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Höherer Frauenanteil verändert EDV-Kultur  
  Technische Studien sind nach wie vor Männerbastionen. Förderprogramme haben in den vergangenen Jahren versucht, den Frauenanteil zu heben - meist mit wenig Erfolg. An einer US-Universität ist es aber im Fach Informatik tatsächlich gelungen: Mit einem Mix aus Lehrerfortbildung, Änderungen des Studienplans und Mentoring konnte eine Frauenquote von knapp 40 Prozent erreicht werden.  
Das Frauenförderungsprogramm der Carnegie Mellon University hat nicht nur die Geschlechterverhältnisse, sondern auch die Studienkultur im Fach Informatik nachhaltig verändert - und das wirkt sich auch auf die Männer positiv aus.
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Die Mathematikerin und Informatikerin Leonore Blum, die das Frauenförderungsprogramm an der Carnegie Mellon University mit initiiert hat, hält am Montag, dem 29. Mai 2006, um 17.00 Uhr an der Technischen Universität Wien einen öffentlichen Vortrag zum Thema "Transforming the Culture of Computing: The Carnegie Mellon Experience".

Ort: Technische Universität Wien, Neues Elektrotechnisches Institutsgebäude, 1040 Wien, Gußhausstraße 27-29 , EI 9, Erdgeschoß
->   Information und Anmeldung
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Studie suchte Ursachen
Unterstützt vom Rektorat, startete das Institut für Informatik an der Carnegie Mellon University 1995 ein umfassendes Programm, um mehr Frauen für das Studium der Informatik zu begeistern. Lediglich sieben von 96 Erstsemestrigen waren zu diesem Zeitpunkt weiblich.

Am Beginn der Initiative stand eine Langzeitstudie: Um die Gründe für den geringen Frauenanteil zu erforschen und effiziente Gegenstrategien zu entwickeln, wurden mehrere hundert Informatikstudierende - sowohl Männer als auch Frauen - über ihre Studienmotivation und -erfahrungen befragt.
Erfahrungsunterschiede, Selbstzweifel, Peer Culture
Vier Jahre lang wurden die Studierenden einmal pro Semester interviewt. Dadurch konnten die Studienautoren Allan Fisher und Jane Margolis nicht nur Einblicke in kritische Studienphasen gewinnen, sondern auch Faktoren erheben, die für Fortschritte und Rückfälle im Studienverlauf entscheidend waren.

Die Studie machte auf zahlreiche Gründe aufmerksam, warum Frauen nicht nur schwer zum Informatikstudium zu motivieren, sondern auch schwer darin zu halten waren.

Große Erfahrungsunterschiede zwischen Männern und Frauen im Umgang mit dem Computer vor dem Studium, Selbstzweifel, unausgewogene Lehrpläne und die spezifische Peer Culture im Feld der Informatik ließen sich als Hauptproblemfelder identifizieren.
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Informatik an TU Wien: 16 Prozent Frauen
Von einem 38prozentigen Frauenanteil im Fach Informatik sind viele heimischen Universitäten noch weit entfernt. An der Technischen Universität Wien etwa stagnieren die Zahlen nach wie vor bei 16 Prozent.
->   Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies an der TU Wien
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Schritt 1: Workshops für Informatiklehrer an High Schools
Bereits früh war klar, dass man zu einer Steigerung des Frauenanteils im Informatikstudium bereits in den High Schools ansetzen muss.

Die Carnegie Mellon University bot deshalb drei Sommer lang Fortbildungsworkshops für EDV-Lehrer an. Ziel war es, die Lehrer auf den "Gender Gap" in der Informatik aufmerksam zu machen und neue Unterrichtsstrategien zu vermitteln.

