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Das Molekül, das uns Saures schmecken lässt  
  Die Geschmacksempfindung "sauer" ist - naturgeschichtlich betrachtet - ein Warnsignal vor dem, was man auch in der Chemie als "sauer" bezeichnet: nämlich ein niedriger pH-Wert, der etwa bei unreifen Früchten oder verdorbenen Lebensmitteln auftritt. US-Forscher haben nun herausgefunden, welcher Geschmacksrezeptor dem Gehirn die Meldung "iiiii - viel zu sauer!" übermitteln.  
Der Rezeptor namens PKD2L1 findet sich allerdings nicht nur in Geschmackszellen der Zunge. Er überwacht offenbar auch den Säuregrad der Rückenmarksflüssigkeit.
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Die Studie "The cells and logic for mammalian sour taste detection" von Angela L. Huang et al. erschien in "nature" (Bd. Vol 442, S. 934-8; doi:10.1038/nature05084).
->   Abstract
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Vier plus eins
Süß, sauer, salzig, bitter - diese vier Geschmacksempfindungen haben wir bereits in der Schule gelernt. In den letzten Jahren setzte sich die Ansicht durch, dass man die Liste der großen Vier noch um ein fünftes Mitglied erweitern muss: nämlich um die Qualität umami, die Empfindung von Natriumglutamat - eine Substanz, die etwa in Geschmacksverstärkern, aber auch in Tomaten und Hartkäse vorhanden ist.
Spezifität im Kleinen
Falsch ist indes die noch immer verbreitete Darstellung, der zufolge wir etwa nur mit der Zungespitze Süße und nur mit den Zungenseiten Saures wahrnehmen können. Wahr ist hingegen, dass die ganze Zunge schmeckt, was im Essen steckt. Denn Geschmacksknospen sind keineswegs einfach gepolt, sondern komplexe Organe, die auf mehr als nur eine Geschmacksqualität ansprechen.

Dennoch gibt es auf der Ebene der chemischen Sinne - sprich: auf jener der verantwortlichen Rezeptoren - eine strenge Spezialisierung.

Wie ein Team um Charles Zuker vom Howard Hughes Medical Institute in den letzten Jahren gezeigt hat, werden zumindest die Qualitäten süß, bitter und umami von hochselektiven Rezeptoren erkannt und an das Nervensystem weitergeleitet. Deswegen vermuteten die US-Forscher, dass das auch bei den restlichen beiden Qualitäten der Fall sein könnte.
Suche nach einem Protein
Diese Hypothese überprüften die Forscher um Zuker nun bei sauren Reizen. Und ihre Arbeit ist ein Lehrstück dafür, wie man mit klugem Einsatz von Methoden aus der Bioinformatik, Genetik und Tierversuchen zu klaren Antworten kommen kann.

Zu Beginn der Fahndung nach dem mutmaßlichen Sauer-Rezeptor sah man sich mit der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen konfrontiert: Rezeptoren, die chemische Eigenschaften von Substanzen erkennen, sitzen normalerweise in Membranen. Weswegen Zuker und Kollegen nach so genannten Transmembranproteinen im Erbgut der Maus Ausschau hielten. Allerdings gibt es davon äußerst viele, nämlich 10.000.

Um den Kreis der Kandidaten einzuengen, filterten die US-Forscher zunächst jene heraus, die nur in einer kleinen Zahl von Geweben auftreten - inklusive der Zellen in der Zunge. Das führte zu einer 900 Proteine umfassenden Kandidatenliste.
Kandidat entdeckt
Schritt zwei auf der Suche nach dem Sauer-Rezeptor bestand in der Anwendung einer Methode namens RT-PCR, mit der die Aktivität einzelner Gene in einem Gewebe bestimmt werden kann. Wie sich herausstellte, waren nur 30 Proteine der Kandidatenliste in Geschmackszellen aktiv.

Eines davon war der Rezeptor PKD2L1, der mit einer Molekülfamilie verwandt ist, die Ionen in Zellen befördern bzw. diese aus ihnen heraustransportieren. Für die These, dass es sich dabei tatsächlich um den gesuchten Rezeptor handeln könnte, sprachen jedenfalls die bisherigen Forschungsergebnisse.

Denn PKD2L1 war in keiner der bereits zuvor identifizierten Zellen vorhanden, die selektiv auf süß, bitter oder umami ansprechen - was freilich noch keinen Beweis darstellte.
Gentech-Mäuse bestätigen Vermutung
Diesen erbrachten Zuker und Kollegen, indem sie gentechnische veränderte Mäuse kreierten, die in ihrem Körper das Diphterie-Toxin produzieren - und zwar nur in jenen Zellen, die gleichzeitig auch das Protein PKD2L1 herstellen. Resultat des gefinkelten Eingriffs: Die PKD2L1-hältigen Zellen starben ab, alle anderen blieben unbehelligt.

Versuche, bei denen die von der Zunge abgehenden Nervensignale überprüft wurden, zeigten auch, dass die Tiere nach wie vor süß, salzig, bitter und umami schmecken konnten. Nur bei saueren Reizen blieben die Nervenzellen stumm. Selbst wenn extrem saure Lösungen mit einem pH-Wert von 2 auf die Zunge der Tiere getröpfelt wurde, entstand nicht die geringste Reaktion durch Geschmackszellen.

"Durch die Tötung der Zellen waren die Mäuse völlig unfähig, Saures zu schmecken. Das spricht dafür, dass diese Zellen die Sensoren für sauren Geschmack sind und dass dazu sonst kein anderer Zelltyp imstande ist", so Zuker.
Sauer-Rezeptoren im Rückenmark
Interessanter Weise entdeckten die Forscher den Rezeptor auch in Nervenzellen des Rückenmarks. Diese kontrollieren dort offenbar den Säuregehalt der Gewebsflüssigkeit, denn sie ließen sich durch künstliche Säurezugaben erregen. Das könnte wiederum erklären, wie es der Körper schafft, die Körperflüssigkeiten zu überwachen und auf physiologisch konstantem Niveau zu halten.

Das nächste große Forschungsprojekt wollen die Forscher vom Howard Hughes Medical Institute allerdings der letzten Leerstelle auf der Rezeptor-Landkarte des Geschmacks widmen: Salzigem.

[science.ORF.at, 24.2.06]
->   Website von Charles Zuker
->   Geschmackssinn - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010