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Riesenvogel mit Startproblemen  
  Sieben Meter betrug die Spannweite des größten flugfähigen Vogels aller Zeiten, der vor rund sechs Millionen Jahren in Südamerika lebte. US-Biologen haben nun die Flugeigenschaften des Tiers berechnet. Das Ergebnis: Er war ein guter Segler, aber beim Starten und Landen hatte er offenbar Probleme.  
Das berichtet ein Team um Kenneth E. Campbell vom Natural History Museum in Los Angeles.
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"The aerodynamics of Argentavis, the world's largest flying bird from the Miocene of Argentina" von Sankar Chatterjee et al. erscheint zwischen 2. und 6. Juli auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0702040104).
->   Abstract (sobald online)
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Groß wie ein Sportflugzeug
 


Er war der größte flugfähige Vogel, der je gelebt hat. Argentavis magnificens, der prächtige Vogel aus Argentinien, war 1,5 bis zwei Meter groß, hatte eine Flügelspannweite von gut sieben Metern und wog bis zu 80 Kilogramm.

Ein wahrer Gigant, neben dem sich die größten Vögel unserer Zeit wie Kleingetier ausnehmen. Zum Vergleich: Ein kalifornischer Kondor hat eine Flügelspannweite von drei Metern und wiegt bis zu 14 Kilogramm - nicht einmal ein Fünftel von Argentavis' Körpermasse.
Körperbau eines Fliegers
Dass der Riese, dessen fossile Überreste in den späten 70ern in Argentinien entdeckt wurden, fliegen konnte, schließt man aus seinem Körperbau. Seine Knochen waren leicht und luftgefüllt, er hatte sehr lange, robuste Flügel sowie knöcherne Ansatzstellen für Federn, die bis zu 1,5 Meter lang waren. Alles Eigenschaften, die nur dann sinnvoll sind, wenn man sich in die Lüfte erhebt.

Nur: Wie sollte das gehen? Selbst die Riesentrappe aus der Gruppe der Kranichvögel hat die größten Schwierigkeiten, wenn sie ihren 18 Kilogramm schweren Körper in die Luft wuchten soll. Sie scheint mit ihrer Starttechnik bereits am biologischen Limit angelangt.
Helikoptersoftware für Ornithologen
Wie konnte da Argentavis mit seinen 80 Kilogramm jemals Erfolg haben? War der Gigant der Lüfte am Ende nur ein Gigant des Bodens? In Ermangelung harter Fakten gab es dazu in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten jede Menge Spekulationen.

Genug damit, dachte der US-Paläontologe Kenneth E. Campbell. Er speiste nun die anatomischen Daten des Tiers in ein Computerprogramm, das bis dato von Helikopterdesignern verwendet wurde, um endlich verlässliche physikalische Daten zu gewinnen.
Segeln in den Andenwinden
Bild: PNAS
Ein aktiver Flieger, der sich allein durch Körperkraft in der Luft hielt, dürfte Argentavis magnificens nicht gewesen sein. Sein 11 Kilogramm schwerer Brustmuskel brachte zwar eine berechnete Dauerleistung von 170 Watt, für die aktive Flugvariante wäre ein Vielfaches, nämlich 600 Watt, notwendig gewesen.

Bleibt noch eine zweite Möglichkeit: der Gleitflug. Hierfür war der "Riesengeier", wie das Tier mitunter genannt wird, besser ausgestattet. Er betätigte sich im Bereich der Anden vermutlich als Hangsegler und in den argentinischen Pampas als Thermikflieger. Bis zu 67 Kilometer pro Stunde erreichte er mit dieser Technik.

Um größere Distanzen zu überbrücken, bediente sich Argentavis magnificens wohl einer Strategie, die auch heute noch fleischfressende Großvögel anwenden: Schraubenförmiger Steigflug unter Ausnützung von Thermiken, dann Sinkflug bis zur nächsten Region mit Aufwinden usw. (Bild rechts).
Landung: Schwierig
Auch die Landung war kein einfaches Unterfangen: Campbell und Kollegen nehmen an, dass er seine Flügel beim Landemanöver wie einen Bremsfallschirm einsetzte und damit das Tempo reduzierte.

Die Simulationen am Computer zeigen, dass die absolute Minimalgeschwindigkeit bei der Landung noch immer rund 20 Km/h betrug. Das sei "nicht wirklich als sicheres Landetempo zu bezeichnen", schreiben die US-Biologen - ohne Gegenwind waren Bruchlandungen wohl keine Seltenheit.
Start: Noch schwieriger
Das klingt alles plausibel, setzt allerdings voraus, dass der 80-Kilo-Brocken zuvor irgendwie in die Luft gekommen ist. Der Argentinische Paläontologe Sergio F. Vizcaino berechnete vor acht Jahren, dass Argentavis, um erfolgreich abzuheben, auf rund 40 Km/h hätte beschleunigen müssen. So schnell sind vielleicht unsere besten Sprinter aus der Leichtathletik, der Riesengeier war es sicher nicht.

Sein Körperbau lässt vermuten, dass er sogar ein eher schlechter Läufer war, diese Möglichkeit kann man daher ausschließen. Campbell präsentiert in seiner Arbeit zwar ein Szenario, bei dem es unter idealen Bedingungen (Bergabstrecke, passender Gegenwind) hätte klappen können, viel wahrscheinlicher ist indes, dass sich der Vogel einfach von exponierten Stellen im Gebirge in die Tiefe fallen ließ und so das nötige Tempo aufnahm.
Aas oder Frischfleisch?
Was die Ernährungsweise des Tiers betrifft, gehen die Meinungen in der Fachwelt auseinander. Manche meinen, er sei ein aggressiver Aasfresser gewesen, der seine Konkurrenten kraft seiner körperlichen Überlegenheit in die Flucht schlug. Campbell und seine Kollegen glauben hingegen, dass er ein echtes Raubtier war und lebende Tiere erbeutete.

Das Argument, dass der Vogel für kleinere Beutetiere womöglich zu groß und unbeweglich gewesen sei, kontert Campbell gegenüber science.ORF.at folgendermaßen: "Das ist so, als würde man behaupten, die besten Basketballspieler könnten nicht Basketball spielen, weil sie dafür zu groß sind."

Abgesehen davon bleibt noch eine andere Frage unbeantwortet, die quasi im Grenzgebiet von Aerodynamik und Ernährung liegt: Wie konnte sich Argentavis magnificens, der träge Riese, nach der Mahlzeit wieder in die Lüfte erheben? Wenn Campbells Analyse zutrifft, dann blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: Fußmarsch zum nächsten Berg oder Warten auf passende Windverhältnisse. Vielleicht hat auch das etwas mit seinem Aussterben zu tun.

Robert Czepel, science.ORF.at, 3.7.07
->   Natural History Museum Los Angeles
->   Argentavis magnificens - Wikipedia
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01.01.2010