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Die Ästhetik der Nachhaltigkeit  
  Seit der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 prägt der Begriff "Nachhaltigkeit" die Umweltdiskussion. Damit wird die ökologische Verantwortung für künftige Generationen betont. Inzwischen werden auch neue Ansätze in der Architektur, der Stadtplanung und im Produktdesign von diesem Prinzip motiviert.  
Ansprechend und ästhetisch
Die Frage ist nicht länger, "Wie chic sind Birkenstock, Jute und Co?", sondern: "Welche Produkte sind nachhaltig ansprechend, das heißt sowohl ästhetisch, als auch ökologisch?" Gibt es Design, gibt es Rohstoffe, gibt es Gebäude, die zeitlos "schön", ökologisch unbedenklich und wiederverwertbar sind? Womöglich ökonomisch erfolgreich und auch noch politisch korrekt?
Celebration- eine nachhaltige Fiktion?
20.000 Menschen leben in Celebration City nahe Orlando. Die Disneystudios haben das Idyll äußerlich einer Kleinstadt aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden. Bewohner können zwischen vier Fertigteilhaustypen wählen und drei Variationen von Schaukelstühlen.

Die Einrichtung ist genauso streng vorgegeben wie der freundliche Umgang mit den Nachbarn. In "Frontdoor friendlyness" werden zukünftige Einwohner ebenso geschult wie im Verstecken des Mülls. Das ästhetische Diktat ist grenzenlos.
Und die Ästhetik?
Celebration zelebriert die Verschränkung von Nachhaltigkeit und Ästhetik, zumindest nach amerikanischen Maßstäben.

Das Bedürfnis vieler Amerikaner nach Dauerhaftigkeit und Schönheit, gepaart mit Luxus und "unzerstörter" Natur aus zweiter Hand, dürfte die Herzeigestadt "Celebration" jedenfalls stillen.

Die Hersteller versprechen "In Celebration werden sich auch ihre Enkelkinder noch wohl fühlen, denn Celebration bleibt wie es ist, einfach perfekt".
Ökobewegung ade?
In Europa ist man sich über den Begriff der Nachhaltigkeit noch uneins, recycelbare Disneywelten lassen nur die wenigsten als gelungene Verbindung zwischen Ökobewußtsein und Ästhetik durchgehen.
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Nachhaltigkeit
Der Begriff "Nachhaltigkeit" stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und sollte garantieren, dass aus einem Wald nicht mehr herausgeschlagen wird, als wieder nachwächst, so der Salzburger Umweltpsychologe Alexander Keul.
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Nachhaltigkeit - inflationär?
Heute steht Nachhaltigkeit für "alles und jedes" und soll vor allem die Lücke schließen, die das gewandelte Interesse an der Grünbewegung hinterlassen hat.

Viele Logos und Slogans der alten Ökobewegung scheinen vergessen. Die Anti-Atom-Sonne "Atomkraft? - nein Danke" klebt auf keiner Heckscheibe mehr und "Jutte statt Plastik" gilt nicht mehr als politisches Outing.
Lebendiger Protest
Den Protest aber gibt es noch: Tausende Menschen marschieren seit Monaten an Österreichs Grenzen gegen das tschechische AKW Temelin auf.

Nur eben weniger lautstark und ohne eindeutigen ideologischen Rückhalt. Der Jargon der Natürlichkeit "Zurück zur Natur!" - dieser Wunsch wurde als Mythos, als unwiederbringliches Ideal entlarvt.
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Die Ästhetik der Nachhaltigkeit
Seit der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 ist das Wort "Nachhaltigkeit" in aller Munde, auch wenn die wenigsten mit dem Begriff etwas anfangen können. Der Terminus gilt als politisch absolut korrekt. Doch geht es in Punkto Nachhaltigkeit längst nicht mehr nur um Ökobewusstsein - sondern auch um Ästhetik.
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Die Ästhetik als Verpackung
Für den Berliner Stadtplaner Werner Sewing ist Nachhaltigkeit auch ein Versuch, das ökologische Denken mit der Entwicklung des Marktes zu versöhnen. Ein Versuch in dem auch die Ästhetik mitmischen soll.