240 High School-Lehrer nahmen zwischen 1997 und 1999 an diesen Fortbildungsaktivitäten teil. Der Erfolg: Während sich 1995 keine einzige Absolventin einer der teilnehmenden Schulen für ein Informatikstudium entschieden hatte, kamen im Jahr 2000 bereits 18 Prozent aller Neuinskribentinnen von diesen Schulen.
Schritt 2: Änderung der Zulassungsvoraussetzungen ...
In einem zweiten Schritt wurden die Zulassungsvoraussetzungen für das Informatikstudium geändert. Die Befragungen hatten ergeben, dass viele Frauen vor einem Informatikstudium deshalb zurückschreckten, weil sie keine so ausgeprägten Programmiererfahrungen mitbringen konnten wie ihre männlichen Kollegen.

Die Aufnahmekriterien wurden daher modifiziert: Zählten zuvor Erfahrungen mit Programmiersprachen besonders stark, so wurden nun soziale Kompetenzen wie Führungspotenzial oder Teamfähigkeit stärker gewichtet.

Das öffnete nicht nur mehr interessierten Frauen die Türe zum Informatikstudium. Auch mehr Männer, die nicht dem gängigen Klischee des männlichen Computer-Nerds entsprachen, konnten dadurch angesprochen werden.
... und des Studienplans
Gerade dieses Klischee hatte auch der bestehende Studienplan implizit befördert. Studierende mit Programmierkenntnissen konnten die Studieneingangsphase in der Regel leichter meistern als jene ohne Vorkenntnisse.

Eine Studienplanänderung sollte das ändern: Die Studierenden werden nun durch das Angebot mehrerer Einstiegsebenen in das Studium dort abgeholt, wo sie mit ihren Programmierkenntnissen stehen. Vorkenntnisse sollten nicht länger über den Studienerfolg entscheiden.
Schritt 3: Mentoring und Networking
Um Frauen auch längerfristig im Fach zu halten, wurde 1999 der Women@SCS Advisory Council eingerichtet - eine professionelle Studierendenorganisation, die in an der Universität Beratungs-, Mentoring- und Networkingprogramme anbietet.

Die Diskussionsforen, Workshops und sozialen Events, die die neue Organisation veranstaltete, wurden von den Studentinnen gut angenommen und erfreuten sich bald so großer Beliebtheit, dass auch männliche Informatikstudierende immer häufiger teilnahmen.
Veränderungen in den "Cultures of Computing"
Seit das umfassende Frauenförderungsprogramm der Carnegie Mellon University im Bereich des Informatikstudiums läuft, ist nicht nur die Zahl der Erstinskribentinnen kontinuierlich gestiegen. Auch die Einstellungen der Informatikstudierenden zum Studium selbst haben sich entscheidend verändert, wie Interviews im Rahmen einer Evaluierungsstudie 2002 gezeigt haben.

Sowohl unter den männlichen wie auch unter den weiblichen Studierenden ließ sich ein weit breiteres Spektrum an Interessen feststellen als Mitte der 90er Jahre. Der klassische (männliche) Computerfreak war weitgehend verschwunden. Männer wie Frauen betrachteten Informatik nicht länger als reine Programmierwissenschaft, sondern als Werkzeug für praxisorientierte Anwendungen.

Gab es Mitte der 90er Jahre noch eklatante Unterschiede in der Motivation für ein Informatikstudium und in der persönlichen Bewertung des Studienverlaufs, so hatten sich die Einstellungen von Männern und Frauen zum Studium im Jahr 2002 weitgehend angenähert.
Ausgewogenes Umfeld - weniger Geschlechterdifferenzen
Die Ergebnisse der Evaluierungsstudie lassen den Schluss zu, dass in einem ausgewogenen Studienumfeld Geschlechterdifferenzen weitgehend verschwinden.

Dass diese stärkere Ausgewogenheit mit vielen nicht gender-spezifischen Maßnahmen - wie etwa der Änderung der Zulassungskriterien oder des Studienplans - erreicht werden konnte, ist ein interessantes Detail. Es lässt darauf schließen, dass auch für Männer die bisherigen Regelungen nicht optimal waren.

Martina Nußbaumer, science.ORF.at, 26.05.06
->   Leonore Blum, School of Computer Sciences, Carnegie Mellon University
->   Women@SCS, School of Computer Sciences, Carnegie Mellon University
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01.01.2010