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Forscher entschlüsseln Code von Nervenzellen  
  Wenn Sinnesreize in die "Sprache" des Gehirns übersetzt werden, bedienen sich Nervenzellen eines so genannten neuronalen Codes. Wie mexikanische Forscher nun durch Versuche mit Affen herausgefunden haben, ist dieser Code viel komplizierter als bisher gedacht.  
Ein Team um Ranulfo Romo von der Universidad Nacional Autonoma de Mexico berichtet, dass es zumindest in der Körperwahrnehmung eine besonders ausgeklügelte Form gibt, um Reize im Gehirn darzustellen. Dabei spielt vor allem die Gesamtzahl von so genannten Aktionspotenzialen eine Schlüsselrolle.
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Die Studie "Neural codes for perceptual discrimination in primary somatosensory cortex von Rogelio Luna et al. erschien im Fachjournal "Nature Neuroscience" (doi:10.1038/nn1513).
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Alle unter Spannung
Alle Zellen des menschlichen Körpers stehen buchstäblich unter Spannung: Zwischen der Innen- und Außenseite ihrer Zellmembran herrscht ein Ladungsunterschied, und es bedarf eines beträchtlichen Energieeinsatzes, um diese Differenz aufrecht zu erhalten.
Nur Neuronen können feuern
Das gilt selbstverständlich auch für Nervenzellen, die darüber hinaus etwas ganz Besonderes können: Manchmal polt sich nämlich deren Membran um, wobei die Spannung anstatt der üblichen -80 Millivolt plötzlich in den positiven Bereich springt, um dann wieder relativ rasch abzuebben.

Die Ursachen solcher Aktionspotenziale (auch "Spikes" genannt) sind bestens erforscht, hauptverantwortlich dafür zeichnen Ionenkanäle, die u.a. Natrium- und Kalium-Ionen ein- bzw. ausströmen lassen.
->   Aktionspotenzial - Wikipedia
Signale für die Sprache des Gehirns
Sinn der aufwendigen Umpolung: Aktionspotenziale sind Alles-oder-Nichts-Signale (halbe Aktionspotenziale gibt es in der Natur nicht), mit denen die Neuronen Informationen darstellen, letztlich: codieren.

Bekannt ist in diesem Zusammenhang überdies, dass die Intensität von Reizen durch die Frequenz von Aktionspotenzialen dargestellt wird. Das heißt beispielsweise: Je lauter der Nachbar seine Lieblingsmusik spielt, desto intensiver feuern jene Nerven, die den Reiz vom Ohr in das Gehirn des leidgeprüften Zuhörers weiterleiten.
Alternative Codes?
Allerdings ist das keineswegs die einzige Art und Weise, wie Informationen verpackt und unterschieden werden können. So wäre etwa auch denkbar, dass die Gesamtzahl der Aktionspotenziale oder die Dauer der Nervenzell-Aktivität eine Rolle spielt.

Diese grundsätzliche Frage erörterte jüngst ein Team um Ranulfo Romo von der Universidad Nacional Autonoma de Mexico anhand eines einfachen Beispiels, nämlich der Wahrnehmung von Vibrationen.

Aus früheren Studien weiß man, dass Berührungen der Haut mit vibrierenden Objekten Neuronen aktivieren, die im Gehirnzentrum der Körperwahrnehmung, dem so genannten somatosensorischen Cortex, sitzen.
Tastempfindungen im Experiment
Das bestätigte sich auch bei Versuchen, in denen die Forscher Fingerballen von Makakken mit vibrierenden Objekten berührten. Dabei wurden die Affen erfolgreich darauf trainiert, die Frequenz zweier Vibrationen zu unterscheiden.

Daraus schlossen Romo und sein Team: Wenn die Affen nachweislich dazu imstande sind, zwei Testreize zu unterschieden, dann muss sich das irgendwie im somatosensorischen Cortex widerspiegeln. Fragt sich nur: Wie?
Reizdauer verändert Empfindung
Um das herauszufinden variierten die mexikanischen Forscher die ursprüngliche Reizdauer von einer halben Sekunde und berührten die Fingerkuppen für 250 bzw. 750 Millisekunden. Auch hier zeigten die Affen Reaktionen im entsprechenden Gehirnzentrum, jedoch unterliefen ihnen offensichtlich leichte Fehler:

War eine der beiden Berührungen kürzer, unterschätzten sie die Frequenz der Vibrationen, war eine der beiden länger, überschätzten sie hingegen die Frequenz.
Die Zahl, nicht die Rate entscheidet
Folgerung der mexikanischen Forscher: Die untersuchten Gehirnzellen stellen offenbar die Frequenz durch die Gesamtzahl von "Spikes" dar. Damit war zwar grob die Frage nach dem obwaltenden Code beantwortet, im Detail war jedoch auch dieser Erklärungsversuch unbefriedigend.

Es zeigte sich nämlich, dass der Effekt erstens nur leicht von der Reizdauer abhing und außerdem bei den kurzen Reizen stärker ins Gewicht fiel. Das erklären Romo und Kollegen durch die Existenz eines 230 Millisekunden langen Zeitfensters, in dem eingehende Reize besonders stark gewichtet werden, außerhalb dessen hingegen weniger.
Konsequenzen für andere Studien
Dass der neuronale Code der untersuchten Nervenzellen so kompliziert ist, hat nach Ansicht von Ranulfo Romo auch weitgehende Konsequenzen für andere neurobiologische Studien.

Bei diesen habe man stillschweigend angenommen, dass die Feuerrate von Neuronen ein ausreichendes Maß für die Repräsentation von Sinnesreizen sei, so Romo. Eine Annahme, die offenbar nicht immer stimmt.

[science.ORF.at, 3.8.05]
 
 
 
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01.01.2010