News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Erhebung: Genitalverstümmelung in Österreich  
  Genitalverstümmelung ist kein Problem einzelner afrikanischer Staaten, die Beschneidung von Mädchen betrifft auch junge Frauen in Österreich: 250 Fälle wurden bisher nachgewiesen.  
Das Gesundheits- und Frauenministerium hat versucht, Zahlen über diese grausame Tradition zu erheben: Die diesbezüglich Daten sind dürftig, Schätzungen zufolge sind in Österreich viel mehr als 250 Frauen betroffen.
130 Millionen Opfer weltweit
Lebenslang Schmerzen, körperliche wie seelische ¿ unter dem Begriff "Genitalverstümmelung" versteht man das Beschneiden von Klitoris und oder Schamlippen, zum Teil auch das Zusammennähen der Schamlippen: Weltweit werden 130 Millionen Opfer vermutet, vor allem Frauen in Nigeria, Ägypten und Äthiopien. International wird diese Praxis als "Female genital mutilation" (FGM) bezeichnet.

In Österreich schwanken die Schätzungen zwischen 2.000 und 8.000 - Frauen, die aus afrikanischen Staaten nach Österreich gekommen sind. Gesundheits- und Frauenministerin Maria Rauch-Kallat schätzt die Zahl aufgrund der Ergebnisse der heute präsentierten Umfrage deutlich niedriger. Die Studie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer und UNICEF Österreich durchgeführt.
->   Female genital mutilation - WHO
Österreich: Zumindest 250 Betroffene
Für die Studie wurden Angaben von 415 Gynäkologen und Kinderärzten ausgewertet sowie von 130 Spitälern. (Verschickt wurden vom Ministerium übrigens deutlich mehr Fragebögen.) Demnach lässt sich an zumindest 250 Patientinnen frühere Genitalverstümmelung nachweisen.

Drei Viertel der Frauen stammen aus Somalia und Äthiopien; die meisten sind zwischen 19 und 34 Jahre alt. 57 befragte Frauen- und ein Kinderarzt wurden in der Ordination von einer betroffenen Frau aufgesucht. Ebenso 21 Spitäler.
Hier zu Lande nicht praktiziert?
Die Studie lasse den vorsichtigen Schluss zu, dass in Österreich keine Genitalverstümmelung durchgeführt werde bzw. nicht von hier zugelassenen Ärzten, so Ministerin Rauch-Kallat.

Den Vorwurf der Blauäugigkeit weist sie zurück und verweist im Ö1-Mittagsjournal darauf, dass keines der 250 bestätigten Opfer Arzt oder Spital wegen Komplikationen nach einer Verstümmelung aufgesucht hat (sondern z.B. im Zuge einer Schwangerschaft oder Entbindung):

"Dass es nie Komplikationen gegeben hätte, ist eher unwahrscheinlich. Ich habe die andere Form der Schlussfolgerung offen gelassen: nämlich die, dass Patientinnen, die Komplikationen haben, dann trotzdem nicht zum Arzt gebracht werden - aus Angst vor der Bestrafung."
Gesetzeslage in Österreich
In Österreich ist Genitalverstümmelung verboten und wird als Körperverletzung geahndet, auch wenn sie im Ausland (z.B. im Urlaub) durchgeführt wird: Weder können Eltern für ihre Kinder noch eine volljährige Frau selbst einwilligen.

Der Täter (also der Arzt) wird jedenfalls strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Auch die Frau selbst macht sich strafbar - allerdings habe es noch keine derartigen Fälle in Österreich gegeben; eine Gesetzesänderung werde auch nicht erwogen, so Rauch-Kallat.

Eltern sind laut Ministerium in Österreich bisher noch nicht vor Gericht gestanden; bekannt sei lediglich der Fall eines Arztes, der aber frei gesprochen wurde.
Details der Befragung
14 Prozent der befragten niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen oder Kinderärztinnen und -ärzte haben bereits mindestens einmal in ihrer Ordination ein an den Genitalien verstümmeltes Mädchen oder Frau behandelt. (In absoluten Zahlen: 57 Ärzte)

Je zwei Ärztinnen bzw. Ärzte in Wien und in der Steiermark wurden schon gefragt, ob sie eine Genitalverstümmelung durchführen, vier Ärztinnen oder Ärzte gaben an, von einer Genitalverstümmelung von Mädchen in Österreich gehört zu haben.

16 Prozent der Krankenanstalten, die den Fragebogen retourniert haben, gaben an, dass bei ihnen verstümmelte Mädchen oder Frauen behandelt wurden. (In absoluten Zahlen: 21) 3 Spitäler haben 5 bis 20 Patientinnen dokumentiert, 18 Spitäler 1 bis 5 Patientinnen.

Drei Viertel der Opfer stammten aus Somalia und Äthiopien. Die Herkunft der restlichen Patientinnen war nicht bekannt.

79 Prozent der befragten Krankenanstalten befürworten es, das Thema "Genitalverstümmelung" in die Curricula der medizinischen Aus- oder Weiterbildung aufzunehmen.
Konsequenzen: Leitfaden, Curriculum
Ministerin Rauch-Kallat bezeichnet weibliche Genitalverstümmelung als "Form der traditionsbedingten Gewalt", als "unheilvolle Tradition", die zu verhindern sei.

Nun will das Gesundheitsministerium unter anderem ein Expertengremium einsetzen, das einen Leitfaden für Ärzte und medizinisches Personal erarbeiten soll, wie betroffene Frauen am besten betreut werden. Außerdem will das Ministerium mit der Ärztekammer verhandeln, das Thema Genitalverstümmelung in die Ausbildung aufzunehmen.

Die Forderung der Grünen, weibliche Genitalverstümmelung als Asylgrund anzuerkennen, schränkt Rauch-Kallat ein: als alleiniger Asylgrund sei dies für sie nicht denkbar.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft, 30.8.06
...
Service: Anlaufstellen zum Thema FGM
Frauenservice-Hotline des Gesundheitsministeriums:
0800 20 20 11
Opfernotruf des Justizministeriums:
0800 112 112
...
->   NAHT - Network Against Harmful Traditions
->   Plattform gegen Gewalt in der Familie
->   Waris Dirie Foundation
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010