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Welteislehre: Zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft  
  Nach ihrem Selbstverständnis sind gerade Naturwissenschaften der Objektivität ihrer Erkenntnisse verpflichtet. Dass sie aber genauso von politischen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängig sind, beweist die lange Geschichte von "Pseudowissenschaften". Die "Welteislehre" etwa galt unter den Nazis als Wissenschaft und wurde danach auf die Müllhalde der Geschichte gekippt. Dass Pseudowissenschaften und Wissenschaften historisch immer wechselnden Zuschreibungen ausgesetzt sind, betont die Wissenschaftshistorikerin Christina Wessely anlässlich einer Tagung in einem Gastbeitrag.  
Die Welt aus Eis
Von Christina Wessely

Spätestens, als am 20. Juli 1969 Neil Armstrong und Edwin Aldrin den Mond betraten, war es gewiss: Der Erdtrabant bestand nicht aus Eis. Das hatte noch wenige Jahrzehnte zuvor der Maschineningenieur Hanns Hörbiger, Vater der Schauspieler Paul und Atilla Hörbiger, behauptet.

1894 hatte er dazu eine Theorie, die so genannte Welteislehre oder Glazialkosmologie, entwickelt, die besagte, dass das Universum zu großen Teilen aus gefrorenem Wasser zusammengesetzt sei.
Ein typisches Beispiel für "Pseudo/Wissenschaft"
Bild: Technisches Museum Wien
Hanns Hörbiger
(Bild: Technisches Museum Wien)
Was wissenschaftlich ist und welche Forscher und Verfahren nicht zu diesem Bereich gerechnet werden können, scheint in der Regel eindeutig festzustellen zu sein. Wer die etablierten Methoden der modernen Naturwissenschaften ablehnt, die eigenen Ideen dogmatisch vertritt oder ideologisch kontaminierte Wissenschaft betreibt, wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Außenseiter, als "Pseudowissenschaftler" bezeichnet.

Dabei finden sich in der Geschichte der Wissenschaften unzählige Beispiele, dass der Status einer Theorie als wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich längst nicht immer eindeutig bestimmbar ist und permanent wechseln kann.

Die Karriere der Welteislehre ist dafür geradezu idealtypisch. Sie zeigt auf bemerkenswerte Weise die spektakulären und überraschenden Wendungen, die sicher geglaubte Entwicklungen der Wissenschaftsgeschichte durchkreuzen.
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Workshop an der Uni Wien über "Pseudo-Wissenschaft"
Vom 30.11. bis 2.12. findet an der Universität Wien der Workshop "Pseudo-Wissenschaft. Konzeptionen von Nicht-/Wissenschaftlichkeit in der Wissenschaftsgeschichte" statt, eine Zusammenarbeit der Institute für Zeitgeschichte und Geschichte der Uni Wien sowie des DFG-Schwerpunktprogramms "Wissenschaft, Politik und Gesellschaft", gefördert von der Fritz Thyssen-Stiftung, Köln.
->   Programm der Veranstaltung (pdf-Datei)
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Für Wissenschaft ein "Hirngespinst"
Dass die obskure Eis-Theorie des bis dato völlig unbekannten Ingenieurs Hörbiger irgendwo auf Zustimmung stoßen könnte, galt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst als ausgeschlossen - zu fantastisch und undurchdacht klangen dessen Ideen.

Von den naturwissenschaftlichen Koryphäen wurde Hörbiger eindeutig signalisiert, dass seine These den strengen Kriterien von wissenschaftlicher Objektivität nicht genüge. Das Urteil seitens der Wissenschaft war gesprochen, die Welteislehre als "unhaltbare Hypothese" und "gefährliche[s] Hirngespinst" klassifiziert.

An den Akademien und Universitäten müsste man nur noch darauf warten, dass der Hochstapler Hörbiger gleichsam "von selbst" in der Versenkung verschwand.
Aufstand der Laien gegen Experten
Es war die breite Öffentlichkeit, die entscheidend dazu beitrug, dass sich die Prognose der Gelehrten nicht erfüllen sollte. Nach der herben Niederlage, die das Urteil der Physiker und Astronomen der Welteislehre beschert hatte, versuchte Hörbiger, eine Koalition mit dem "begeisterungsfähigen Laienpublikum" einzugehen.

