigkeit" unterscheiden lassen. So erwiesen sich die Beuteltiere relativ zur Körpermasse durchwegs bissstärker als die Plazentatiere (d.h. die Säuger im engeren Sinn), die Hundartigen waren wiederum den Katzenartigen überlegen.

Letzteres erklärt sich durch den relativ kleineren Kopf der Katzenartigen sowie deren Art des Beutefangs: Katzen müssen sich nämlich nicht nur auf ihr Kiefer verlassen, sondern setzen auch ihre ungleich muskulöseren Vorderextremitäten ein, um die Beute zu Fall zu bringen.
Knochenkost macht kein starkes Kiefer
Widerlegen konnten die Forscher die Annahme, derzufolge Tiere, deren Menüplan zu einem Gutteil aus Knochen besteht, besonders kräftige Kiefer aufweisen müssten. Das war nicht der Fall: Hyänen, die als echte Knochenliebhaber gelten, unterschieden sich nicht von nahe verwandten Tiergruppen mit anderen Ernährungsgewohnheiten.
Der wirklich wilde Beutellöwe
Nicht zuletzt lassen sich durch die erhobenen Daten auch Rückschlüsse auf die Lebensweise der ausgestorbenen Tiere ziehen. So war es lange Zeit umstritten, ob der Beutellöwe Thylacoleo carnifex überhaupt ein echtes Raubtier war (Proc. R. Soc. B 271, S. 1203).

Manche Forscher meinten, er habe sich von Aas oder gar, weil viele seiner Verwandten keine Fleischfresser sind, von Pflanzen ernährt. Sein Entdecker Richard Owen war da anderer Meinung. Er beschrieb ihn bereits im Jahr 1859 als "eines der wildesten Raubtiere überhaupt".

Die aktuelle Studie dürfte nun dem englischen Paläontologen Recht geben. Thylacoleo carnifex konnte vermutlich ebenso große Beutetiere zur Strecke bringen, wie es der fast drei Mal so schwere heutige Löwe vermag.

Robert Czepel, science.ORF.at, 23.3.05
->   University of Sydney
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01.01.2010