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50. "Geburtstag": Zukunft der Künstlichen Intelligenz  
  50 Jahre ist es her, dass Wissenschaftler den Begriff und das Konzept der "Künstlichen Intelligenz" (KI) geprägt haben: Von den hochtrabenden Versprechungen der Anfangszeit haben sich viele KI-Vertreter mittlerweile distanziert. "Kleinere Anwendungen" - wie in der Betreuung bedürftiger Menschen - stehen heute im Mittelpunkt der Forschung.  
Die hoffnungsfrohe Prognose von Experten zum Jubiläum: Dass wir Menschen eines Tages gegen Maschinen kämpfen werden wie in Hollywood-Filmen, ist zwar technisch möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.
Geprägt von John McCarthy
Auch wenn es böse Zungen gibt, die nach wie vor an der natürlichen Intelligenz zweifeln: Die künstliche feiert dieser Tage Geburtstag. Der Begriff der "Artificial Intelligence" (AI) wurde von John McCarthy geprägt, damals Mathematiker am Dartmouth-College in Hanover, im US-Bundesstaat New Hampshire.

Er organisierte 1956 eine Konferenz zum Thema gemeinsam mit Marvin Minsky (Harvard University), Nathaniel Rochester (IBM) und Claude Shannon (Bell Laboratories).

Ziel war damals wie heute die Simulation menschlicher Intelligenz und der Bau von Maschinen, die sprechen, lernen und Probleme lösen können.
->   John McCarthy: What is AI? (Universität Stanford)
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Ein halbes Jahrhundert danach sind vier der zehn "Gründerforscher" in Boston zusammengekommen, um zusammen mit mehr als 100 Computerwissenschaftlern, Philosophen und Ingenieuren eine Bilanz zu ziehen und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
->   Konferenz in Boston
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Ambivalenter Begriff
Der Computerwissenschaftler und Mathematiker Frank Rattay von der TU Wien hält die Begriffswahl "Künstliche Intelligenz" für zweischneidig. Auf der einen Seite seien Begriffe sinnvoll, die Menschen "auf etwas aufmerksam machen".

Auf der anderen Seite werfe KI eine Vielzahl religiöser und philosophischer Fragen auf. "Die entscheidenden zwei lauten: Ist das menschliche Bewusstsein etwas Besonderes? Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer?", so Rattay gegenüber science.ORF.at.

Letztlich sei es der Stolz des Menschen, der ihn daran hindert zuzugeben, dass Computer schon heute viele Dinge genauso gut oder besser machen können als er selbst.
Gut bei Memory, schlecht bei Bildverarbeitung
Die Entwicklung der Computer in den vergangenen Jahren - die Zuwächse an Geschwindigkeit und Memory-Kapazität sowie die Integrierung von Zufallskomponenten - habe dazu geführt, dass Computer mittlerweile viele Dinge genauso entscheiden können wie der Mensch.

"In manchen Bereichen sind sie ihm sogar überlegen - etwa, was Gedächtnisfunktionen betrifft. In anderen sind sie noch nicht so weit: z.B. die Bildverarbeitung von komplexen Landschaften."

Hier sei der Mensch dem Computer noch "um den Faktor hundert" voraus, aber auch das werde sich in den nächsten fünf Jahren geben.
Kontext immer wichtiger für Spracherkennung
Nicht gehalten wurden bisher die Versprechungen, was Spracherkennung und ihre Verarbeitung betrifft. Das liegt nach Ansicht von Rattay an der mangelnden Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs beim Programmieren.

"Wenn ein Mensch schlecht hört und beim Frühstücken gerne ein Stück Butter haben will, wird er stattdessen nicht 'Kutter' verstehen. So ähnlich ist auch der Weg, auf dem sich die Programme der Spracherkennung befinden: Es wird zunehmend der Kontext integriert, in dem sie sich befinden", erklärt Rattay. Zeithorizont für das glückliche Gelingen laut dem Experten: die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Roboter für die Altenbetreuung
Ein nahe liegendes Beispiel für den Einsatz von derartig kontext-sprachbegabten Computern sieht Rattay in der Alten- und Pflegebetreuung. "Die entsprechenden Programme oder Roboter müssten nichts superschlau sein, sondern die konkreten Bedürfnisse z.B. von Alzheimer-Patienten befriedigen."

