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Plagiate: "Open Access" als Gegenstrategie?  
  "Plagiate und unethische Autorenschaften in Wissenschaft und Literatur" sind am Wochenende bei einem am Kulturinstitut der Universität Linz veranstalteten Symposion zur Debatte gestanden. Der Betrugsforscher Gerhard Fröhlich lud Experten und Betroffene aus Österreich und Deutschland zur Diskussion über ein Thema, das in Österreich noch viel zu oft unter den Teppich gekehrt wird.  
Neue Richtlinien gegen Plagiate, ...
"Ab sofort sind sämtliche übernommenen Texte eindeutig mit Quellenangaben zu versehen. Dies gilt insbesondere auch für Texte aus dem Internet."

Seit kurzem sollen diese Zeilen potenzielle Übeltäter am Institut für Medienkommunikation der Universität Klagenfurt abschrecken: Dem neuen akademischen Volkssport Nummer eins, der Verführung von "copy" und "paste", wird offenbar der Kampf angesagt.
... die ein wenig unbeholfen scheinen
Doch geschieht dies bei näherem Hinsehen ein wenig unbeholfen: Wenn "ab sofort" alle übernommenen Texte zu belegen sind, dann stellt sich die Frage, welche Richtlinie bislang gegolten hat.

Und: Ist die 1:1-Übernahme von "Texten aus dem Internet" denn überhaupt wissenschaftlich sinnvoll (wohlgemerkt: von "Texten", nicht bloß von Zitaten)?
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Software im Einsatz gegen Plagiate
Anderswo weht ein ganz anderer Wind. In Amerika etwa ist "plagiarism" schon seit Jahren nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, auch die Idee der Erkennungssoftware stammt von dort: Das Internet, das das Problem in den vergangenen Jahren zumindest radikalisiert hat, soll nun auch wieder Abhilfe schaffen.

Das nicht gerade kostengünstige Programm "turnitin" jagt einen verdächtigen Text durch eine Datenbank mit derzeit 4,5 Milliarden Seiten. Eine Alternative: Die deutsche Software "PlagiarismFinder" arbeitet sich mit unterschiedlichen Techniken durch die öffentlichen Suchmaschinen.
->   Plagiarism-Finder.de
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Strenge Strafen in den USA und Schweden
Wer in Amerika des Plagiats überführt wird, der wird im Extremfall sogar von der Universität verwiesen. In Schweden wird für Plagiatoren ein Aussperren von der Hochschule für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten verhängt, berichtete die Berliner Medieninformatik-Professorin und Plagiarismus-Expertin Debora Weber-Wulff beim Linzer Symposion.

In Österreich scheint man das Problem bislang eher zu ignorieren oder - siehe Klagenfurt - nur sehr zahnlos anzugehen.
Nicht alle Originale sind im Internet
Der Haken an der Sache: Beileibe nicht alle Originaltexte für spätere Plagiate befinden sich im Internet. Und bei weitem nicht alles, was im Internet steht, wird von den Suchmaschinen auch gefunden. Vagen Schätzungen zufolge durchstöbert etwa Google überhaupt nur 20 bis 30 Prozent der Gesamtinformation im Netz.
Auch informelle Kanäle werden benutzt
Viele Plagiate können des Weiteren das Ergebnis informeller Kanäle von Studierenden sein - zunehmend oft auch über die Ländergrenzen hinweg. Besonders beliebt sind dann automatische Textübersetzungsdienste, die im Internet angeboten werden.
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Online-Tutorial, um Plagiate zu erkennen
Was also ist zu tun? Der erste Schritt ist Aufklärung: Unter dem Motto "Fremde Federn Finden" hat Weber-Wulff ein Online-Tutorial ins Netz gestellt, um Lehrenden das Erkennen von Plagiaten zu erleichtern. Hier finden sich auch Ergebnisse eines Tests von Plagiatsbekämpfungs-Software.
->   Zum Online-Tutorial
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Open-Access als Lösung?
Der Linzer Kulturphilosoph und Experte für Betrug in der Wissenschaft, Gerhard Fröhlich, setzt ganz auf Open-Access: "Eine effektive Plagiatsbekämpfung ist nur über eine voll digitalisierte Wissenschaftskommunikation möglich."