Nachhaltig bauen hieße folglich ultimativ bauen: vorrausschauend, ressourcenschonend, zeitlos schön und zeitgeistig, sozial bauen und flexibel, langlebig und wiederverwertbar. Die Architekten sollen bloß die Verpackung liefern.
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Beispiel Stahlwerk
Das stillgelegte Stahlwerk in Duisburg, das jetzt von Sträuchern und Bäumen überwuchert wird, galt noch vor Jahren als Paradebeispiel für nachhaltige Raumnutzung. Der Abriss des Stahlwerks hätte die Umwelt und die Staatskasse mehr belastet, als das Werk einfach stehen zu lassen. Jetzt holt es sich die Natur wieder zurück, ohne die kulturellen Spuren auszulöschen. Sogar ein eigener Förster streift durch die "Stahlwälder". Doch nicht einmal dieses Projekt ist strengenommen nachhaltig: Die städtische Jugend kann dem morbiden Charme des stillgelegten Stahlwerks nichts abgewinnnen.
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Nachhaltiges Design?
Nicht nur Architekten, sondern auch viele Designer und Modeschöpfer, wie die Leiterin der deutschen Modeschule Sieglinde Ziesler, sträuben sich den Auftrag "Nachhaltigkeit" zu erfüllen - politisch korrekt hin oder her.

Sie wehren sich dagegen, ökologische Ansprüche in ihre Kreationen einzuweben und das Erhabene und Schöne mit einem simplen "Nachhaltigkeitspickerl" zu versehen. Da sei die politische Vereinnahmung nicht mehr weit, so wird befürchtet.

Vor allem in Punkto Design wollen sich viele Designer nicht auf Nachhaltigkeit festlegen lassen. Nachhaltige Materialien zu verwenden, sei da schon etwas anderes.
Nachhaltige Materialien
Im Unterschied zur Ökobewegung sind aus heutiger Sicht gerade jene Materialien nicht nachhaltig, die lange Zeit einen ökologisch tadellosen Ruf genossen haben: nämlich Baumwolle und Leinen. Denn "natürlich" ist nicht gleich nachhaltig.
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Verwendung von Pestiziden
Zur Produktion von herkömmlicher Baumwolle und Leinen sind unglaubliche Mengen an Pestiziden notwendig, die Arbeiter bekommen Billiglöhne, oft werden Kinder eingesetzt, die Färbemittel sind hochgiftig.
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Siegeszug der Synthetik
Die Tochter eines der größten Konfektionäre, Brita Stahlmann, hat einen der letzten Versuche unternommen, diese Fasern für Mensch und Umwelt schonend zu gewinnen. Seitdem ist es ruhiger geworden um die Naturfasern.

Der Siegeszug der Synthetik ist für Sieglinde Ziesler, die Leiterin der deutschen Modeschule unaufhaltsam. Auch wenn der Wunsch nach Natürlichkeit, also natürlichen Materialien bestehen bleibt. Sie werden in westlichen Ländern erzeugt und kontrolliert und sind zu 100 Prozent recyclebar.

Doch wer denkt an die Folgen für die Weltwirtschaft und für die Bauern in Indien und Mittelamerika? Werde Sie dem europäischen Ideal nachhaltigen Wirtschaftens geopfert?
Nachhaltige Praxis
Das Tragen von Birkenstocksandalen allein macht noch keinen Grünen aus, sowenig wie der schicke High-Tech Anzug ein Garant für Nachhaltigkeit ist.

Das Problem des Umweltschutzes liegt noch immer ungelöst im Detail. Und die Kriterien für Nachhaltigkeit werden bei der Mülltrennung je nach Definition wohl nicht immer zur Gänze erfüllt.
Ästhetik der Biotonne
Manch einer könnte etwa die ästhetische Komponente der Biotonne vermissen. Der Aufkleber "Ich fahre nachhaltig" wurde jedenfalls noch nirgends gesichtet.

Für diesen abstrakten Begriff und seine vielen Inhalte fehlt noch ein ausreichend reduziertes und damit prägnantes Bild. Der Slogan "Nachhaltigkeit - Öffne dich!", wäre womöglich ein Anfang.

Martha Brinek, Ö1-Salzburger Nachtstudio
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->   Radio Österreich 1
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Mehr zum Thema "Nachhaltigkeit" in science.orf.at:
->   Soziale Nachhaltigkeit - Schwerpunkt ohne Gewicht
->   Nachhaltigkeit: Nur ein Schlagwort?
 
 
 
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01.01.2010