Dieses sollte von der Richtigkeit seiner Theorie überzeugt werden und die wissenschaftliche Welt so unter Druck setzen, dass die 'offizielle Naturwissenschaft' keine andere Wahl hätte, als sich mit der Glazialkosmogonie auseinanderzusetzen.
Triumph des "gesunden Menschenverstands"
Bild: Technisches Museum Wien
Ein Buch zur Welteislehre
(Bild: Technisches Museum Wien)
Um die Welteislehre allgemein bekannt zu machen, wurden Vereine und Zeitschriften gegründet, Bücherserien publiziert, Welteis-Filme und -Radiosendungen produziert sowie unzählige Vorträge veranstaltet.

Der Plan ging auf: Mitte der 1920er Jahre hatte die Welteislehre Tausende von Anhängern in Deutschland und Österreich, die von der "Einfachheit" und "Anschaulichkeit" der Hörbigerschen Ideen fasziniert waren. Ganz offensichtlich hatten sich die Erwartungen des wissenschaftlichen Establishments, mit der Bezeichnung der Welteislehre als "pseudowissenschaftlichem Unsinn" ein unwiderrufliches Urteil über sie gesprochen zu haben, und damit ihre Karriere ein für alle Mal beendet zu haben, so nicht erfüllt.

Der "gesunde Menschenverstand" der breiten Öffentlichkeit stand gegen die Meinung der Fachleute, die ihre Expertise in Sachen wissenschaftlicher Objektivität ins Feld führten. Der Streit darüber, was wissenschaftlich war und was nicht, war keineswegs entschieden.
Im Nationalsozialismus beliebt
Mit dem Tod des "Welteis-Meisters" Hanns Hörbiger 1931 nahm die Popularität seiner Ideen vorerst rapide ab. Schließlich wandten sich die verbliebenen Mitarbeiter den entstehenden nationalsozialistischen Forschungsorganisationen zu, um der Welteislehre dadurch den lang ersehnten akademischen Erfolg zu verschaffen.

1937 gab Heinrich Himmler den Auftrag, im Rahmen des Ahnenerbes, der NS-Pflegestätte für naturwissenschaftliche Forschung, Welteis-Forschungen zu betreiben und stellte die Unternehmung unter seinen persönlichen Schutz.
Befohlene Wissenschaftlichkeit
Es bedurfte nicht länger einer breiten Massenöffentlichkeit, die Hörbigers Thesen in ihren Vereinen und Gesellschaften diskutierte und verbreitete.

Bestimmend war nun eine politische Öffentlichkeit, die zwar durch Erlässe nicht wissenschaftliche Wahrheit erzeugen konnte - Theorien, die bis dato von Experten als un- oder pseudowissenschaftlich qualifiziert worden waren, konnten nun allerdings durch Befehl 'von oben' im akademischen Diskurs verankert werden.

Als sich schließlich auch Hitler selbst wiederholt zur Welteislehre bekannte, hatten die jahrzehntelangen Diskussionen um die Theorie ein - vorläufiges - Ende. Die Welteislehre schien im Gebiet der Wissenschaften angekommen zu sein.
Nach Nazis "kein Eis mehr auf dem Mond"
Bild: Technisches Museum Wien
Zum Kampf um die Welteislehre
(Bild: Technisches Museum Wien)
Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete im Wesentlichen auch das Ende der Geschichte der Welteislehre. War sie wenige Jahre zuvor noch offiziell protegierte Wissenschaft gewesen, galt sie fortan als nationalsozialistische Pseudowissenschaft.

Erneut hatte sie die Seiten im Spiel um Wissenschaft und ihr scheinbares Gegenteil, die Pseudowissenschaft, gewechselt.

An ihrem Beispiel lässt sich zeigen, wie sehr jede Theorie von Bedingungen ihres Entstehens, von der jeweiligen politischen, sozialen, kulturellen Situation abhängig ist.

Der Frage nach der Pseudo/Wissenschaftlichkeit einer These ist daher kaum durch eindeutige, objektive Definitionen beizukommen, sondern muss stets die historische Perspektive berücksichtigen, aus der heraus solche Zuschreibungen gemacht wurden.

[27.11.06]
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Über die Autorin
Christina Wessely, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Universität Wien und postdoctoral research fellow am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Sie studierte Geschichte, Kulturwissenschaften und Germanistik in Wien, Berlin und London.
->   Christina Wessely (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte)
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->   Welteislehre (Wikipedia)
 
 
 
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01.01.2010