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Neue Bücher zur Philosophie des Geistes  
  Wie kommt der Geist in die Materie? An dieser Frage arbeiten sich Neurobiologen und Philosophen seit Generationen ab. Zwei neue Bücher informieren über den aktuellen Stand der Diskussion.  
Pflichtlektüre mal zwei
Wie es sich für eine boomende Wissenschaftsdisziplin gehört, erschienen im letzten Jahr dutzende Bücher und vermutlich hunderte Zeitschriftenartikel zum Thema Neurophilosophie. Auf jeden Fall so viele, dass man nicht alle lesen konnte. Zwei Erscheinungen im reichen publizistischen Feld ragen allerdings heraus:

Da ist zum einen der vom deutschen Philosophen Thomas Metzinger herausgegebene "Grundkurs Philosophie des Geistes", der sich als Lehr- und Aufbautext für interessierte Laien, insbesondere aber für Philosophiestudenten versteht.

Metzinger, der als einer der wenigen deutschen Neurophilosophen auch international wahrgenommen wird, hat bereits vor einigen Jahren gezeigt, wie ein Sammelband zum Thema aussehen soll: 1995 publizierte er "Bewusstsein - Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie" zu dem die Größen des Faches - u.a. David J. Chalmers, Patricia S. Churchland, Daniel C. Dennett und Colin McGinn - Aufsätze beisteuerten.

Im neuen Sammelband finden sich ebenfalls große Namen, nur hat Metzinger diesmal Aufsätze kompiliert, die bereits anderswo erschienen sind. Und zwar nicht irgendwelche Aufsätze, sondern absolute Klassiker des Metiers.
"Phänomenales Bewusstsein"
Im ersten des auf drei Bände angelegten Grundkurses steht das Thema "phänomenales Bewusstsein" im Vordergrund, also das, was wir alltagssprachlich als subjektives Erleben bezeichnen. Ein Beispiel dafür: Wenn wir einen braunen Kaffeebecher betrachten, dann haben wir bei der Wahrnehmung seiner Farbe eine ganz bestimmte Empfindung, die qualitativ unterschiedlich ist von der physikalischen Beschreibung bestimmter Wellenlängen des Lichts.

Ähnliches gilt freilich auch für andere Sinnesmodalitäten, bzw. allgemeiner: Empfindungen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass sie erst durch die Innenperspektive des Beobachters entstehen.

Sie haben es alle an sich, dass sie sich "irgendwie anfühlen" - und sich somit gegen eine restlose Vereinnahmung der Wissenschaften sträuben, für die Dinge unabhängig vom Beobachter existieren. (Denn: Ein Planet ist auch dann da, wenn niemand durch ein Fernrohr blickt. Bewusstsein hingegen ist nur dann da, wenn es jemanden gibt, der es gerade hat.)
Qualia - Atome des Bewusstseins

Für Neurophilosophen sind diese Empfindungen quasi Atome des sinnlichen Bewusstseins - sie sprechen in diesem Zusammenhang von "Qualia", bzw. in der Einzahl vom "Quale". Der Zugang zu diesen Qualia ist bei den versammelten Autoren allerdings ganz unterschiedlich.

Der US-Philosoph Thomas Nagel etwa argumentiert in seinem Aufsatz "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?" aus dem Jahr 1974, dass der physikalische Blick auf das Hirn notgedrungen das Wesentliche übersieht - und daher die eigentliche Essenz des Geistigen nie entdecken kann.

Am anderen Ende der Skala möglicher Positionen befindet sich beispielsweise sein Fachkollege Daniel Dennett, der in seinem Beitrag "Qualia eliminieren" (1988) die widerständigen Bewusstseinsatome einfach loswerden möchte - frei nach dem Motto: Was nicht wirklich existiert, verursacht auch keine philosophischen Probleme.

