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Männer überkompensieren erschütterte Identität  
  Männer, deren Männlichkeit in Frage gestellt wird, neigen zur Überkompensation und autoritären Haltungen. Diese Alltagserfahrung haben US-Soziologen nun experimentell überprüft. Nach Erschütterung ihres Selbstverständnisses zeigten sich die Männer kriegslüsterner, homophober und eher bereit, große Autos zu fahren.  
Zu diesem Schluss kommt eine Studie des US-Soziologen Robb Willer von der Cornell University in New York.
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Die Studie "Overdoing Gender: Testing the Masculine Overcompensation Thesis" wird von Willer im Rahmen der 100. Jahrestagung der American Sociological Association (ASA) Mitte August in Philadelphia vorgestellt.
->   Die Jahrestagung der ASA
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Ein Glück, ein Mann zu sein?
"Welch Glück sondergleichen, ein Mannsbild zu sein", ließ Goethe in seinem Drama "Egmont" das Klärchen sagen. Damals wie heute handelt es sich aber eher um ein fragwürdiges Glück. Zwar sprechen die Eigentums- und Machtverhältnisse dieses Planeten für eine gewisse Bevorzugung der Männer.

In unseren Breitengraden haben aber nur 14 Prozent von ihnen laut einer Studie einen guten Freund, sind 60 Prozent von ihnen unglücklich über ihren aktuellen Beruf und sterben sie durchschnittlich allesamt deutlich früher als Frauen. Kein außergewöhnliches Glück also.
Überprüfung der Überkompensationsthese
Besonders im Argen liegt das männliche Seelenheil, wenn genau diese - die Männlichkeit - in Frage gestellt wird. Frei nach Freud reagieren Männer dann gerne mit einer Überkompensation - also einer fast schon karikaturhaften Betonung der in Abrede gestellten männlichen Eigenschaften.

Was als Überkompensationsthese in der Psychologie bekannt ist, wurde nach Ansicht des US-Soziologen Robb Willer von der Cornell University bisher viel zu selten empirisch überprüft. Deswegen erschütterte er glaubhaft die Identität von 111 Probanden und untersuchte ihre Reaktionen.
Unfreiwillig Effeminierte sind autoritärer
Für seine Studie ließ Willer Studenten einen Fragebogen ausfüllen, deren Antworten Rückschlüsse auf ihre Geschlechtsidentität zuließen. Unabhängig von den tatsächlichen Antworten teilte er die Gruppe danach in zwei Teile: den einen wurde erklärt, dass ihre Antworten komplett feminin ausgefallen wären, den anderen wurde bestätigt, dass sie ordentlich männliche Antworten gegeben hätten.

Daraufhin wurde die Einstellung beider Gruppen zu einer Reihe von Themen untersucht. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die unfreiwillig Effeminierten zeigten eine klare Tendenz zu autoritären Haltungen - sie überkompensierten ihre "bedrohte Identität" durch besonders "männliche" Antworten.
Kriegslüsterner, homophober ...
Sie erwiesen sich als stärkere Anhänger des Irak-Krieges, zeigten sich mehr einverstanden mit der Politik von US-Präsident Bush und sprachen sich deutlicher gegen das Recht auf Homosexuellen-Ehe aus.

Bei diesen allgemein politischen Einstellungen ließ es Willer aber nicht bewenden. Er untersuchte auch die Haltung gegenüber der liebsten Verlängerung männlicher Identität - dem Personenkraftwagen.
... und autoverliebter
Auch hier hielt die Überkompensationsthese wacker: Die Identitätsgebeutelten waren weit interessierter, sich ein "SUV" zuzulegen - ein "Sport Utility Vehicle", riesengroß, geländegängig und mit hohem Spritverbrauch, das eher Eindruck schindet als praktikabel in der Großstadt ist.

Außerdem waren sie bereit, bis zu 7.000 Dollar mehr dafür auszugeben als ihre unbedrohten Mitmänner.
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Wirkt bei Frauen nicht
Nicht unwesentliches Detail am Rande: Der Test wurde auch mit Studentinnen durchgeführt. Bei ihnen zeigten sich bei den Befragungen zu den diversen Einstellungen danach keine Unterschiede - gleichgültig welchen Platz auf der Gender-Skala sie von den Untersuchungsleitern zugewiesen bekamen.
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Gültig nur bei jungen Männern?
Willer zeigte sich mit seinen Resultaten zufrieden: Er wollte die Richtigkeit der Überkompensationsthese beweisen, und dies sei ihm gelungen.

Unterdessen ist in den USA eine Debatte um die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse entstanden. Der Soziologe Michael Kimmel von der Stony Brook University in New York zeigte sich davon in der Online-Ausgabe von "Science" nicht überzeugt.

Mit 20 Jahren - dem Durchschnittsalter der Probanden - sei die Identität der Männer natürlich noch nicht gefestigt. Bei älteren Männern würden die Resultate anders aussehen, mutmaßte er.
Veränderte Zeiten akzeptieren
Sein Kollege Rocco Capraro fügte hinzu: Sollten weitere Studien zu ähnlichen Schlüssen kommen, sei dies ein Zeichen, dass Männer ihre sich ändernden Rollen in der Gesellschaft nicht so ohne weiteres akzeptieren, sie geraten zunehmend in die Defensive.

Der Rat von Capraro: Nicht in Hypermaskulinität verfallen, sondern einfach die geänderten Zeiten akzeptieren.

Vielleicht stimmt dann auch der alte Ausspruch von Heinz Rühmann wieder: "Was sind wir Männer doch für'n lustiger Verein."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.8.05
->   Robb Willer (Cornell University)
->   Great moments in American masculinity (Psychology today)
->   Zur Geschlechtertheorie im Sozialministerium (pdf-Datei)
->   ScienceNow
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   TV-Comedies und ihre Frauenbilder (2.5.05)
->   Frage der Identität: Was macht den Mann zum Mann? (27.1.04)
->   "Cat Walk" und Westernheld: Was Bewegungsmuster verraten (18.7.03)
 
 
 
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01.01.2010