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Vergleich der Republiksfeiern 1995 und 2005  
  Das "Gedenkjahr 2005" hat mit den Feierlichkeiten zum Staatsvertrag zuletzt seinen Höhepunkt erreicht. Anlass genug, um die heurigen Republiksfeiern mit jenen vor zehn Jahren zu vergleichen. Während 1995 noch über die "Normalität" der österreichischen politischen Kultur diskutiert wurde, wird nun zunehmend eine "Normalposition des Erinnerns" konstruiert, meint der Politologe Georg Spitaler von der Universität Wien in einem Gastbeitrag.  
Von der Normalitätsdebatte zur "Normalposition" des Erinnerns
Von Georg Spitaler

Wir schreiben das Jahr 1995, gedacht wird des 50. Jahrestages der Gründung der Zweiten Republik: Eine Gruppe von prominenten Kunstvermittlern und Journalisten - unter ihnen Andre Heller und Peter Huemer - organisiert für den Vorabend des 27. April einen öffentlichkeitswirksamen Event auf dem Heldenplatz.

Statt eingemauerten Denkmälern und Kartoffeläckern treten bei diesem "Fest der Freiheit" Medienintellektuelle und andere öffentliche Persönlichkeiten auf, von Kurt Ostbahn bis Salman Rushdie.

Die Veranstaltung ist bewusst populär angelegt, was sich an mitwirkenden Künstlern wie Falco, Sängerknaben oder Zillertaler Schürzenjägern zeigt. Peter Turrini hält eine Rede, die sich an die Täter des kurz zuvor verübten Attentats von Oberwart richtet.
1995: Verteidigung des Status Quo
Auch zehn Jahre später befinden wir uns in einem Gedenkjahr. In der Sicht der politischen Kulturforschung erfüllen öffentliche Rituale wie das "Gedankenjahr 2005" nicht zuletzt den Zweck, den "manifesten Bereich von politischer Kultur" im Rahmen politischer Auseinandersetzungen neu zu definieren.

Gerade "durch jene oft geschmähten 'Sonntagsreden', die den Rahmen des 'man' immer wieder neu festschreiben" (Andreas Dörner). Um die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der heurigen Feiern zu erkennen, lohnt ein Blick zurück.

Im Mittelpunkt der symbolischen Aktivitäten des offiziellen Österreich stand 1995 nicht zuletzt die Verteidigung eines Status Quo: Bestimmte Spezifika politischer Kultur in der Zweiten Republik wurden gegen den radikaloppositionellen Angriff der FPÖ unter Jörg Haider in Schutz genommen.
Konsens, Wiederaufbau und Erfolgsstory
Analysiert man jene Reden, die Regierungspolitiker wie der damalige Kanzler Franz Vranitzky 1995 hielten, so offenbart sich, dass hier noch einmal auf Selbstbilder und Erzählungen der Zweiten Republik Bezug genommen wurde, die ansonsten zunehmend unter Druck geraten waren: Vor allem das Vermächtnis der Gründerväter, aber auch der Wiederaufbau bzw. die Erfolgsstory der Zweiten Republik waren in so gut wie allen Gedenkreden präsent.

Dies galt auch für Konsens als Inbegriff politischer Aushandlungsmechanismen in Österreich. Im richtigen Setting wurde diese politische Harmonie nun als Kampfbegriff gegen die Systemangriffe der FPÖ und das Schlagwort der "Dritten Republik" eingesetzt.
Dritte Republik und Normalisierungsdebatte
Nicht nur offizielle Diskurse über die Zweite Republik verfügten über den Referenzpunkt der "Dritten Republik". Auch in kritischen Intellektuellendebatten wurde 1995 gerade darüber diskutiert, wie der Aufstieg der FPÖ, vor dem Hintergrund einer ansonsten nicht zuletzt von der Politikwissenschaft diagnostizierten "Entaustrifizierung" österreichischer politischer Kultur (Anton Pelinka) bzw. der angeblichen Annäherung des politischen Systems an westeuropäische Normen, einzuschätzen wäre.

Robert Menasses Essay "Ein verrücktes Land" (Falter 41/1995) wurde dabei zum Auslöser einer "Normalisierungsdebatte", die vor dem Hintergrund der vorgezogenen Wahlen im Dezember 1995 geführt wurde.
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Buch-Hinweis
Georg Spitaler hat vor kurzem zusammen mit Matthias Marschik das Buch "Das Wiener Russendenkmal" herausgegeben. Das beinahe in Vergessenheit geratene Monument war 1945 als Befreiungs- und Gedenkmal für die Opfer der Sowjetarmee im Kampf gegen den Nationalsozialismus errichtet worden.
->   Neues Buch über das "Russendenkmal" (6.5.05)
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Staatsvertrag rückt in den Mittelpunkt
2005 stellt sich das politische Feld verändert dar. Die Erfolgsstory Österreichs wird weiterhin beschworen, aber mit anderen Schwerpunktsetzungen.

Ins Zentrum der Feiern ist heuer der Staatsvertrag gerückt. Dies mag einerseits dem "runden" 50. Jahrestag geschuldet sein, verweist aber auch auf einen deutlichen Unterschied zum Jahr 1995: Damals blieb er, vermutlich nicht zuletzt wegen seiner Verknüpfung mit der österreichischen Neutralität, weitgehend am Rande der öffentlichen Inszenierungen.

