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PC-Spiele: Zahl der Süchtigen steigt  
  Wer seine Zeit hauptsächlich mit Computerspielen verbringt, hat gute Chancen, seine Reaktionszeiten zu verbessern. Forscher gehen den Vorgängen nach, die im Gehirn dazu führen. Allzu viel ist in jedem Fall ungesund - die Zahl der Spielsüchtigen steigt rasant.  
Davor warnt der Psychiater Hubert Poppe vom Anton-Proksch-Institut. Normalerweise erhalten in der Wiener Klinik vor allem Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängige Hilfe.

Die Zahl der "nicht-stoffgebundenen Suchtverhalten", ist in den letzten Jahren aber stark angestiegen. Und dazu gehören etwa Spieler, die dem Roulettetisch oder der Lottoziehung verfallen sind, - aber auch die PC- und Videogamer.
20.000 PC-Spielsüchtige in Österreich
Rund 20.000 Menschen sind in Österreich davon betroffen, schätzt Poppe. Er forscht seit Jahren zum Thema "Internetsucht". Waren es anfangs v.a. Chat- und andere Kommunikationssüchtige, so überwiegt nun die Zahl der Online-Spieler, die ein Abhängigkeitsverhalten zeigen.

Beigetragen dazu hat die Verbreitung von Breitbandanschlüssen und Flatrates. Der potenziell Gefährdete ist jung, männlich, technisch begabt und sozial eher gehemmt. Mit anderen Worten: Junge Männer in der Pubertät. Vier bis sechs Stunden täglich verbringen sie im Schnitt mit ihrem Hobby vor dem Monitor.
Fließende Grenzen zwischen "normal" und "abhängig"
Ob das ganze wirklich als "Sucht" zu bezeichnen ist, ist schwierig zu beantworten. Die Grenzen zwischen "normalem" und "abhängigem Verhalten" sind fließend. Eine Methode, um sie zu unterscheiden, ist der "Blick ins Gehirn" mittels Magnetresonanztomographie (MRT).

Deutsche Neurobiologen haben bereits vor Jahren herausgefunden, dass die neuronalen Vorgänge bei Alkoholsüchtigen gleich sind wie bei Spielsüchtigen.
Schlüsselrolle des Dopamins
Bei beiden im Mittelpunkt steht der Botenstoff Dopamin, der Glücksgefühle hervorruft. Wenn ein Süchtiger Alkohol trinkt oder spielt - oder auch nur daran denkt - wird das Dopamin im Gehirn frei gesetzt.

Wenn nicht, kommt es zu Entzugserscheinungen - Unruhe, Nervosität und dem permanenten Wunsch, seiner Leidenschaft doch wieder nachgehen zu können. Alkohol- wie auch Spielsüchtige trachten danach, den für sie beruhigenden Zustand wieder zu erlangen.
Gewaltspiele verringern Aggressionskontrolle
Mit MRT hat bereits Ende 2002 der Radiologe Vincent Mathews von der Indiana University School of Medicine die Effekte von gewalttätigen Computerspielen auf Kinder untersucht.

Teile ihres Gehirns - die Frontallappen - zeigten sich dabei im Vergleich mit anderen Kindern deutlich weniger aktiv. Diese Frontallappen sind wichtig für Gefühle, Triebe und die Kontrolle von Impulsen.

Das Urteil der Forscher: Gewaltspiele verringern die Fähigkeit, die eigenen Aggressionen zu kontrollieren - je länger, man sich mit ihnen beschäftigt, umso eindeutiger.
->   Mehr zu der Studie
Visuelle Wahrnehmung verbessert
Doch nicht alles, was die Neurowissenschaftler herausgefunden haben, ist negativ für die Spielewelt. So zeigte Daphne Bavelier von der University of Rochester bereits 2003, dass gewisse Fähigkeiten durch PC-Spiele sogar verbessert werden können.

Teilnehmer ihrer Studie, die sehr oft den Ego-Shooter "Medal of Honour" gespielt haben, zeigten eine deutlich bessere visuelle Wahrnehmung und Reaktionsgeschwindigkeit als spiellose Kollegen.
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Die Studie "Action video game modifies visual attention" von Daphne Bavelier ist in "Nature" (Bd. 423, 534-537, Ausgabe vom 29. März 2003) erschienen.
->   Abstract in "Nature"
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Verringerte Reaktionszeiten
In dieselbe Kerbe schlägt eine aktuelle Studie des Psychologen Alan Castel von der University of Toronto. Mit seinem Team verglich er Aufmerksamkeitsvermögen und Suchmuster von passionierten Vielspielern mit jenen von Nichtspielern.

Das Resultat: Im Schnitt ist die Reaktionszeit der Gamer auf äußere Reize um 20 Prozent niedriger. Die Art und Weise, wie ihr Blick über den Bildschirm wandert und nach bestimmten Gegenständen Ausschau hält, unterscheidet sich nicht von Nichtspielern - sie sind aber bedeutend schneller.
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Die Studie "The effects of action video game experience on the time course of inhibition of return and the efficiency of visual search" von Alan Castel ist in "Acta Psychologica" (Bd. 119, 217, Juni 2005) erschienen.
->   Abstract in Acta Psychologica
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PC-Spiele gefährlicher als Schach?
Vielleicht sind das neurobiologische Argumente für passionierte Spieler, die ihr Hobby für genauso gefährlich halten wie Schach. Der Suchtexperte Hubert Poppe sieht das anders - speziell was den Online-Bereich betrifft.

"Wenn ich gegen mich selbst oder das Gerät spiele, gibt es irgendwann ein Ende, ist irgendwann das letzte Level erreicht. Bei den Online-Spielen hingegen werden Gruppen gebildet, aus denen man fast nicht aussteigen kann."

Der Grund: Bevor die ganze Gruppe einen gemeinsam erreichten Status verliert, werden lieber individuelle Müdigkeitsgrenzen überschritten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 13.6.05
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Der Artikel ist in modifizierter Form in der aktuellen Ausgabe von "scIQ" erschienen, einem Magazin für junge Leute rund um Wissenschaft, Forschung und Technologie.
->   scIQ
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->   Daphne Bavelier, University of Rochester
->   Homepage Hubert Poppe
->   Dumm gespielt (ZDF.de)
->   Brutale Spiele(r)? (Manuel Ladas)
->   "Es ist doch nur ein Spiel" (Uni Bochum)
 
 
 
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01.01.2010