Neben den Aufsätzen hat Metzinger auch Einführungskapitel zu den jeweiligen Themenblöcken geschrieben und weiterführende Literatur angegeben, die dem Bachelor-, Master- und Promotionsniveau auf diesem Gebiet entspricht. Wer keine Zeit oder kein Geld für den Besuch eines einschlägigen Literaturseminars an der Uni hat, wird mit diesem Band ohne Zweifel guten Ersatz finden.
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"Grundkurs Philosophie des Geistes 1. Phänomenales Bewusstsein" von Thomas Metzinger (Hrsg.) erschien 2006 beim mentis Verlag.
->   Mehr zum Buch - mentis
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"Alle Theorien sind falsch"
John Searle, Philosoph an der Berkeley University, hat bereits einige Bücher über den menschlichen Geist geschrieben. Am berühmtesten ist vermutlich der Band "The rediscovery of the mind" aus dem Jahr 1992, in dem er zum Generalangriff auf sämtliche kursierenden neurophilosophischen Theorien ausholte.

Und so ist es auch diesmal in "Mind", das in der deutschen Übersetzung "Geist" heißt: "Fast alle Werke, die ich gelesen habe, übernehmen dieselbe Gruppe historisch überlieferter Kategorien, um [...] Bewusstsein zu beschreiben", schreibt Searle mit der für ihn typischen Angriffslust:

"Diese Gruppe von Kategorien und die Voraussetzungen, die die Kategorien wie schweres Gepäck mitschleppen, werden überhaupt nicht in Frage gestellt und halten die Diskussion am Laufen. [...] Das hat zur Folge, dass die Philosophie des Geistes unter den zur Zeit gängigen Philosophiethemen einzigartig darin ist, dass ihre berühmtesten und einflussreichsten Theorien alle falsch sind."
Vorbelastetes Vokabular
Damit ist auch das Programm des Buches angezeigt: Feststellen, was alles falsch gelaufen ist an den bisherigen Diskussionen, und das Präsentieren einer eigenen Lösung.

Der erste Teil der Aufgabe wird von Searle vor allem in didaktischer Hinsicht brillant gelöst: Die klassischen Positionen - etwa der Dualismus, der Materialismus, der Computationalismus und alle anderen "Ismen" - bekommen alle ihr Fett ab, und das wohl zu Recht.

Searle zeigt, dass sich viele Diskutanten deswegen in Sackgassen manövriert haben, weil sie ein unzulängliches und historisch vorbelastetes Vokabular verwendetet haben bzw. immer noch verwenden.

Im Wesentlichen geht das auf Descartes Standpunkt zurück, demzufolge Geist und Materie in einem Ausschließungsverhältnis stehen: Entweder ist etwas geistig, dann kann es nicht materiell sein - oder etwas ist materiell, dann aber nicht geistig.
Probleme hat man - oder auch nicht

Soweit muss man Searle, schon aufgrund seines suggestiven Stils, folgen. Bei der von ihm angebotenen Lösung bzw. eigentlich: Auflösung des Rätsels des Geistigen wird vermutlich nicht jeder so ohne Weiteres zustimmen.

Searle zufolge ist der Geist nichts anderes als eine Systemeigenschaft des Gehirns, nichts Metaphysisches, das in prinzipiellen Konflikt mit den Naturwissenschaften gerät, aber auch nichts, das sich reduzieren lässt durch die Beschreibung von elektrochemischen Prozessen an Nervenzellen.

Anders ausgedrückt: Die Qualia hängen hartnäckig an der Innenperspektive und man darf sich nicht wundern, dass man nichts davon erfährt, wenn man sie quasi von außen betrachtet. Das ist im Wesentlichen der Standpunkt, den auch die meisten Neurobiologen einnehmen.

Und damit ist eigentlich schon das Entscheidende gesagt. Neurobiologen fragen sich meist nur, wie Bewusstsein entsteht (eine Frage, die schwierig genug ist), haben aber sonst kein Problem. Philosophen empfinden jedoch schon die Tatsache, dass das Gehirn eine Eigenschaft hervorbringt, die wesentlich vom Beobachter abhängig ist, als massives Problem. Und das ist wohl weniger eine Frage des Vokabulars, sondern eher eine Frage der Haltung.

Robert Czepel, science.ORF.at, 22.12.06
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"Geist. Eine Einführung" von John R. Searle erschien 2006 im Suhrkamp Verlag. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Sibylle Salewski.
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->   Thomas Metzinger - Uni Mainz
->   Joahn Searle - Berkeley University
 
 
 
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01.01.2010