Diese Vision erscheint logisch: Wenn alle neuen Texte im Netz verfügbar sind, verliert das Plagiieren seinen subversiven Status, Fakes werden offensichtlich und können sehr simpel überführt werden. Ein Beispiel für einen Schritt in diese Richtung wäre etwa die derzeit noch auf Naturwissenschaften beschränkte "Public Library of Science".
->   Public Library of Science
Nur mehr aktuelle Themen vergeben
Philosophie-Professor Volker Gadenne regte in der Diskussion von Fröhlichs Vortrag an, keine Theorie-Arbeiten mehr in Auftrag zu geben, bei denen die Themenstellung relativ "zeitunabhängig" sei.

Ein Beispiel: Über die Konstruktivismus-Debatte gibt es schon genug Arbeiten, auch ein Spezialbereich aus dieser sei keine geeignete Aufgabenstellung mehr für Studierende.

Vielmehr müsse in der Aufgabe immer auch ein möglichst aktueller Anwendungsbereich enthalten sein: etwa die Analyse einer aktuellen Doku-Soap im Boulevardfernsehen. Und vorher wäre dann im Internet abzuchecken, ob es zu genau dieser Theorie/Praxis-Fragestellung schon Arbeiten gebe.
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DFG: Empfehlung für "gute wissenschaftliche Praxis"
Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus in Dortmund, referierte über die Konsequenzen aus dem bundesdeutschen Fälschungsskandal rund um die Krebsforscher Herrmann und Brach: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat in Reaktion auf diesen Fall 1998 Empfehlungen zur Sicherung "guter wissenschaftlicher Praxis" erstellt.

Ombudsgremien an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen sollten Anlaufstellen bei etwaigen Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten werden. 2004 wurde ein Erfahrungsbericht veröffentlicht.
->   Obmudsmann der DFG (inkl. Tätigkeitsbericht)
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Österreich: Keine vergleichbare Entwicklung
Wormer berichtete in Linz, dass mit Stichtag Anfang April 2005 alle deutschen Unis die DFG-Richtlinien umgesetzt hätten. In Österreich gibt es noch keine vergleichbare Entwicklung. "Brauchen" wir, damit die Diskussion auch hierzulande in Gang kommt, erst einen prominenten Fall?
Theoretische Verwirrung erschwert Problemlösung
Doch sind die Plagiatoren überhaupt die "Bösen" und die Aufdecker die "Guten"? Genauer betrachtet erscheint die Frage berechtigt: In manchen feministischen Positionen wird das "Outen" eines Plagiats als patriarchalischer Akt interpretiert.

Der Intertextualitäts-Theorie von Julia Kristeva zufolge sei jeder Text ein Mosaik von Zitaten: In jedwedem Text überlagerten sich Aussagen anderer Texte. Gibt es also "in Wirklichkeit" nichts Neues (mehr?), ist so gesehen alles ein Re-Make/Re-Model von bereits Gesagtem? Wenn dem so wäre, dann hätten die Plagiatoren eine gewisse theoretische Legitimation.
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Einzelautor als "narzisstische Illusion"?
"Die Kopie ist das Original der Wirklichkeit", behauptete bereits vor dem Internet-Zeitalter auch der deutschsprachige Literatur- und Medienwissenschaftler Siegfried J. Schmidt im Kontext seines "Radikalen Konstruktivismus". Und, um diese Konfusion zuzuspitzen, sogar für Gerhard Fröhlich ist "der Einzelautoren-Begriff eine narzisstische Illusion".
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Texte werden noch immer von Menschen geschrieben
Angesichts dieser und anderer theoretischer Verwirrungen und postmoderner Beliebigkeiten erscheint es angebracht, daran zu erinnern, dass es immer noch Menschen sind, die Texte schreiben.

Noch sind es keine Expertenprogramme, noch ist keine künstliche oder auch nur kollektive Intelligenz alleiniger Schöpfer von Text und Bedeutung. Und in den "humanities" müssen die Text-Schaffenden auch nicht immer gleich ganze Teams oder Gruppen sein.
Es gibt durchaus noch individuelle Personen, die denken und forschen. Die großen Theorien des 20. Jahrhunderts - von Luhmann bis Habermas - wurden im Rahmen eines zumindest für den Output gewinnbringenden Solipsismus geschrieben.

Stefan Weber, freier Journalist, 18.4.05
->   "Plagiatsverwarnung" der Uni Klagenfurt (.pdf)
->   Kulturinstitut der Universität Linz
Mehr über Plagiate in science.ORF.at:
->   Neuer Betrugsfall: Kritik an mangelnder Reaktion Verantwortlicher (2.1.04)
->   Risiken und Nebenwirkungen von Englisch (2.12.03)
->   Birgit Sauer: Plagiate im Zeitalter von "Copy and Paste" (19.8.03)
 
 
 
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01.01.2010