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"Männerfantasien": 65. Geburtstag von Klaus Theweleit  
  Mit seinem Buch "Männerfantasien" ist Klaus Theweleit 1977 berühmt geworden. Darin unternahm der Kulturwissenschaftler den Versuch, die Anziehungskraft des Faschismus auf die deutschen Männer psychoanalytisch zu erklären.  
Auch danach blieb er ein origineller Querdenker, der so unterschiedliche Themenfelder kombiniert wie Literatur, Feminismus und Fußball. Am Mittwoch (7.2.) wird Theweleit 65 Jahre alt.
Psychohistorie soldatischer Männer
Bild: Piper Verlag
Mit den "Männerfantasien", die auf seiner Doktorarbeit beruhten, hat er eine ganze Generation linker Studenten beschäftigt.

Darin schrieb er eine Art Psychohistorie "soldatischer Männer" - gemeint war jene Generation von Soldaten, die im Wilhelminischen Deutschland erzogen und im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden ist, und später zu einem überwiegenden Teil Nationalsozialisten wurde.

Um diese Entwicklung zu erklären, hat sich Theweleit mit den literarischen Dokumenten der Soldaten auseinandergesetzt - Briefe, Autobiografien, Romane etc.
Von Freud zum Anti-Ödipus
Im Mittelpunkt seiner Analysen stand dabei das Verhältnis der Männer zu Frauen, ihren Müttern, Schwestern, Krankenschwestern und anderen Objekten der Begierde.

Während er zu Beginn seines "Opus Magnum" - die beiden Bände haben zusammen rund 1.000 Seiten - noch mit klassischen Begriffen der Freudschen Psychoanalyse wie Inzest, Vatermord und Kastrationsangst hantiert, betont er später Motive, die vom "Anti-Ödipus" von Deleuze/Guattari und den Thesen Wilhelm Reichs stammen.
Angst vor dem Lebendigen - v.a. der Frau
Das Handeln der soldatischen Männer und Faschisten ist demzufolge geprägt von einer grundlegenden Angst vor den "Strömen des Unbewussten", vor der Sexualität, letztlich vor dem Lebendigen überhaupt.

Diese Männer-Angstfantasie sei ambivalent und strebe einerseits nach Verschmelzung mit den Objekten und andererseits nach ihrer Vernichtung, nicht zuletzt der physischen Liquidierung von Frauen.
Männliche Kunst braucht Frauenopfer
Auch in seinen weiteren Werken beschäftigte sich Theweleit mit dem Verhältnis der Geschlechter. So meinte er 1988 im "Buch der Könige", dass die Produktion männlicher Kunst auf weiblichen Menschenopfern beruhe.

Als Beleg dafür zog er unter anderem den Dichter Gottfried Benn und dessen Frau Herta heran, deren Tod eine Schaffenskrise des Künstlers beendete.

1990 erschien das Buch "Objektwahl. All You Need Is Love", in dem Theweleit Strategien zur Paarbildung untersuchte, u.a. bei Sigmund Freud und Alfred Hitchcock.
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Professor in Freiburg und Karlsruhe
Klaus Theweleit arbeitet seit 1998 als Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Zudem lehrt er am Soziologischen Institut der Universität Freiburg und hat weitere Lehraufträge in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich.
->   Klaus Theweleit, Uni Freiburg
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Fußball und Gesellschaft
In den letzten Jahren hat sich Theweleit zudem als profunder Kenner des zeitgenössischen Fußballs erwiesen. In dem 2004 erschienenen Buch "Tor zur Welt" bezeichnet er den Fußball als ebensolches.

Gesellschaftliche Entwicklungen spiegeln sich seiner Ansicht nach auf dem Fußballfeld in Form neuer Taktiken und Spielstile wider, umgekehrt prägt der Fußball die Wahrnehmung seiner heranwachsenden Zuseher und Spieler.

Der moderne Fußballstil mit seinen ständigen Rochaden und in Auflösung begriffenen Rollenzuteilungen sei das Pendant zu einer Gesellschaft, die sich mit den Stichworten "digital", "Netzwerk" und "mobil" umreißen lässt.
Freud und die Popmusik
Im Freudjahr 2006 trug Theweleit zuletzt ein weiteres originelles Buch bei. In "absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook" verknüpfte er zwei Themen, die oberflächlich nichts miteinander zu tun haben: Psychoanalyse und Popmusik.

Tatsächlich würden sie aber zumeist von den gleichen Themen handeln: Sexualität, Tod, unterdrückte Gefühle, Liebe und Befreiung. Akribisch, wie es seine Art ist, wies Theweleit ein Naheverhältnis nach, das u.a. in 50 Popsongs mit direktem Freud-Bezug zum Ausdruck kommt.

Gute Psychoanalyse und gute Popmusik haben das gleiche Ziel, schrieb er: die Erschütterung traditioneller Psychostrukturen, die Öffnung unbekannter Horizonte, die Neuentwürfe von Personen und von der Welt - ein Ziel, mit dem sich auch das Werk von Klaus Theweleit zusammenfassen lässt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 6.2.07
->   Theweleit über "Freud und die Popmusik"
->   Ö1: Tor zur Welt - Fußball als Realitätsmodell
->   Interviews, Texte und Werke Theweleits (FU Berlin)
->   Interwiew mit Theweleit in der "Welt"
 
 
 
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01.01.2010