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Tricksen und Täuschen mit den Mitteln der Statistik  
  Die Statistik gilt als exakte Wissenschaft, die Faktenwissen durch Zahlen vermittelt. Dass man aber auch mit Zahlen lügen kann, darauf weist Thomas Benesch vom Institut für Medizinische Statistik der Uni Wien in seinem Gastbeitrag hin. Seine Einführung zu Lügenfaktor und Matterhorn-Effekt zeigt, dass nicht jede Grafik hält, was sie verspricht.  
Die Entdeckung des Lügenfaktors in der Statistik
von Thomas Benesch

Wie einst Benjamin Disraeli, britischer Premierminister unter Königin Victoria, sagte: "Es gibt die Notlüge, es gibt die gemeine Lüge und es gibt die Statistik". Diese Behauptung wird nachfolgend begründet - durch graphische Veranschaulichungen.

Hier wird "wahrhaftig gelogen", da die Größenverhältnisse verfälscht dargestellt werden; so weichen die Werte vollkommen vom graphischen Ausdruck ab.
Der Lügenfaktor als Zerrspiegel
 


Den Beginn macht ein Balkendiagramm mit der prozentmäßigen Aufteilung von Reptilien als Haustiere (siehe Bild oben). Die Beliebtheitsskala teilt sich auf zu 46 Prozent Schildkröten, 22 Prozent Schlangen, 19 Prozent Frösche bzw. Kröten und 18 Prozent Leguane. Werden alle vier Werte addiert, ergibt sich eine Summe von 105 Prozent!

Dies lässt vermuten, dass bei der Untersuchung Mehrfachantworten möglich waren, sodass mehrere Personen zum Beispiel Schildkröten und Schlangen als Haustiere haben.
Balken der Schildkröte zu klein
Bei genauerer Betrachtung der Graphik ist noch ein weiteres Detail zu entdecken: Die Balken von Schlange, Frosch bzw. Kröte und Leguan entsprechen den angegebenen Prozentwerten.

Der eingezeichnete Balken für die Schildkröte allerdings ist in der Relation wesentlich kleiner, als der Wert von 46 Prozent erwarten würde. Dieser Umstand wird in der Statistik als Lügenfaktor bezeichnet.
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Definition Lügenfaktor
Der Lügenfaktor definiert sich nach TUFTE durch die Division der graphisch dargestellten Größenverhältnisse mit dem tatsächlich berechneten Zahlenmaterial. Der Lügenfaktor sollte in der Nähe von eins liegen.
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Lügenfaktor von 0,57 im Beispiel
In unserem Beispiel ergibt sich eine graphische Größenänderung von zum Beispiel Schlange zu Schildkröte von 62 Prozent, der Wert steigt jedoch um 109 Prozent.

Damit ergibt sich bei den Reptilien als Haustiere ein Lügenfaktor von 62 dividiert durch 109, also von 0,57.
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Literatur zum Thema
Thomas Benesch (2005), "Anschauliche und verständliche Datenbeschreibung: Methoden der deskriptiven Statistik", Wien und Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag (NWV).
->   Das Buch beim NWV
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Der Lügenfaktor als Gipfelstürmer: Der Matterhorneffekt
Beim Matterhorn-Effekt wirken identische Objekte bei perspektivischen Zeichnungen umso größer, je weiter sie sich im Hintergrund befinden.

Das Höhenverhältnis Zugspitze zu Matterhorn von 2962:4478 wird, wenn die beiden Berge nebeneinander stehen, einigermaßen maßstabsgetreu wiedergegeben.

Wenn jedoch die Berge hintereinander stehen würden, wirkt das Matterhorn weit größer, als es tatsächlich ist.
Verknüpfung von Lügenfaktor mit Matterhorn-Effekt
 


Folgende Werbung für Geldanlagen verknüpft den Lügenfaktor mit diesem Matterhorn-Effekt, wonach identische Objekte umso größer wirken, je weiter sie sich im Hintergrund befinden.

Anhand der graphischen Darstellung ist die Länge BC ungefähr 5,5-mal die Länge von AB (siehe Bild oben).

Im Vergleich weist BC eine Veränderung von 0,2 Prozent und AB eine Abweichung von 0,5 Prozent auf, dies ergibt einen relativen Effekt von 0,2 dividiert durch 0,5, also von 0,4. Der Lügenfaktor ergibt sich in diesem Beispiel daher zu 5,5 dividiert durch 0,4 also zu 13,75.

[4.4.05]
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Zum Autor
DDr. Thomas Benesch arbeitet am Institut für Medizinische Statistik der Medizinischen Universität Wien. Er hat neben seiner Ausbildung im Bereich der Mathematik und Statistik auch eine Ausbildung im Management und war in diesem Bereich längere Zeit beschäftigt. Zurzeit ist er in medizinische Kooperationen involviert und hält öffentliche Vorträge.
->   Institut für Medizinische Statistik
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Mehr zum Thema Statistik in science.ORF.at:
->   Statistik: Der (falsche) Umgang mit den Zahlen (Gastbeitrag Thomas Benesch) (7.4.04)
->   Visualisierung der Wissenschaft - ein Wettbewerb (17.9.03)
->   "Einmaleins der Skepsis": Der Umgang mit Statistiken (6.12.02)
 
 
 
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01.01.2010