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Uni Wien: "Siegfriedskopf" wechselt Standort  
  Mit dem "Siegfriedskopf" hat das in den vergangenen Jahrzehnten wohl umstrittenste Objekt an der Universität Wien einen neuen Standort erhalten: Es ist von der Aula in den hinteren Bereich des Arkadenhofs übersiedelt.  
Im Mittelpunkt der Neuaufstellung steht auch nicht mehr das umstrittene Gefallenendenkmal selbst, sondern die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem. "Wir wollten den Siegfriedskopf nicht eins zu eins wieder aufstellen, sondern einer verstärkten historischen Analyse unterwerfen", betonte Rektor Georg Winckler bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.
"Stück österreichischer Zeitgeschichte"
 
Bild: APA

Der Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte, Friedrich Stadler, bezeichnete den 1923 errichteten Siegfriedskopf als "Stück österreichischer Zeitgeschichte".

Das von der zu diesem Zeitpunkt deutlich antisemitischen und antidemokratischen "Deutschen Studentenschaft" für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Studenten und Lehrer aufgestellte Denkmal verweist in seiner Symbolik auf die Siegfried-Mythologie der Nibelungen-Sage sowie die "Dolchstoßlegende" des Ersten Weltkriegs.

Es sei "Ausdruck eines undemokratischen, ethnozentrischen Geistes, der in die Phase des Austrofaschismus und Nationalsozialismus mündete", so Stadler.
Grund für Umzug: Neugestaltung der Aula
Ansatzpunkt für die Verlegung war die Neugestaltung der Aula, die bisher "die Aura der Zwischenkriegszeit vermittelte" und deren zentraler Blickpunkt der Siegfriedskopf war, meinte Winckler.

Obwohl der Senat der Uni schon 1990 eine Verlegung in den Arkadenhof beschlossen hatte, legte sich das Bundesdenkmalamt dagegen quer. Die künstlerische Neugestaltung habe das Amt aber überzeugt, betonten Bele Marx und Gilles Mussard (Büro Photoglas).

Voraussetzung dafür war, dass der Kopf unter einen Glassturz kommt - in der Gestaltung von Photoglas hat dieser aber nicht nur eine rein dekorative Funktion.
Glassturz nicht nur Schutz, sondern Teil des Konzepts ...
Die Hülle wird vielmehr als Träger von Textbeiträgen und Fotografien aus Tageszeitungen von 1923 bis heute eingesetzt. Das Objekt besteht aus mehreren Glasebenen und Einheiten. Der äußere Kubus ist Träger eines zeitgeschichtlichen Textes, der autobiografischen Erinnerung der jüdischen Germanistin, Pädagogin und Schriftstellerin Minna Lachs aus den ausgehenden 1920er Jahren.

Im inneren Teil des Glaskubus befinden sich weitere Glasflächen mit Texten und Fotografien, die unterschiedliche Standpunkte zur Thematik vertreten.
... wie auch mögliche "Angriffe"
 
Bild: APA

Der "Siegfriedskopf" selbst präsentiert sich wieder intakt - die vor einigen Jahren abgeschlagene Nase wurde wieder angeklebt. Eine mögliche erneute Beschädigung sei im künstlerischen Konzept übrigens mitbedacht, so Marx.

Je stärker von außen auf das Kunstwerk eingewirkt wird, desto deutlicher würde die Erzählung auf der obersten Glasschicht sichtbar. "Die Schrift soll sich selbst verteidigen können", betonte Marx. Neben dem Objekt selbst informiert ein Info-Screen über dessen Geschichte.

Bisher habe es noch keine Proteste gegen die Neuaufstellung gegeben, betonte Winckler: "Ich gehe davon aus, dass alle akzeptieren, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind."
Im Jahr 1923 aufgestellt
Der "Siegfriedskopf" wurde am 9. November 1923 in der Aula der Universität Wien von der "Deutschen Studentenschaft" als Gefallenendenkmal aufgestellt. Der Marmorsockel trägt die Inschriften "Ehre, Freiheit, Vaterland", "1914-1918", "Den in Ehren gefallenen Helden unserer Universität" und "Errichtet von der Deutschen Studentenschaft und ihren Lehrern".

Diese Gruppe war seit 1919 der Dachverband aller reichsdeutscher, sudetendeutscher und österreichischer Studenten, die Mitgliedschaft an "deutsche Abstammung und Muttersprache" gebunden. Sie schloss jüdische wie weibliche, aber auch sozialdemokratische, kommunistische und liberale Studierende von Mitgliedschaft und Vertretung aus.
Kritiker: Symbol für rechtes Gedankengut
Nach Ansicht von Burschenschaftern handelt es sich beim vom Bildhauer Josef Müllner geschaffenen Siegfriedskopf, der auf die Siegfried-Mythologie der Nibelungen-Sage und die "Dolchstoßlegende" des Ersten Weltkriegs verweist, ausschließlich um ein Heldendenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.

Gegner sehen darin allerdings ein Symbol für rechtes und rechtsextremes Gedankengut an den Unis. Das Denkmal war deshalb immer wieder Grund für Auseinandersetzungen und Ziel von Beschädigungen. Zuletzt war es daher in der Aula auch mit einem Bretterverschlag verhüllt.
Kommmission in 1980er
Ende der 1980er Jahre beschäftigte sich eine Kommission im Auftrag des Akademischen Senats der Uni Wien mit der Vertreibung von Wissenschaftlern in der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus und in der Folge auch mit dem "Siegfriedskopf".

Die Recherchen der Gruppe ergaben, dass der Kopf nicht nur dem Gedenken der im Ersten Weltkrieg Gefallenen diente, sondern auch die Ziele der "Deutschen Studentenschaft" propagieren sollte. Diese vertrat damals "einen radikal antisemitischen und deutschnationalen Kurs, und zwar von ihrer Gründung an im Jahr 1919", heißt es in einer Broschüre des Ex-Dekans für Human- und Sozialwissenschaften, Wolfgang Greisenegger, und des ehemaligen Dekans der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Gerhard Orosel.
Beschluss des Uni-Senats für Umzug bereits 1990
Der Senat beschloss daraufhin am 29. Juni 1990, das Denkmal aus der Aula zu entfernen und im Arkadenhof der Universität aufzustellen. Außerdem sollte eine Tafel über die Entstehung des Denkmals angebracht werden. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand des Bundesdenkmalamts.

Erst im Zuge der Umgestaltung der gesamten Aula und des Arkadenhofs gab das Amt seine Zustimmung zur Übersiedlung. Voraussetzung: Das Denkmal muss von einem Glassturz geschützt werden - dieser dient nun aber gleichzeitig der Kommentierung des Siegfriedskopfs.

[science.ORF.at, 13.7.06]
->   Universität Wien
->   Uni Wien: Freud-Büste statt Siegfriedskopf in Aula (8.5.06)
 
 
 
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01.01.2010