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Darwinismus erneut auf molekularer Ebene bestätigt  
  Für Charles Darwin waren sie der ultimative Prüfstein seiner Theorie: komplexe Organe, bei denen man sich kaum vorstellen kann, wie sie einst aus einfacheren Vorstufen entstanden sein sollen. Dennoch müsse diese theoretische Herleitung unbedingt erfolgen, schrieb Darwin anno 1859 - ansonsten würde seine Theorie zusammenbrechen. US-Forscher sind diesem Appell nun auf der Ebene der Moleküle nachgekommen.  
Forscher um Jamie T. Bridgham von der University of Oregon untersuchten ein Hormon und einen Rezeptor, die sich heute wie Schlüssel und Schloss verhalten, obwohl sie zu ganz unterschiedlichen Zeiten entstanden.
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Die Studie "Evolution of Hormone-Receptor Complexity by Molecular Exploitation" von Jamie T. Bridgham et al. erschien in "Science" (Bd. 312, S. 97-101). Begleitend dazu erschien auch der Artikel "Reducible Complexity" von Christoph Adamai (S. 61-63).
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Komplementäre Partner
Enzyme tun es, Antikörper tun es und Rezeptoren tun es auch: Sie alle funktionieren nach dem so genannten Schlüssel-Schloss-Prinzip, d.h. sie besitzen eine Art Alter ego, ein komplementär gebautes Partnermolekül, das sich mit dem "Schloss" - Enzym, Immunmolekül oder Rezeptor - zusammentut und eine ganz spezifische Reaktion auslöst. Der Witz an der Sache ist, dass diese Wechselwirkung nur wenigen Bindungspartnern vorbehalten ist. Universalschlüssel gibt es in der in der Welt der Biochemie nicht.
Durch Zufall entstanden?
Schwer vorstellbar ist indes, dass sich ein so fein abgestimmtes System durch reinen Zufall gebildet haben soll. Denn ein Schlüssel kann sich, so die intuitive Annahme, nur bilden, wenn bereits ein Schloss vorhanden ist. Und das Schloss ist nur dann sinnvoll, wenn es auch einen Schlüssel dazu gibt - ansonsten würde es sich nicht öffnen.
" ... dann würde meine Theorie zusammenbrechen"
Allgemeiner ausgedrückt: Schlüssel und Schloss sind funktional verschränkt - sie machen nur dann Sinn, wenn sie gleichzeitig existieren, einzeln hingegen nicht. Wenn das aber so ist, scheint es aussichtslos, jemals funktionierende Vorstufen des Ganzen finden zu können.

Was wiederum mit den Grundfesten des Darwinismus kollidiert, der ja bekanntlich behauptet, dass alles und jedes in der belebten Welt durch eine historische Entwicklung entstanden sein muss, die durch zufällige Mutationen und die natürliche Selektion angetrieben wird.

Das wusste bereits Darwin selbst, der in seinem Opus magnum, der Origin of Species, notierte: "Wenn gezeigt werden könnte, dass ein komplexes Organ existiert, welches sich nicht durch viele aufeinander folgende geringfügige Modifikationen entwickelt haben könnte, dann würde meine Theorie vollkommen zusammenbrechen." Nachsatz: "Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden."
->   Origin of Species - Volltext
Ansatzpunkt für "Intelligent Design"?
Dieses Argument wurde neuerdings von den kreationistisch angehauchten Vertretern des "Intelligent Design" aufgegriffen, namentlich vom US-Biochemiker Michael J. Behe, der in seinem 1996 erschienen Buch Darwin's Black Box erklärte, dass es solche Organe tatsächlich gebe.

Sie zeichneten sich durch eine "irreduzible Komplexität" aus, und daher sei die Ordnung in der belebten Natur nur durch einen Akt der Schöpfung, eben "intelligentes Design" erklärbar.
->   Nichtreduzierbare Komplexität - Wikipedia
Vom Organ zum Molekül
Letzteres ist freilich ein Postulat, das sich jeder Überprüfung entzieht und daher von selbst aus der Diskussion nimmt. Trotzdem ist Behes Hinweis nicht uninteressant.

Denn während Darwin mit "komplexen Organen" noch an das Wirbeltierauge oder die Blütenstände von Pflanzen dachte, argumentiert Behe vorwiegend auf der biochemischen Ebene: Er betont, dass die von Darwin geforderte, lückenlose historische Herleitung auch für Biomoleküle gelten muss - vor allem solche, die aufeinander wie Schlüssel und Schloss abgestimmt sind.
Hormon entstand 50 Mio. Jahre "zu spät"
Ein Team um Jamie T. Bridgham von der University of Oregon hat diese Fragestellung nun am Beispiel eines Hormonrezeptors durchexerziert. Konkret geht es in der Arbeit der US-Forscher um das Hormon Aldosteron, das an einen so genannten Corticoidrezeptor bindet und damit den Elektrolyt- und Wasserhaushalt im Körper regelt.

Der Rezeptor entstand, das weiß man aus Stammbaumanalysen, durch Verdoppelung und Mutation eines Gens vor rund 450 Millionen Jahren. Das Schlüsselmolekül des Rezeptors, das Aldosteron, wurde allerdings erst 50 Millionen Jahre später erfunden.

Um zu klären, warum es davor offenbar ein Schloss ohne Schlüssel gab, rekonstruierten Bridgham und Kollegen die Gensequenzen des Urrezeptors und untersuchten dessen Eigenschaften dann im Labor.
Promiske Urform
Heraus kam Überraschendes: Der Vorläufer des Corticoidrezeptors band sowohl an das Aldosteron, als auch an zwei andere Steroidhormone, die heute ebenfalls wichtige Aufgaben im menschlichen Körper übernehmen. Die Affinität zum Aldosteron, das zu "Lebzeiten" des Ur-Rezeptors noch gar nicht existierte, entstand offenbar als Nebenprodukt einer Schlüssel-Schloss-Beziehung und wurde erst viel später vom Körper dienstbar gemacht, folgern Bridgham und Mitarbeiter.
Haupt- und Nebenfunktion
Dass zufällige Nebenfunktionen später einmal zu Hauptakteuren der Selektion werden können, weiß man freilich schon länger. Ein berühmtes Beispiel dafür ist etwa die Fähigkeit, Schall zu leiten. Im Prinzip sind sämtliche Knochen unseres Körpers dazu imstande, auch wenn das Skelett der Wirbeltiere sicher nicht zu diesem Zweck gebildet wurde.

Dennoch sitzen in unserem Mittelohr drei miniaturisierte, gewissermaßen außer Dienst gestellte Kieferknochen früher Vorfahren, die sich ausschließlich der Schallleitung widmen. Sie sind bekannt unter den Namen Amboß, Hammer und Steigbügel.

Dass es ähnliche Umwidmungen auch auf der Ebene der Moleküle gibt, wird gerne übersehen. Zumindest von den Vertretern des "Intelligent Design".

Robert Czepel, science.ORF.at, 11.4.06
->   Website von Joe Thornton
->   Irreducible Complexity and Michael Behe
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Erzbischof gegen "Intelligentes Design" (22.3.06)
->   Ist der Darwinismus eine säkulare Religion? (24.2.06)
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->   "Intelligent Design" - Wissenschaft oder Ideologie? (13.9.04)
 
 
 
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01.01.2010