In Japan - einer Gesellschaft, die mit dem Problem der "Überalterung" der Gesellschaft noch mehr zu kämpfen habe als Europa - werde sehr viel in die Richtung geforscht, da gebe es bereits Betreuungsroboter zur Betreuung von Bettlägrigen.
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Neue KI: Intelligenz ist körperlich
Von einer Tagung prominenter KI-Forscher in der Schweiz berichtete vor kurzem die "Neue Zürcher Zeitung". Plädiert wurde dabei für eine "neue KI", die die Vorstellung hinter sich lässt, wonach "intelligentes Verhalten eine Rechenaufgabe sei, bei der eine Zentraleinheit Symbole oder Regeln, die die Außenwelt abbilden, manipuliert".

Diese Vorstellung sei typisch für die "good old fashioned AI (GOFAI)". Die "neue KI" betont die Wichtigkeit von Körpern, an den die Intelligenz gebunden ist. Wichtige Vertreter dieser Richtung sind Rolf Pfeifer von der Universität Zürich und Rodney Brooks vom MIT.

"Intelligenz ist körperlich", sagte Pfeifer der NZZ, "und um sie zu verstehen, hilft es, Roboter zu bauen. Aber ich will nicht einfach die Natur nachbauen, ich will die Prinzipien verstehen, die dahinter stecken."
->   Artikel in der NZZ (14.7.06)
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Intelligente Rasenmäher ...
Rasenmäher, die automatisch mähen, gibt es schon jetzt im Sonderangebot. Staubsauger, die wissen, wo sie saugen müssen - und etwa den Zettelberg neben dem Schreibtisch wohlweislich aussparen - stehen laut Frank Rattay ebenfalls kurz bevor. Schwieriger wird es, wenn es um komplexere Entscheidungssituationen geht.

Nach Ansicht von Rattay wären Computer z.B. in der Lage, U-Bahnzüge weit sicherer zu lenken als Menschen - wie der Unfall in Valencia vor knapp drei Wochen wieder einmal gezeigt habe. Der Mensch fürchte sich aber davor, Entscheidungen abzugeben.
... und Präsidenten?
Ein Extrembeispiel von Rattay: "Hätte ein 'menschlich denkender' Roboter statt George W. Bush die Entscheidungen getroffen, hätte es keinen Irak-Krieg gegeben. Wir vertrauen in derlei Fällen aber doch immer den Menschen, auch wenn das nicht immer die besten Konsequenzen nach sich zieht."

Dies sei schon beim Liftboy so gewesen, der früher die Aufzüge in den Häusern bedient hat. "Der konnte im Notfall auch nicht viel machen und hat normalerweise bloß 'den Knopf gedrückt'".
"Terminator-Zukunft" denkbar, aber unwahrscheinlich
Ob der Menschheit eine Zukunft a la "Terminator" blüht, bei der wir uns wild gewordener Maschinen erwehren müssen? Rattay hält es für denkbar, dass "sich im Zeitraum der nächsten 25 Jahre Maschinen nicht nur selbst vollständig reproduzieren können, sondern dabei auch eine ständige Verbesserung ihrer Qualität erreichen".

Computergesteuerte Fabriken seien schon heute sehr weit. Ein denkbares Szenario: "Ein Bagger füllt automatisch siliziumhältiges Material in einen Trichter und kooperiert dabei mit anderen Maschinen. Daraus entstehen neue Chips, die auf einem Fließband zusammengebaut werden zu neuen Maschinen, die ihrerseits neue Roboter bauen."

Technisch ist ein derartiger Kreislauf vorstellbar, die Frage bleibt aber: "Was haben wir Menschen davon?"
Was noch fehlt - die Phantasie?
Solange mit derartigen Produktionskreisläufen nicht der "Wille der Menschen" zum Ausdruck kommt, brauche man sich auch nicht vor ihnen zu fürchten, meint Rattay.

Zwar gebe es bei der Rationalisierung der Produktion zweifellos eine Tendenz zur Vollautomatisierung. Aber das, was vollautomatisch produziert wird, braucht noch immer ein Unikat, ein Vorbild (vom Käufer ganz zu schweigen).

Und das lässt zumindest auf eine Spielart der Intelligenz hoffen, die bisher dem Menschen alleine vorbehalten ist - die radikale Phantasie.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 19.7.06
->   50th Anniversary Summit of Artificial Intelligence, Schweiz
->   Good old fashioned AI (Wikipedia)
->   science.ORF.at-Host Frank Rattay
 
 
 
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01.01.2010