An dieses langjährige Kernelement politischer Kultur nach 1955 zu erinnern, erschien offenbar als prekär - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des österreichischen EU-Beitritts und damit einhergehender neuer sicherheitspolitischer Orientierungen.
Die "Ostarrichi-Urkunde" von 1995
War es 1995/1996 die "Ostarrichi-Urkunde", die im Rahmen der Feiern zu "1.000 Jahre Österreich" als authentisches Schlüsseldokument der Nation dargestellt wurde, so wird heuer der Staatsvertrag, nicht zuletzt im Rahmen von zwei großen Ausstellungen, als verspätete "Gründungsurkunde" der Zweiten Republik gefeiert.
Gemeinsamkeit über Opferbegriff?
Einem Erschütterungsprozess war in den letzten beiden Jahrzehnten auch die österreichische "Opferrolle", als offizielle staatliche Doktrin und Gründungsmythos der Zweiten Republik, ausgesetzt. Seit den späten 1980er Jahren enthalten auch Reden von Regierungspolitikern den Verweis auf die Beteiligung "vieler Österreicher" an den Verbrechen der Nationalsozialisten.

Nach wie vor gestaltet es sich aber schwierig, eine gemeinsame österreichische Perspektive der Ereignisse vor und nach 1945 zu präsentieren - zu unterschiedlich waren die Betroffenheiten, Verantwortlichkeiten und Lebensgeschichten, was sich etwa an der Frage von Befreiung oder Niederlage offenbart. Dies galt 1995 und es gilt noch heute.

In dieser Hinsicht ermöglicht es offenbar gerade der Opferbegriff, eine gemeinsame österreichische Erfahrung zu konstruieren - auf die Gefahr hin, aus vielen Tätern wieder Opfer zu machen: "Ich ehre alle Opfer dieser unseligen Periode, gleichgültig, ob sie unter der Zivilbevölkerung oder unter den Soldaten zu beklagen waren", so Bundespräsident Heinz Fischer in seiner Festrede im Redoutensaal am 27. April 2005.
"Normalposition" der Erinnerung ...
Trotz aller verdienstvollen Historiker-Konferenzen und Ausstellungsprojekte des Jahres 2005 scheint so eine gewisse Gefahr zu bestehen, dass, gerade in den auf Popularisierung angelegten Events des "Gedankenjahres", eine "Normalposition" der Erinnerung konstruiert wird, die sich mit dem Begriff der "Kriegsgeneration" bzw. "Wiederaufbaugeneration" verbindet (die Wehrmacht, der Luftschutzbunker, Not und Besatzung als Erfahrungsraum), und die die zentralen Opfergruppen des Nationalsozialismus an den Rand der Erinnerung drängt.
... etwa in den "25 Peaces"
Dies führt zu den "25 Peaces", jenen von Georg Springer und Wolfganz Lorenz konzipierten Interventionen im öffentlichen Raum. Von insgesamt 25 ursprünglich geplanten Projekten, widmen sich genau zwei dem NS-Regime, noch dazu mit teils erschreckend naiver Formensprache.

Der Rest versucht, "den nicht vom Krieg betroffenen Generationen" den Alltag in den letzten Kriegstagen und der Besatzungszeit zu veranschaulichen, um schließlich einen Bogen zur Europäischen Einigung zu spannen.
Wird das Gedenkjahr noch populär?
Die Gedenkfeiern des Jahres 1995 gingen alles in allem kaum in ein "politisches Alltagsbewusstsein" (Karin Liebhart) ein. Anders verhielt es sich mit den Aktivitäten zu "1.000 Jahre Österreich" im Jahr danach.

Heuer scheint die Bundesregierung stärker als 1995 darauf bedacht, das Jubiläumsjahr zu einem öffentlichen Ereignis zu machen. Dies gilt aber auch für ihre zahlreichen Gegner, die die politischen Wortmeldungen und Programmpunkte kritisch verfolgen (vgl. z.B. die Plattform "Österreich-2005").

Ob das "Gedankenjahr 2005" zu einem "populären Ereignis" wird, ist dabei noch nicht ausgemacht.

[27.5.05]
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Über den Autor
Georg Spitaler ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
->   Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
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->   Österreich 2005
->   Österreich-2005
->   25 Peaces
->   Politix
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Gedenkjahr 2005 in science.ORF.at
In loser Folge erscheinen in science.ORF.at redaktionelle Texte und Gastbeiträge zu dem Schwerpunkt "Gedenkjahr 2005". Aktuell erschienen:

Heidemarie Uhl: Staatsvertrag: Gedächtnisort der Zweiten Republik
Siegfried Mattl: Staatsvertrag.at - Die Ambivalenz von Zeitzeugen
Günter Bischof: "Kurzvertrag" - Episode der Staatvertragsverhandlungen
Wolfgang Mueller: 50 Jahre Staatsvertrag - Der Blick der Sowjetunion
Peter Filzmaier: Opferkult und Neutralität als Geschichtsmythen in Österreich
science.ORF.at-Archiv zum Gedenkjahr 2005
->   2005.orf.at
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01.01.2010