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Wie das Gehirn in die Zukunft sieht  
  Der Mensch besitzt die einzigartige Fähigkeit, sich sein Selbst und sein Verhalten in der Zukunft vorzustellen. Mit Hilfe von Gehirn-Scans ist es US-amerikanischen Forschern nun gelungen, jene Regionen sichtbar zu machen, die das mentale Bild von einem selbst in der Zukunft erzeugen.  
Zwei Gehirnregionen scheinen dabei eine zentrale Rolle zu spielen: Eine Region ist auch bei der mentalen Simulation von Bewegungen aktiv, die zweite dient gleichzeitig der Vorstellung von räumlichen Zusammenhängen. Das berichten Karl Szpunar und sein Team von der Washington University.
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Der Artikel "Neural substrates of envisioning the future" von Karl K. Szpunar, Jason M. Watson und Kathleen B. McDermott ist in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences/PNAS" (Bd.103, 2. Jänner 2007) erschienen.
->   Studie (sobald online)
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Menschliche Fähigkeit zum Vorausdenken
Menschen können ihr Verhalten steuern, indem sie mögliche zukünftige Konsequenzen vorwegnehmen. Dabei antizipieren, planen und kontrollieren sie potenzielle Handlungen.

Zu dieser Art von zukunftsgerichteten Gedanken gibt es bereits einige Untersuchungen, die nahe legen, dass vor allem Regionen des Frontallappens daran beteiligt sind.
Das eigene Selbst in der Zukunft
Bisher wenig Forschung gab es hingegen zu Zukunftsgedanken, die das eigene Selbst involvieren. Da dies aber einen großen Teil unseres alltäglichen Denkens ausmacht, entschlossen sich Szpunar und seine Kollegen, genau diese Form von "episodischen Zukunftsgedanken" zu untersuchen.

Um die dafür zuständigen Regionen zu isolieren, galt es geeignete Vergleichsaufgaben zu finden - nicht zuletzt deshalb, weil Personen, die an nichts Bestimmtes denken, oft über sich selbst in der Zukunft nachdenken.
Erinnerungen und Zukunftsgedanken
Die Probanden mussten drei unterschiedlichen Denkanweisungen nachkommen: Die erste Aufgabe war, sich sein Selbst bei einem zukünftigen Ereignis, wie etwa einem Geburtstagsfest, vorzustellen.

Bei der zweiten Aufgabe sollten die Versuchsperson an etwas bereits Erlebtes denken. Damit wollten die Forscher jene Regionen identifizieren, die für die Selbstdarstellung, nicht aber für die Zukunftsgedanken zuständig sind.

Aus vorangehenden Untersuchungen war bekannt, dass es bei diesen zwei Anordnungen voraussichtlich viele Überlappungen geben würde. Der Grund: Das episodische Gedächtnis wird vermutlich für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gebraucht.

Um diesen Fallstrick zu umgehen, wurde eine zusätzliche Kontrollaufgabe gestellt. Dabei waren episodische Vorstellungen ohne persönliche Beteiligung gefragt. Die Probanden sollten sich ein bekannte Persönlichkeit, nämlich Bill Clinton, bei einem lebensechten Ereignis vorstellen - ohne explizite Zeitangabe.
Regionen innerhalb und außerhalb des Frontallappens
Insgesamt konnte das Team um Szpunar ganze 23 Gehirnregionen identifizieren, die an den ersten beiden "persönlichkeitsrelevanten" Aufgaben beteiligt waren.

In der Folge wurden die Regionen in drei Untergruppen aufgeteilt: Jene, die bei den episodischen Zukunftsgedanken aktiver waren, jene, die bei den Erinnerungen aktiver waren, und die restlichen Bereiche, die keine unterscheidbare Aktivität zeigten.

Acht der Regionen arbeiteten besonders bei der Zukunftsaufgabe. Sie befinden sich teilweise auch außerhalb des Frontallappens, wo die meisten Aktivitäten schon früher untersuchter, die Zukunft betreffender Gehirnleistungen lokalisiert sind.
Imaginierte Körperbewegungen
Von diesen neu gefunden Regionen ist bekannt, dass sie normalerweise an simulierten, imaginierten Körperbewegungen beteiligt sind - angefangen bei einfachen motorischen Fingerbewegungen bis hin zu komplexen Aktionen des Körpers im Raum.

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass man für eine Vorstellung der Zukunft eine neue Sequenz von simulierten "Aktionsrepräsentationen" generieren muss, wohingegen vergangene Handlungen schon dargestellt und abgespeichert wurden.
Alte Bilder zur Vorstellung von Neuem
Weiters untersuchten die Forscher jene Regionen, die sowohl beim Erinnern als auch bei der Zukunftsvorstellung aktiv waren, nicht jedoch bei der unpersönlichen Kontrollaufgabe.

In älteren Untersuchungen zeigten diese Bereiche Aktivität bei autobiographischen Erinnerungsaufgaben oder bei der mentalen Navigation bekannter Routen.

Dies legt nahe, dass Zukunftsvorstellungen auf reaktivierten Repräsentationen der Vergangenheit beruhen. Immerhin sei es plausibel, dass man vertraute Bilder von bestimmten Orten oder Gegenständen verwendet, wenn man über die eigene Zukunft nachdenkt, so die Forscher.

[science.ORF.at, 2.01.07]
->   Magnetresonanztomographie (Wikipedia)
->   Karl Szpunar
->   Department of Psychology, Washington University
Mehr dazu in science.ORF.at
->   Wie verlässlich ist der Blick ins Gehirn? (11.12.06)
->   Gehirnbilder erklärt (12.7.01)
 
 
 
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01.01.2010