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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Gesellschaft 
 
Richard Dawkins: Evolution genauso Fakt wie Holocaust  
  In Österreich wurde die Debatte über "Intelligent Design" (ID) Anfang Juli 2005 durch einen Zeitungskommentar von Kardinal Christoph Schönborn ausgelöst. Die Entstehung von Leben ist ihm zufolge nicht zufällig erfolgt, sondern nach einem "intelligenten Plan". Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins kritisierte die ID-Annahmen beim Forum Alpbach darauf besonders harsch: Weder könne man die Evolutionstheorie in der Biologie in Frage stellen noch den Holocaust in der Geschichtswissenschaft, so sein Vergleich.  
Bild: science.ORF.at/wie
Richard Dawkins in Alpbach
Überhaupt riss dem Verhaltensforscher und Zoologen der Oxford University, Autor von Büchern wie "Das egoistische Gen" oder "Der blinde Uhrmacher", der Geduldsfaden: Da wir damit aufwachsen würden, der Religion mit Respekt zu begegnen - gleich ob wir uns als gläubig definieren oder nicht -, würde ihr mit viel zu viel Toleranz begegnet.

Damit müssen nun Schluss sein. "I'm fed up", fasste er seine Gefühle gegenüber der speziell in den USA erstarkenden Bewegung von Kreationisten und Vertretern des Intelligent Design zusammen - für ihn ohnehin dasselbe.
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Fundamentalkritik bei den Technologiegesprächen
Am Freitag, den 26.8.05, standen zehn Arbeitskreise im Mittelpunkt der Technologiegespräche des Forums Alpbach. Bei "From scientific journal to breaking news: science and the media" ging es vorwiegend um die Schnittstellen von Wissenschaft und Journalismus. Aus gegebenem Anlass formulierte Dawkins aber seine Fundamentalkritik an "Intelligent Design".
->   Forum Alpbach
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Ideengeschichte, aber keine Wissenschaft
Bild: science.ORF.at/wie
Von Dawkins verwendete
Illustration zum Thema
"Why not teach both sides"
Bei der Diskussion in den Vereinigten Staaten, ob an Schulen nicht sowohl Evolutionstheorie als auch "Intelligent Design" unterrichtet werden sollte, handle es sich um einen Trick. Wer von "zwei Betrachtungsweisen" spricht, geht immer schon von einer Offenheit für beide Seiten aus.

Aber: "Es gibt keine Kontroverse zwischen diesen beiden Positionen in der Wissenschaft, weil es sich bei ID schlicht um keine wissenschaftliche Position handelt", so die Quintessenz von Dawkins' Ausführungen.

Man könne ruhig über ID sprechen: aber als Teil der "Ideengeschichte, der Theologie oder der Anthropologie originärer Mythen" - und eben nicht der Wissenschaft.
"Wedge Strategy": Ohne Peer Review ...
Gegen ID sprächen nicht nur die überwältigenden Beweise von Evolutionstheorie und natürlicher Selektion, die einzig die Komplexität der Lebewesen erklären können, sondern auch das Verhalten der Kreationisten selbst.

Zum einen gibt es keine Veröffentlichungen von ID-Befürwortern in Fachzeitschriften mit Peer-Review-System, was nicht an der Ablehnung der Herausgeber liege, sondern an der Unwissenschaftlichkeit ihrer Annahmen.

Zum anderen habe ID keine positiven Beweise für seine Richtigkeit vorzuweisen, sondern lediglich die Versuche, die Evolutionstheorie zu entkräften. Und das mit den fadenscheinigsten "Argumenten". So werden etwa fehlende Knochenfunde in gewissen Perioden als "Beweis" für die Fehlerhaftigkeit der Abstammungsthese ins Treffen geführt.
... dafür "Hilfe" für überforderte Evolution
Die vermeintlich rationale Argumentation der Kreationisten: Wenn Organe oder Körperteile besonders raffiniert geformt sind, spreche diese Komplexität für einen Gott, einen intelligenten Designer, da die Evolution damit quasi überfordert gewesen wäre.

Ausdrückliches Ziel der "Wedge Strategy", wie sie vom amerikanischen Discovery Institute bezeichnete wurde, ist die Ablöse des wissenschaftlichen Materialismus und die "Erneuerung" der amerikanischen Kultur durch christliche Werte.
->   Mehr über die "Wedge Strategy"
ID-Vertreter wie Holocaustleugner
Wie aber sollte den ID-Vertretern begegnet werden? Seinem ersten Impuls folgend würde Dawkins Studenten, die ihn mit derartigen Ansichten konfrontieren, aus dem Hörsaal werfen - genau wie das auch Studierenden der Geschichte widerfahren sollte, die den Holocaust infrage stellen.

Dawkins weiß natürlich, dass damit noch nichts gewonnen wäre, seinem wachsenden Ärger über die Einmischung militanter Christen in die Sache der Wissenschaft würde damit aber zumindest Ausdruck verliehen.
Vierjährige Christen und Marxisten
 
Bild: science.ORF.at/wie

Eine Illustration seines scharfzüngigen Atheismus: Dawkins zeigte ein Bild von drei vierjährigen Kindern (siehe oben) - untertitelt mit "Shadbreeth (Sikh), Musharaf (Moslem), Adele (Christ)".

Wenn man den Untertitel austauscht und durch "Shadbreeth (Monetarist), Musharaf (Keynesianer), Adele (Marxist)" ersetzt, wird der ganze Unsinn einer derartigen Klassifizierung von Vierjährigen offensichtlich. Was im Falle der Religion ganz selbstverständlich ist, bezeichnet Dawkins als "geistigen Kindesmissbrauch".

Ähnlich den Feministinnen, die Bewusstsein für die Unterrepräsentation von Frauen in der Sprache geschaffen haben, will auch er Bewusstsein schaffen: Es gebe schlicht kein katholisches oder protestantisches Kind.
Glaube an die Menschheit - dank Wikipedia
Während Dawkins in Alpbach also eine Breitseite gegen die Religion abgefeuert hat, bekannte er in anderer Hinsicht, seinen Glauben wieder gefunden zu haben - nämlich jenen in die Menschheit. Anlass dazu: das seiner Ansicht nach erstaunliche Funktionieren der Online-Enzyklopädie Wikipedia.

Hätte man ihm einen Businessplan vorgelegt, der auf die weltweite Zusammenarbeit von Freiwilligen zur Produktion eines weitgehend exakten Lexikons setzt, wäre er vom Scheitern überzeugt gewesen. Doch der Erfolg gibt der Idee der unentgeltlichen Kooperation zur Erlangung eines besseren gemeinsamen Produkts recht.

Ein Erfolg, zu dem auch Dawkins ein wenig beigetragen hat: Nach eigenen Angaben hat er höchstpersönlich hin und wieder "einige kleine Ungenauigkeiten" von Wikipedia korrigiert.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 26.8.05
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Buch-Empfehlungen
Richard Dawkins empfiehlt zwei Bücher zur Beschäftigung mit dem Kreationismus:
Kenneth Miller. Finding Darwin's God, Harper Collins 2000
Barbara Forrest und Paul Gross. Creationism's Trojan Horse. The wedge of intelligent design, Oxford Press 2004
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->   Richard Dawkins (Wikipedia)
->   The World of Richard Dawkins
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   USA: Religionsparodie konkurriert Kreationisten (23.8.05)
->   Schönborn kritisiert Evolutionstheorie (ORF.at, 10.7.05)
->   "Intelligent Design" - Wissenschaft oder Ideologie? (13.9.04)
->   science.ORF.at-Archiv zum Forum Alpbach
 
 
 
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01.01.2010