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Musik und Porno: Warum Männer Klischees brauchen  
  "PorNo" titelt das feministische Flagschiff unter den Zeitschriften, die "Emma", seine neue Kampagne gegen Pornografie. Dass es zum dritten Mal in der Geschichte der "EMMA" einer solchen Aktion bedarf, begründen die Herausgeberinnen damit, dass Pornografie zu einem immer selbstverständlicheren Teil des Alltags wird.  
Besonders jüngste Veröffentlichungen von deutschsprachigen Rappern und Hip-Hoppern sind der "EMMA" ein Dorn im Auge, womit sie sich in eine breitere Diskussion über Gewalt verherrlichende, sexistische und rassistische Musik in Deutschland einklinkt.
Austrahlungsverbote und die Freiheit der Kunst
Bushido mit seinem Song "Alles verloren", bei dem er im Video den "Star-Rapper im Blutrausch" mimt und eine nackte, weinende, geknebelte und gefesselte Frau der allgemeinen Erregung dienen soll, oder der Rapper King Orgasmus One mit Zeilen wie "Ich stoße meine Faust in deinen Bauch bis du platzt" - Musik(er) wie diese sind es, die in Deutschland eine heftige Debatte ausgelöst haben. Befürworter von Ausstrahlungsverboten stehen Verteidigern der künstlerischen Freiheit gegenüber, die Wert darauf legen, dass auch Menschen mit schlechter oder keiner Ausbildung in ihrer Sprache ihre Lebenswelt thematisieren dürfen.

Im Gespräch mit science.ORF.at sieht die Soziologin Rosa Reitsamer in der "verunsicherten Männlichkeit" vieler Jugendlicher einen möglichen Grund für die Identifikation mit der Symbolik von Rappern und Hip-Hoppern. Sie plädiert dafür, die kapitalistische Logik hinter der Marketingstrategie Sexismus zu sehen, und zweifelt an der Wirksamkeit von Verboten.
science.ORF.at: In den Texten deutschsprachiger Rapper und Hip-Hopper geht es in jüngster Zeit sehr direkt zur Sache. Mit sehr expliziter Sprache werden für Frauen erniedrigende Sex- und Gewaltszenen beschrieben. Ist das ein neues Phänomen?

Rosa Reitsamer: Das glaube ich nicht. Es wird jetzt einfach deutlicher, weil man bei den deutschsprachigen Rappern jedes Wort versteht. Wenn man die Musikgeschichte betrachtet, hat es auch im Rock und Pop sehr viel Sexismus gegeben. Es gibt ein Lied von den Rolling Stones aus dem Jahr 1966, das heißt "Under My Thumb", und die Frau ist diejenige, die unter dem "Daumen" des Mannes ihren Platz finden sollte.
In der Deutlichkeit der Darstellungen sehen Sie keine neue Qualität?

Was ist eine neue Qualität? Sexismus hat viele Spielarten, er kann strukturelle, verbale und körperliche Ausformungen haben. Rap und Hip-Hop war in den 1980er Jahren eine neue Musik, aber dass diese neue Musik dem Sexismus zu einer neuen Ausdrucksweise verhilft, soweit würde ich nicht gehen.
Sind Sexismus, Rassismus und Homophobie reine Vermarktungsstrategien?

VIVA und MTV sind riesige Musikkonzerne, die ihr Geschäft mit einem klaren Gewinninteresse betreiben. Das ist ein kapitalistisches Anliegen, das keine Moral, keine Ethik und keine Weltverschwörung kennt. Selbst wenn die Texte mit keinem oder wenig Sexismus auskommen, sind die Bilder gewalttätig und sexistisch. Das beschränkt sich aber wiederum nicht auf Hip-Hop-Videos, sondern Frauen sind immer nur Objekte, die halbnackt irgendwo mit dem Hintern wackeln. Das ist die Vermarktungsstrategie einer bestimmten Art von Hip-Hop durch diese Fernsehsender, eine Strategie, die ihnen offensichtlich die höchsten Gewinne verspricht. Es gibt ja auch anderen Hip-Hop, aber der wird nicht gespielt.
Proteste gab es auch früher schon
 
Bild: Leslie Labowitz

Eine Videodokumentation (im Bild ein Still aus dem Film) dokumentierte in den 1970er Jahren Proteste von Frauen gegen Gewaltdarstellungen auf Plattencovers.
Was sagt das über die Gesellschaft? Wenn Sexismus sich als Marketinginstrument bewährt, muss es dafür ja Grundlagen geben ...

Ich vermute, dass die Gangsta-Rapper und ihre Videos eine Antwort auf die Krise der weißen Männlichkeit sind. Die Unsicherheit im Selbstverständnis steigt, sichere Beschäftigungsverhältnisse lösen sich auf, der Druck hin zu Flexibilität nimmt zu. Auch durch die seit den 1970er Jahren ständig präsente feministische Kritik beginnen die Stereotype von Männlichkeit zu erodieren, was männliche Jugendliche besonders spüren. Möglicherweise schaffen die Gangsta-Rapper Identifikationsflächen und helfen, Männlichkeit wieder herzustellen. Und wie wird Männlichkeit hergestellt? Gewalt gegen Frauen und Gewalt ganz generell spielt dabei immer eine zentrale Rolle.
In Deutschland gibt es eine heftige Diskussion, ob einzelne Lieder auf einen "Index" gesetzt und ihre Ausstrahlung verboten werden soll. Finden sie solche Maßnahmen übertrieben?

Ich halte das nicht für übertrieben, aber ich glaube, dass deshalb Gewalt gegen Frauen und Sexismus in Videoclips nicht viel weniger wird. Es gibt auf MTV und VIVA immer wieder Videos, die am Index stehen - Änderung bemerke ich dadurch keine. Es ist eine Strategie, die man wählen kann. Die PorNo-Kampagne von Emma ist eine weitere. Sie können dazu beitragen, dass es eine Diskussion über Sexismus in Videoclips gibt. Allerdings wird sie sich dann wieder auf Sexismus und Gewalt im Rap und auf Homophobie im Reggae beschränken - alle anderen Musikgenres bleiben leider wieder außen vor.
Warum gibt es diese Gewalt-/Porno-Raps in Österreich so gut wie nicht?

Man müsste diese Frage vielleicht anders stellen: Wie viele österreichische Musiker sind bei großen Plattenlabels unter Vertrag? Das sind nicht viele. Mieze Medusa ist die erste MC in Österreich, die ein eigenes Album herausgebracht hat. Das sagt viel über das Geschlechterverhältnis im Hip-Hop, aber auch generell über die Musikindustrie hierzulande.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 1.10.07
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Zur Person Rosa Reitsamer
Die Soziologin und freie Wissenschaftlerin Rosa Reitsamer arbeitet derzeit an einem vom Wissenschaftsforschungsfonds FWF geförderten Projekt zu Entstehung und Bestand von Wiener Musikszenen.
->   "Female Consequences"
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->   "EMMA"
->   Mieze Medusa
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Studie: Wie Porno-Texte Frauen konstruieren (20.10.06)
 
 
 
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01.01.2010