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Kein Paradox für Zeitreisende  
  Sind Reisen in die Vergangenheit möglich? Laut Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie sind sie zumindest nicht ausgeschlossen. Sollte man dereinst tatsächlich einen Urlaubstrip in die Vergangenheit unternehmen können, würde trotzdem alles beim Alten bleiben, wie nun zwei Physiker herausgefunden haben. Zeitreisende würden die Welt ohne Handlungsalternativen vorfinden.  
Damit ist das so genannte Großvater-Paradoxon, demzufolge ein Zeitreisender seine eigene Geburt verhindert, unmöglich, wie Karl Svozil von der TU Wien und sein Fachkollege Dan Greenberger von der City University in New York berichten. Ihre Ergebnisse gelten aber genau genommen nur für Quantenobjekte.
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Der Artikel "Quantum Theory Looks at Time Travel" von Daniel M. Greenberger und Karl Svozil erschien im Buch "Quo Vadis Quantum Mechanics?", hrsg. V. A. Elitzur, S. Dolev und N. Kolenda, Springer Verlag, Berlin (2005).
->   Zum Preprint des Artikels bei arXiv
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Gödels ungewöhnliche Entdeckung
Im Jahr 1949 stieß der österreichische Mathematiker Kurt Gödel auf eine äußerst eigenartige Lösung jener Gleichungen, die Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) verwendet hatte. Die Lösung legte nahe, dass es in der Raumzeit etwas gibt, das Physiker geschlossene Zeitschleifen nennen: Reisen gegen den Strom der Zeit, also in die Vergangenheit.

Das wahrscheinlichste Szenario ist aus heutiger Sicht, dass Zeitreisen durch Wurmlöcher - "Abkürzungen" zu entfernten Raumzeitbereichen - führen. Rein theoretisch freilich. Denn ob Wurmlöcher oder geschlossene Zeitschleifen wirklich existieren, ist unbekannt. Alles was man weiß, ist, dass sie von der ART nicht explizit verboten werden.
->   Wurmloch bei Wikipedia
Hawkings Tourismus-Argument
Möglicherweise ist Gödels Entdeckung ja nur eine mathematische Abstraktion, die nichts mit der Realität zu tun hat. In diese Richtung deutet zumindest ein Argument, das von Stephen Hawking ins Treffen geführt wurde:

Dass Zeitreisen nicht möglich sind, erkennen wir daran, dass unsere Länder nicht von Touristenhorden aus der Zukunft überschwemmt werden, so der britische Physiker.
Großvater-Paradoxon
Andere gehen die Sache gerne logisch an. Gesetzt den Fall, Reisen in die Vergangenheit wären tatsächlich möglich, dann könnte die Wirkung eines Ereignisses ihrer eigenen Ursache vorauseilen und somit das gute alte Kausalprinzip auf den Kopf stellen.

Die anschauliche Version dieses Arguments nennt sich Großvater-Paradoxon und lautet folgendermaßen: Ein Zeitreisender könnte in die Jugendzeit seines Großvaters reisen und seine eigene Geburt verhindern. In den meisten Darstellungen geschieht das, indem der Reisende seinen Großvater erschießt, noch bevor dieser Kinder bekommen hat, aber natürlich sind auch weniger gewalttätige Interventionen denkbar.

Der entscheidende Punkt ist, dass man dadurch in einen offensichtlichen Widerspruch gerät. Denn der Reisende kann schlecht sowohl existieren als auch nicht existieren.
->   Großvater-Paradoxon bei Wikipedia
Unentschlossene Quanten
Karl Svozil und Dan Greenberger haben für dieses Paradoxon nun eine elegante Lösung präsentiert. Sie betrachteten die Angelegenheit aus Sicht der Quantentheorie, in der Zeitreisen ebenfalls nicht ausgeschlossen sind.

Dabei machten sich die beiden Physiker die Tatsache zunutze, dass Quantenobjekte nicht - wie Tische oder Planeten - eine fest umrissene Existenz aufweisen, sondern gewissermaßen notorisch unentschlossen sind.

So ist etwa der Aufenthaltsort einzelner Elektronen im Atom "verschmiert" und gleicht einem Wahrscheinlichkeitsnebel, in dem alle Möglichkeiten enthalten sind. Erst die Messung des Physikers bestimmt, was ist - und was nicht ist.
Wellen der Wahrscheinlichkeit
Anders ausgedrückt: Quantenobjekte verteilen ihre Existenz auf wellenartige Gebilde, die sich durch Raum und Zeit bewegen. Auch hier kommt es - ähnlich wie bei Licht oder Schall - zu Überlagerungen von Wellentälern und -bergen.

Die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron in einem bestimmten Raumzeit-Element anzutreffen, ist demnach dann besonders hoch, wenn sich die Wellen addieren. Umgekehrt wird man es kaum in Gebieten finden, wo sie sich gegenseitig auslöschen.
Verschlungene Pfade

Svozil und Greenberger untersuchten nun, was passiert, wenn Quanten - beispielsweise Photonen - durch zwei Strahlenteiler geschickt werden, die im Prinzip nichts anderes als halbdurchlässige Spiegel sind (Bild rechts).

Dort können die Lichtteilchen sowohl durchgelassen als auch reflektiert werden. Solange niemand eine Messung nach dem Durchlauf des zweiten Strahlenteilers vornimmt, sind beide Möglichkeiten gleichberechtigt.

Die beiden Physiker erweiterten diese Situation, indem sie annahmen, dass einer der Pfade in die Vergangenheit führt und in sich selbst zurückläuft. Diese Quantenzeitreise könnte ebenfalls zu einer paradoxen Situation führen, weil der Lichtstrahl - aus der Zukunft kommend - mit sich selbst interferiert.
Es bleibt, wie es war
Wie Svozil und Greenberger herausfanden, passiert an diesem Punkt etwas Ungewöhnliches: Die Wahrscheinlichkeitswellen überlagern sich so, dass sämtliche Alternativen ausgeschlossen werden und genau das übrig bleibt, was ohnehin der Fall war. Wurde einmal der Weg eines Photons via Messung bestimmt, dann ändern auch etwaige Zeitschleifen nichts mehr an dem Ergebnis.

Umgelegt auf das Großvater-Paradoxon bedeutet das: Wenn Reisen in die Vergangenheit tatsächlich möglich sind, dann führen sie in eine Welt ohne Handlungsspielräume. Was passiert ist, bleibt so, Morde an Großvätern sind jedenfalls nicht möglich.

Robert Czepel, science.ORF.at, 23.6.05
->   Time Travel and Modern Physics (Stanford University)
->   Website von Karl Svozil (TU Wien)
 
 
 
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01.01.2010